An den christlichen Adel deutscher Nation
Von des christlichen Standes Besserung
Der allerdurchlauchtigsten, großmächtigsten Kaiserlichen Majestät und dem christlichen Adel deutscher Nation
D. Martinus Luther.
Gnade und Stärke von Gott zuvor! Allerdurchlauchtigster! Gnädigste, liebe Herren!
[...]
Die Romanisten haben mit großer Behendigkeit drei Mauern um sich gezogen, womit sie sich bisher beschützt haben, so daß niemand sie hat reformieren können, wodurch die ganze Christenheit greulich gefallen ist.
Zum ersten: wenn man mit weltlicher Gewalt auf sie (ein)gedrungen ist, haben sie festgesetzt und gesagt, weltliche Gewalt habe kein Recht über sie, sondern umgekehrt: die geistliche sei über die weltliche. Zum zweiten: hat man sie mit der heiligen Schrift tadeln wollen, setzen sie dagegen, es gebühre niemand die Schrift auszulegen als dem Papst. Zum dritten: drohet man ihnen mit einem Konzil, so erdichten sie, es könne niemand ein Konzil berufen als der Papst. [...]
Nun helfe uns Gott und gebe uns der Posaunen eine, womit die Mauern Jerichos umgeworfen wurden, daß wir diese strohenen und papiernen Mauern auch umblasen und die christlichen Ruten, Sünden zu strafen, losmachen, des Teufels List und Trug an den Tag zu bringen, auf daß wir durch Strafe uns bessern und seine Huld wiedererlangen.
Wollen die erste Mauer zuerst angreifenl
Man hats erfunden, daß Papst, Bischöfe, Priester und Klostervolk der geistliche Stand genannt wird, Fürsten, Herrn, Handwerks- und Ackerleute der weltliche Stand. Das ist eine sehr feine Erdichtung und Trug. Doch soll niemand deswegen schüchtern werden, und das aus dem Grund: alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes und ist unter ihnen kein Unterschied außer allein des Amts halber, wie Paulus I. Kor. 12, 12 ff. sagt, daß wir allesamt ein Leib sind, (obwohl) doch ein jegliches Glied sein eigenes Werk hat, womit es den andern dienet. Das alles macht, daß wir eine Taufe, ein Evangelium, einen Glauben haben und (auf) gleiche (Weise) Christen sind, denn die Taufe, Evangelium und Glauben, die machen allein geistlich und Christenvolk. Daß aber der Papst oder Bischof salbet, Platten macht, ordiniert, weihet, sich anders als Laien kleidet, kann einen Gleißner und Ölgötzen machen, macht aber nimmermehr einen Christen oder geistlichen Menschen. Demnach werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht, wie Petrus (I. Petr. 2) Sagt: »Ihr seid ein könig-iches Priestertum und ein priesterliches Königreich«, und Offenbarung 5, 10: »Du hast uns durch dein Blut zu Priestern und Königen gemacht.« Denn wo nicht eine höhere Weihe in uns wäre, als der Papst oder Bischof gibt, so würde durch des Papstes und Bischofs Weihen nimmermehr ein Priester gemacht, er könnte auch weder Messe halten, noch predigen, noch absolvieren.
Drum ist des Bischofs Weihe nichts anderes, als wenn er an Stelle und Person der ganzen Versammlung einen aus der Menge nähme - die alle gleiche Gewalt haben - und ihm beföhle, diese Gewalt für die andern auszurichten. (Das ist) gleich als wenn zehn Brüder, (eines) Königs Kin-der und gleiche Erben, einen erwählten, das Erbe für sie zu regieren; sie wären ja alle Könige und von gleicher Gewalt, und doch wird einem zu regieren befohlen. Und damit ichs noch klarer sage: wenn ein Häuflein frommer Christenlaien gefangen und in eine Wüstenei gesetzt würden, die nicht einen von einem Bischof geweihten Priester bei sich hätten, und würden allda der Sache eins, erwählten einen unter sich, er wäre verheiratet oder nicht, und beföhlen ihm das Amt: zu taufen, Messe zu halten, zu absolvieren und zu predigen, der wäre wahrhaftig ein Priester, als ob ihn alle Bischöfe und Päpste geweiht hätten. Daher kommts, daß in der Not ein jeglicher taufen und absolvieren kann, was nicht möglich wäre, wenn wir nicht alle Priester wären.
