Der Landgraf [an Landgraf Wilhelm, Statthalter und Räte zu Kassel]. Tafel der religion, wie ich glaube und halt. Auseinandersetzung mit dem Interim, 06. Febr. 1550
Die "Tafel der Religion" ist das konfessionspolitisches Vermächtnis des Landgrafen Philiip, das dieser während seiner Gefangenschaft in Oudenarde in Holland verfasst und an seinen Sohn Wilhelm und die Räte in Kassel auf Schreibtäfelchen geschickt hatte. Über seinen Tod hinaus wollte der Landgraf sein Glaubensverständnis unwiderruflich dokumentieren und jedem Zweifel entziehen. In seinem Bekenntnis setzt sich Philipp intensiv mit den Eckpunkten des Interims auseinander - und stimmt dabei nicht zuletzt in der Frage der doppelten Rechtfertigung mit diesem überein. Dies ist allerdings nicht als vordergründige Konzession gegenüber dem Kaiser zu verstehen, sondern steht in der Kontinuität der theologischen Grundüberzeugungen und der übergreifenden konfessionellen Unionsbestrebungen des Landgrafen, wie diese u.a. bereits im Zusammenhang des Regensburger Buch 1541 deutlich geworden waren.
[1.] Vom menschen fahl und widerpringung gleube und halt ich, wie im interim stehet; desgleichen von der b u s s e , wie nachvolgt.
[2.] Von der e r l o s u n g Christi redet das Interim, recht. Bin darumb der meinung auch, das wir durch gottes barmherzigkeit, damit uns gott angesehen hat, und durch sterben und verdinst Jhesu Christi selig und gerecht werden etc., so wir das mit glauben annemen, der da warhaftig ist, die liebe, hoffnung und gute werk mit sich pringet. Was aber unsere werk zu wenig, ist gottes barmherzigkeit und das sterben und leiden Christi so gross, das es solchs erfullet und uns aus gnaden gerecht macht.
[3.] Von werken halt ich, dass die werk sollen vorgenomen werden, die gott geboten. Kan aber der mensch mer werk tun, die nicht wider gott, halte ich, seie nit böse. Wir haben aber unser lebelang an gotts gebot gnug zu tun; darumb der nit viel sein werden, die mehr ungepottener werk gotts tun werden (die nit widder gott sein). Das aber etliche keuscheit und anders an zwang halten und tun mer, das nicht von gott geboten ist, strafe ich nicht.
[4.] S o l a f i des. So aber einer sich selbst trostet, das er allein durch den glauben selig werde, hette weder hoffnunge, liebe oder gute werk, mit dem halt ichs nicht, und wird fehlen. Doch der sunder, der sich bekert, ja auch am letzten ende, wird durch den glauben an Christum selig. Es wird aber sein vorsatz sein, der sunden abzustehen, gott und den menschen zu lieben, in guten werken sein leben zu volnpringen und in gottes barmherzigkeit durch Christum in hoffnung und glauben sein ende zu beschliessen; der wirdet gewiss selig. Ich gleube vestiglich den simbolum Niceni und den Athanasius gemacht: qui vult salvus esse etc.
[5.] Von opfer der messe. Wans dem volk also declarirt worde, wie im interim stat, und nit ex opere operato, und ein opfer des widergedechtnus des vorigen opfers, das Christus ein-mal getan, genant und der brauch des sacrament auch geben und ausgeteilt wurde in beider gestalt, dieweil es dan die alten in der ersten kirchen also gehalten, die do martirer und die wider alle ketzereien Pauli Samasseni und der arrianer gewesen, so wolt ich auch darwider nicht sein, das ein opfer genant. Das aber einer allein an communication messe hiltet, das bin ich nit verstendig gnug, wie das aus gottlicher schrift noch den vetern der ersten christlichen kirchen zu verantworten ist. Das ich aber in die messe gehe, den sontag einmal, tue ich, inen damit anzuzeigen, wan sie den sontag messe mit communicanten [wohl versehentlich: communitanten] hielten wie in der ersten christlichen kirchen, das ich mir das nit missfallen lisse. Bitt jderman, wolle sich meinthalb daran nicht ergern; so ich mundlich gehort, wol ichs weiter ercleren etc. Ich hore, was guts drin ist, evangelia, episteln und andere guete gebet, die an gott vater uf Christum und durch Christus verdinst gescheen, auch den symbolum Niceni. Was guts drin in der messe, neme ich an, was missprauch und den heiligen zuvil zulegt, lass ich fahren; bitt gott, das er alle abgotterei und missprauch besser und were. Erzeige mich auch mit solchen geberden, das man wol sieht, das mir der missbrauch nit gefeit; sage auch mit worten den Spaniern, das messen an communicanten mir nicht gefallen. Wan aber die messe declarirt, wie im interim stehet, und dem volk wol aus-gelegt der verstand und communicanten alle wege oder zum meren teil mitgenossen, so lege mir an den ceremonien umb einigkeit und friden willen nichts, lisse sie gescheen. Doch will ich niemants wider sein gewissen dringen. Und das auch in einer kirchen nit mehr dan 2 messen gehalten, gefiel mir; und da alweg communicanten mitgenossen uf die sontag und feste. Ich sage dicke den Spaniern, sie dorfen umb meiner andacht willen kein messe mer halten. Ich wils nit leugnen; man hat mir von grossen dingen gesagt zu Halle [zu Schwäbisch Hall, wo der Landgraf am 8. Juli 1548 erstmalig zur Messe ging], wan ich in messe ginge etc. Habe gehofft, ich woll damit der religion und vaterland dienen etc. Het auch gemeint, es sollten messen gehalten sein, wie im interim stat, mit communicanten, das man das volk zu communiciren vermant haben soll in allen messen; befinde es aber nun anderst und verfolgung wider fromme cristen. Habe ich zuvil getan, verzeihe mirs gott durch Cristum umb seins leiden und sterben willen. Amen.
