8. ... in Darmstadt
Auftakt der Revolution im Großherzogtum Hessen war der am 7. November 1918 im Landtag zu Darmstadt behandelte Eilantrag der Sozialdemokraten über die Einführung der parlamentarischen Staatsordnung und die Umwandlung des monarchischen Obrigkeitsstaats in den Volksstaat. Auch die am Folgetag von Großherzog Ernst Ludwig angeordnete Einberufung eines Staatsrates aus den Reihen der Landtagsparteien hielt die Entwicklung nicht mehr auf.
In der Nacht vom 8. auf den 9. November erklärte der von Soldaten des Griesheimer Truppenlagers nahe Darmstadt gebildete „Hessische Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat“ den letzten Großherzog von Hessen und bei Rhein für abgesetzt und rief die „freie sozialistische Republik Hessen“ aus. Die Sozialdemokraten unter Führung Carl Ulrichs publizierten noch am selben Tag im „Volksfreund“ einen Aufruf des Soldatenrats. Auch in Offenbach und Gießen organisierten sich Arbeiter- und Soldatenräte und übernahmen die kommunale Gewalt. Obwohl Großherzog Ernst Ludwig nicht förmlich abdankte, wurde die SPD-Fraktion im Landtag von den Räten mit der Bildung einer neuen, republikanischen Regierung beauftragt, die zügig die Wahl einer „Landesversammlung“ zur Legitimierung der neuen Ordnung organisieren sollte.
Binnen weniger Tage übernahm die von dem neuen Ministerpräsidenten Carl Ulrich geführte Revolutionsregierung alle Staatsgeschäfte und suchte eine breite demokratisch-parlamentarische Basis. Ausdrücklich wurden alle Parteien eingeladen, an der Neugestaltung der Staatsordnung mitzuwirken. Ulrich, der der Zweiten Kammer des Hessischen Landtags seit 1885 angehörte und dort eine der politisch herausragenden Führungspersönlichkeiten war, vermochte es, Abgeordnete der früheren Fortschritts-Demokraten und der katholischen Zentrumspartei für die Mitarbeit zu gewinnen. Nationalliberale und Bauernbund indessen verhielten sich ablehnend.
Die großherzoglichen Minister wurden am 13. November förmlich in den Ruhestand verabschiedet. Mit Rundschreiben des Staatsministeriums an alle Beamten und Notare in der Republik Hessen wurde am Folgetag die Abschaffung der Dienstbezeichnung „großherzoglich“ verfügt.
Die Machtübernahme der Räte und ihre Zusammenfassung im Landesvolksrat im Dezember 1918 mit Delegierten aus den drei hessischen Provinzen und den großen Städten des Landes blieb trotz Bürgergarde und Revolutionstribunal eine Episode. In den Wintermonaten 1918/19 unterstützte der Landesvolksrat vor allem die Sicherung der öffentlichen Ordnung und die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Brennmaterial, Wohnraum und Rohstoffen für den Neubeginn der industriellen Produktion. Zudem musste die Demobilisierung der Militäreinheiten organisiert werden. Dies stellte in den von französischen Truppen besetzten Gebietsteilen eine große Herausforderung dar, denn die französische Besatzungszone umfasste mit der Provinz Rheinhessen und Teilen der Provinzen Starkenburg und Oberhessen rund ein Viertel des Staatsgebiets mit einem Drittel der Bevölkerung.
Die politischen Parteien formierten sich noch vor Erlass der hessischen Wahlverordnung vom 3. Dezember 1918 neu zur Vorbereitung auf die Wahlen, bei denen erstmals auch Frauen wahlberechtigt waren. Die Frauen in Hessen avancierten zur besonderen Zielgruppe in den Wahlprogrammen. Alle Parteien firmierten, entsprechend der neuen „Volkssouveränität“, nun als „Volksparteien“, die Nationalliberalen als „Deutsche Volkspartei“, das katholische Zentrum als „Christliche Volkspartei“ und die konservative Rechte als „Hessische Volkspartei“, was ihnen den Spott der Sozialdemokraten eintrug.
Nur eine Woche nach der Wahl zur deutschen Nationalversammlung konnten am 26. Januar 1919 alle männlichen und weiblichen Einwohner ab 20 Jahren ohne Einschränkung die „Verfassungsgebende Volkskammer der Republik Hessen“ wählen. Die neue Landesversammlung bestand nun erstmals seit der Verfassung von 1820 aus einer Kammer, für die nach Verhältniswahlrecht auf Listenbasis 70 Abgeordnete gewählt wurden.
Zwei Tage vor der Konstituierung der Volkskammer am 13. Februar 1919 löste sich der Landesvolksrat auf und übertrug seine auf die Novemberrevolution gegründete gesetzgebende Gewalt auf die neugewählte Volksvertretung. Am 14. Februar legte Ministerpräsident Carl Ulrich der Volkskammer den Entwurf einer vorläufigen Verfassung vor, die am 20. Februar 1919 angenommen wurde. Die Verfassung des nunmehrigen Volksstaats Hessen wurde am 12. Dezember 1919 verabschiedet. Die Abgeordneten der Volkskammer behielten danach ihre Mandate bis zum Ablauf der auf drei Jahre festgelegten Wahlperiode.
Damit war ein gewaltfreier Übergang von der Monarchie zur Republik gelungen.
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