Bericht Zwinglis über das Marburger Religionsgespräch und die Rolle Luthers, Brief an Vadian vom 20. Oktober 1529
Nachdem wir unter sicherem Geleit nach Marburg geführt waren und Luther mit seinen Begleitern angekommen war, ordnete der fürstliche Landgraf an, Oekolampad solle mit Luther und Melanchthon mit Zwingli getrennt, ohne jeden Schiedsrichter, die Auseinandersetzung versuchsweise beginnen, will sagen: Sie sollten gegenseitig erkunden, ob sich in ihren Lehren etwas finden ließe, das zu einem Friedensschluss beitragen könne. Dabei hat sich Luther den Oekolampad so vorgenommen, dass der bei mir im Vertrauen darüber klagte, er sei von neuem dem Eck in die Hände gefallen. Aber das darfst du nur verschwiegenen Leuten weitersagen. Aber da Melanchthon überaus glatt wie ein Aal war und wie ein Proteus alle möglichen Gestalten annahm, nötigte er mich, zur Feder zu greifen und sozusagen mit Salz meine Hand zu wappnen und zu trocknen, um so den Entschlüpfenden und sich in alle erdenklichen Flucht- und Schlupfwinkel Drückenden unerbittlich festzuhalten. Daher schicke ich dir die Kopie einer Niederschrift von einigen aus Hunderttausenden seiner Aussagen, doch unter der Bedingung, dass du sie nur verschwiegenen Leuten mitteilst, d.h. solchen, die daraus keine Fortsetzung der Tragödie anzetteln, denn auch Philipp selbst besitzt eine solche Kopie. Die Niederschrift stammt nämlich von mir, aber er hat alles durchgesehen, gelesen und einiges selbst diktiert. Wir jedoch wollen nicht die Einleitung einer neuen Tragödie bieten.
Dieses Gespräch dauerte bei Philipp und mir sechs, bei Luther und Oekolampad drei Stunden. Anderntags (2. Oktober) stiegen vor dem Landgrafen und einigen Schiedsrichtern — höchstens vierundzwanzig — Luther und Melanchthon, Oekolampad und Zwingli in die Arena; der Kampf zog sich über diese wie über drei weitere Sessionen hin. Denn im Ganzen waren es vier, in denen vor den Schiedsrichtern der Kampf glücklich verlief. Wir hielten Luther nämlich entgegen, dass er die dreimal leicht-fertigen Sätze »Christus hat nach seiner göttlichen Natur gelitten« und «Christi Leib ist überall« und auch das Bibelwort »Das Fleisch ist nichts nütze« selbst in einem anderen Sinne, als er jetzt behaupte, ausgelegt habe. Aber liebenswürdig, wie er ist, gab er auf all das keine Antwort, außer dass er zu dem Satz »Das Fleisch ist nichts nütze« erklärte: »Du weißt doch, Zwingli, wie die Alten alle im Verlauf der Jahrhunderte und mit wachsender Urteilskraft die biblischen Texte immer wieder anders behandelt haben.« Er sagte: »Leiblich wird der Leib Christi in unseren Leib hinein gegessen, doch zugleich will ich mir die Möglichkeit vorbehalten, ob auch die Seele den Leib esse«, während er kurz vorher erklärt hatte: »Mit dem Munde wird der Leib Christi leiblich gegessen, die Seele isst ihn nicht leiblich.« Er sagte, der Leib Christi komme zustande durch diese Worte »Das ist mein Leib«, gleichgültig, was für ein Bösewicht es sei, der diese Worte spreche.
Er gab zu, dass der Leib Christi begrenzt sei. Er gab zu, dass das Zeichen des Leibes Christi Eucharistie genannt werden könne. Wie er diese und ungezählte andere widersprüchliche, widersinnige und törichte Sätze so daherblökte, unermüdlich wie das Geplätscher am Strand, so wurde er doch von uns widerlegt, so dass sogar der Fürst selbst uns beistimmte, obwohl er das in der Öffentlichkeit vor gewissen anderen Fürstlichkeiten verschleierte. Der hessische Hof fiel so fast ganz von Luther ab. Der Fürst gestattete ausdrücklich, dass man unsere Bücher ungestraft lesen dürfe. Er duldete jetzt auch nicht mehr, dass die Pfarrer (episcopi5), die unserer Lehre beipflichten, abgesetzt werden. Johann von Sachsen war nicht anwesend, aber Ulrich von Württemberg. Zuletzt ging man auseinander nach der Annahme der Übereinkunft, die du demnächst gedruckt lesen kannst.
Die Wahrheit hat so offenkundig die Oberhand gewonnen, dass, wenn jemals einer unterlegen ist, Luther mit seiner Unverschämtheit und Schmähsucht vor aller Augen unterlegen ist, allerdings nur vor einem hell sehenden und gerechten Richter. Mag er unterdessen so laut schreien, wie er will, er sei unbesiegt geblieben usw. Auch den Gewinn haben wir davon getragen, dass, nachdem wir in den übrigen Lehren (dogmata) der christlichen Religion einig geworden sind, die Päpstler nicht länger hoffen können, Luther werde ihre Partei ergreifen.
Quelle:CR 97, 316,2-318,8 (Nr. 925). Übers.: Huldrych Zwingli, Ausgewählte Schriften, hg. v. E. Saxer, Neukirchen-Vluyn 1988, 126-128. –Literatur: s. nach Text c.
Text zitiert nach: Volker Leppin, Kirchen - und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Reformation, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 2012, S. 165-66.
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