[6.] Perscrutatio scripturae. In alwege lobe ich, das alle cristen, alt und junge, testament lesen, gottliche schrift erforschen, und halt wider gott und menschlich, das man den leuten solchs verbeut, das sie die gottliche schrift nit lesen sollen.
[7.] Die 7 s a c r a m e n t e n in gemein lass ich pleiben im rechten verstand, zeichen heiliger dinge, die sie bedeuten, wie Augustinus sagt; doch den missprauch darvon getan.
[8.] Taufe halt ich vor ein gewisse sacrament, und das man teufe im nahmen des vaters, sohns, hailigen gaists mit wasser, im nahmen des einigen gotts drei person. Will man mer ceremonien, crisam, salz und anders darzu tun, irret mich nicht. Doch one abgottereie und das es freie seie, die gewissen nit binden. Halt recht, kinder teufen, unrecht, widerteufen; ob auch ketzer oder andere einen vorhin getauft hetten, sall nit wider getauft werden.
[9.] Co n f i r m a t i o n. Das die kinder wider verhort und confirmirt, gefelt mir, auch es tue ein bischof oder pfarherr. Wer crisam darzu nemen will, darumb will ich nit zanken. Doch hindan getan allen missprauch und abgotterei. Halts vor ein sacrament, das ist heilig zeichen, wie Augustinus sagt.
[10.] B u e s s e ist abstehen von sunden und das leben bessern. Lisse mir nit misfallen, das, die offentlich sundigeten, auch offentliche busse trugen, wie bei den alten christen im brauch war. Mag auch wol ein heilig zeichen genant werden.
[11.] S a c r a m e n t des leibs und bluts Christi. Gleube ich, das da den christen der leib und bluet Christi geben werde, wie es Christus eingesetzt etc., und das recht sei, beider gestalt das sacrament gereicht werden, wie es in der ersten christlichen kirchen mehr dan 1000 jar geben und gepraucht. Einerlei gestalt zu geben, weis ich wider schrift oder gewonheit der ersten kirchen.
[12.] Priesterweihe halt ich auch vor ein heilig zeichen, lasse es auch ein sacrament sein. Das die alten die priester confirmiret und noch tun und die hende uflegen, gefelt mir. Wer crisam darzu nimpt, will ich nicht darwider sein, doch hiermit kein misbrauch noch abgotterei bestetigen. Das man aber die priester, die weiber nemen, nit weihen und confirmiren wil, ist unrecht.
[13.] S a c r a m e n t der e h e. Dieweil Paulus ad Ephesios es ein misterium nennet [c. 5, v.32], auch gott der almechtige es insetzt und Christus bestetigt, ists wol ein heilig zeichen und sacrament zu nennen. Solchs sacraments mag sich jederman geprauchen, nit allein die leien, sonder auch die priester, clericken, munch und nonnen, wan sie die keuscheit nicht halten mugen. Die digamia ist in notfellen und pillichen ursachen auch nit wider gott und zulessig, durch zulassung der beichtveter in geheim und durch bewilligung des kaisers offentlich. Das man auch aus ehebruch und anderen ursachen willen sich scheiden moge und der teil, der nicht geprochen, in die ehe wider freihen moge und weib oder man nemen, halt ich fur recht, wie Paulus schreibt [evt. Bezugnahme auf 1. Kor. 7, v. 15].
[14.] B e i c h t ist nit boese, gott, dem nechsten, der beleidiget ist, auch dem priester zu tun; mag auch ein sacrament oder heilig zeichen genant werden. Doch sollen die gewissen nicht zu hart gedrengt werden mit erzelung und anderm. Die absolution ist pillich ein heilig zeichen genant. Den misprauch in der beicht lobe ich nicht. Die beicht sall freie, ungedrungen sein.
[15.] O l u n g. Dieweil in Marco [6, v. 13], auch im aposteln Jacob [5, v. 14] stät, das man beten sall uber die kranken und sie mit öle salben etc., will ichs nicht streiten. Halts fur ein freie ding und ceremonien, wie auch die ohrenbeicht. Doch was zu missprauch und aberglauben und die rechte mass nit hat, will ich nicht loben. Man mags auch ein heilig zeichen nennen.
[16.] H a i l i g e n a n r u f u n g. Hailigen ehren und sie bitten, das sie gott vor uns bitten, haben wir kein gottliche schrift, die das clar gebeut. Dieweil aber die alten in der ersten kirchen fürbitt der hailigen gesucht und solchs die merterer, die umb Cristus willen gestorben, und die alten veter, die wider alle bose ketzer gewesen, zum teil getan oder geduldet, so woste ich niemants darumb dem teufel zu geben und toleriren solchs umb einigkeit und fridens willen; wiewol ich kein hailigen anrufen will. Und das man gott den vater und sein sohn Christum anrufen vor den gewissern weg halte, der nit zweivelhaftig.
[17.] W a l f a r t. Von den walfarten und die abgotterei treiben halt ich ganz nichts von. Hailige stett aber zu besehen und der hailigen gedenken und ehren, schelde ich nicht.
[18.] R e l i q u i a e. Auch die gebein der hailigen ehrlich aufzuheben, doch anderst nit dan zu gedechtnus, nit anzubeten, noch ander abgotterei damit zu treiben, wie gescheen.
[19.] T o d t e n b i t t e n haben auch etliche der alten veter getan in der ersten kirchen, auch die merterer; ich weiss niemants darumb zu verdammen. Doch den missprauch der pompa und umb gelds willen lobe ich nicht. Die besten werk seind nach dem tod, fromme predicanten, spital, da armen und hausarme leut sein, erhalten; diese werk gefallen gott am besten, im leben zu üben und auch nach dem todt nach zu tun. Es ist aber viel besser, das einer so lebe, das er vorbittens nit dorfe, und in rechtem glauben und hoffnung zu gott und liebe zu gott und nechstem verschide; dan es ungewiss, ob die vorbitt darnach helfen wird, so einer todt, die-weil das fegfeuer aus gottlicher schrift clar nit zu beweisen und zweivelhaftig ist.
[20.] Von f r e i e m w i l l e n. Hat der mensch etwas ein freien willen, sonderlich zum boesen; dan solchs nicht von gott kompt, das inen gott darzu treibe; dan gott kein ursach des boesen ist. Sall aber der mensch gerecht, from und gut werden, so muss ime gott geben sein hailigen gaist, der auch gut ist, und den menschen erleuchten, erhalten und regieren, soferne auch der mensch gottlicher ingebung des hailigen geists nit widerstrebet, sonder gehorsamet und solchen geist nicht von sich treibet und stosset.
[21.] C l o s t e r p e r s o n e n. Finde ich, das bei den alten fromme munche und nonnen gewesen in primitiva ecclesia; wan sie noch also weren, lisse ich mirs gefallen. Der geiz aber und weltliche herschaft und, das man die kinder so jung hinein tut, die kein verstand, gefelt mir ganz nicht. Desgleichen, das man sie zu den votis und gelubden dringet, auch so sie nit keusch leben konnen, nit freien und man nemen und ehrlich leben sollen; inen das zu verbieten, gefeldt mir ganz nicht. Das aber in clostern fromme leut, die zu predigen und sonst aufgezogen, auch fromme frauenpersonen, die one gelubde und, so sie nit keusch sein, mochten sich verheiraten, gefiel mir.
[22.] Hinsetzung des sacraments. Das sacrament hinzusetzen, haben die alten wol getan in der ersten kirchen, die reliquias aufgehaben; so dan solchs ane abgotterei geschicht, streite ich nicht. Das umbtragen corporis Christi kan ich nicht loben, dan es weder in gottlicher schrift noch der ersten kirchen grund hat, noch auch bei den christlichen alten lehrern.
[23.] Gewalt b a b s t und b i s c h o f. Wan sie weren bischove und bebst, wie sie nach Christus sterben 300 jar gewesen, so were gewalt wol gut und zu leiden. Es ist wol notwendig, das man umb gueter ordnunge willen obrigkeit habe; doch zu bessern die kirche und nicht zu verderben; auch nit gesetz zu machen, die wider gotts wort; und das gott freie gelassen, sie die gewissen zu binden wider gotts wort und bevelch. Noch viel mehr ists unrecht, die leute zu todten umbs glaubens willen, ja auch ketzer; dan ich das in der ersten kirchen nie gelesen; ist ganz zuwider Johanni Crisostimo und heiliger geschrift, christliche veter. Die christlich kirch verfolget nit, sonder wird verfolgt. Noch viel mehr unrecht, fromme christliche leut umbzupringen umb rechts glaubens und lehre willen, ob sie wol in etwas irren. Wan sie aber iren obrigkeit recht nachgehen, ist inen zu gehorsamen, doch nit wider gott. Der nam pabst ist neue. In der ersten kirchen hat man die bischove zu Rhom geheissen. Wan nun so ein christlicher man were ein babst und prauchet die lehre des evangelii recht und macht keine satzungen dem zuwider, wer wolt den nicht ehren? Wan er aber wider Christum und die alte lehre streit und satzung macht, die wider gott, ist irre nicht zu folgen noch zu gehorsamen.
[24.] C o n c i l i a konnen irren. So aber ezwas eintrechtig geschlossen und jderman gnugsam verhort und gehort, und das solchs nicht wider gott ist und gewissen nit verwirtete, so soll man umb liebe und einigkeit willen als nachgeben, das muglich ist und das nit Bericht wider gott strebet. So es auch im hailigen geist versamlet, wirds der lere Christi nicht zuwider ordnen.
[25.] C e r e m o n i e n. Wasser, salz, leuden, psalmen singen und dergleichen seind freie dinge, mugen umb frieds und ainigkeit willen gedult werden; doch hindan getan falsch vertrauen auf solche werk, und abgotterei ganz hinweg getan.
[26.] B i l d e r konnen auch umb einigkeit willen gedultet werden, doch alles falsch vertrauen und anbeten, vorehrunge, abgotterei darvon getan und allein zu gedechtnus. Lieber aber weren mir die bilder aus den kirchen.
[28.] Fasten, feiern seind frei dinge, sollen umb friden und liebe willen geduldet werden. Doch sall man gewissen nit verwirren, auch die feiertage der hailigen zu gedechtnus und nit gleich dem sontag, den gott geboten, halten; auch der feiertage nit zuvil haben. Fasten, abbrechem dem leibe ist gut. Haben auch in der ersten kirchen die 40tegige fasten gehalten, auch freitag und sonnabent, uf das sie am sontag die eucaristia mit besser andacht entpfingen. Man sall aber die gewissen nit verwirren. Das interim gibt deshalb ein gute masse.
[S c h l u ß : ] Dieses alles habe ich in diese tafel gefast, dieweil mir alle sterblich, das jderman auch nach meinem todt meinen glauben sehe und niemants anderst von mir sagen soll noch konne. Das ich mir gefallen lasse, das solchs nicht gestritten, das in der ersten kirchen die lieben veter und marterer gehalten, tu ich darumb, dass ich glaube, das die junger der apostel und die, so nahe nach absterben Christi gewesen, ane zweivel Christi und der apostel meinung wol gewust und wir ja alle ein christliche kirche halten und glauben. Was nun die, so pald nach der apostel zeit gelebt und die merterer Christi gewesen und wider alle boese ketzereie gestritten, gehalten, dem wolt ich gern, das mir uns des mit inen verglichen. Dan je kein andere kirche sein kan, dan solche alte veter und merterer, die umb Cristus willen gelitten und wider die ariani und ketzer gewesen sein. Kan und wird auch niemandts mir ein andere christliche kirche zäigen. Doch will ich aber hiemit andere missbreuch und abgottereien, die hernach kommen, weder gelobt noch bestetigt haben. Hett ich zeit und weil, wolt ichs weiter ercleren. Bevehle mich und alle cristen gott vater, sohn, heiliger geist, einem gott. Amen.
Geschrieben den 6. februarii anno domini 1550.
HStAM PA. 1010. Kanzleiumschrift nach Tafeln. — Kanzleivermerk: tabula 72. confessio fidei lantgravii Hessiae. praes. Cassel ultima aprilis anno 1550. Abgedruckt in: Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, 3. Bd., 1547-1567, bearb. von G. und E. Franz, Marburg 1955, Dok. 731, S. 152157
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