Solch große Gnade und Gewalt der Taufe und des christlichen Standes haben sie uns durchs geistliche Recht ganz zerstört und unbekannt gemacht. Auf diese Weise erwählten die Christen vor Zeiten ihre Bischöfe und Priester aus der Menge, die danach von andern Bischöfen ohne alles Prangen, das jetzt regiert, bestätigt wurden. So wurden Augustin, Ambrosius, Cyprian Bischof.
Dieweil denn die weltliche Gewalt nun gleich mit uns getauft ist, denselben Glauben und Evangelium hat, so müssen wir sie Priester und Bischöfe sein lassen und ihr Amt als ein Amt rechnen, das da der christlichen Gemeinde gehöre und nützlich sei. Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, daß es schon zum Priester, Bischof und Papst geweihet sei, obwohl es nicht einem jeglichen ziemt, solch Amt auszuüben. Denn weil wir alle gleich(mäßig) Priester sind, darf sich niemand selbst hervortun und sich unterwinden, ohne unser Bewilligen und Erwählen das zu tun, wozu wir alle gleiche Gewalt haben. Denn was allgemein ist, kann niemand ohne der Gemeinde Willen und Befehl an sich nehmen. Und wo es geschähe, daß jemand zu solchem Amt erwählet und (danach) um seines Mißbrauchs willen abgesetzt würde, so wäre er gleich wie vorher. Drum sollte ein Priesterstand in der Christenheit nicht anders sein als ein Amtmann: dieweil er im Amt ist, geht er vor; wo er abgesetzt ist, ist er ein Bauer oder Bürger wie die andern. Ebenso wahrhaftig ist ein Priester nicht mehr Priester, wenn er abgesetzt wird. Aber nun haben sie charaeteres indelebiles erdichtet und schwätzen, daß ein abgesetzter Priester dennoch etwas anderes sei als ein schlichter Laie. ja, ihnen träumet, es könne ein Priester nimmermehr anderes als ein Priester, oder ein Laie werden; das sind alles von Menschen erdichtete Reden und Gesetze.
Zitiert nach: Projekt Gutenberg.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/270/1
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Reformation
Die Reformation Martin Luthers hatte ihren Auslöser in der Wiederentdeckung der zentralen christlichen Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders allein durch die Gnade („sola gratia“), die allein der Glaube empfängt („sola fide“). In Abgrenzung zum römischen Priestertum formulierte Luther in einer Frühschrift das Priestertum aller Getauften.
„Alle Christen sind wahrhaft geistlichen Standes, und ist unter ihnen kein Unterschied dann des Amts halben allein. ... Demnach so werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht. ... Was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, dass es schon Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht jedem ziemt, dieses Amt auch auszuüben.“
– Martin Luther: An den christlichen Adel... (1520)[1]
In der Begrifflichkeit ist zunächst ausgedrückt, dass alle Christen durch Glaube und Taufe einen unmittelbaren Zugang zum göttlichen Heil haben, ohne auf priesterliche Vermittlung angewiesen zu sein. Daraus folgt aber auch die Wahrnehmung priesterlicher Aufgaben durch die Gläubigen, allen voran gegenseitige Fürbitte und Tröstung, nicht jedoch die Aufgabe der öffentlichen Predigt:
„Ubir das seyn wir priester, das ist noch vil mehr, denn kuenig sein, darumb, das das priesterthum vns wirdig macht fur gott zu tretten vnd fur andere zu bitten ... Alßo hatt uns Christus erworben, das wir muegen geystlich fur ein ander tretten und bitten, wie ein priester fur das volck leyplich tritt und bittet ... Denn ob wir wol alle gleych priester seyn, tzo kunden wir doch nit alle dienen odder schaffen und predigen.“
– Martin Luther: Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520)[2]
Anfangs war das allgemeine Priestertum für Luther auch ein Argument dafür, dass die Gläubigen unter sich geeignete Personen zum Predigtdienst berufen und beauftragen sollten (Daß ein christlich Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe alle Lehre zu urteilen und Lerer zu beruffen, ein und abzusetzen, Grund und Ursach aus der Schrift, 1523). In seiner Auseinandersetzung mit radikal-reformatorischen Gruppierungen wie den Spiritualisten – von ihm „Schwärmer“ genannt – und den Täufern, die das egalitäre Prinzip unmittelbar und radikal in kirchliche (und staatliche) Praxis umsetzen wollten, betonte er jedoch bald mehr und mehr die Unableitbarkeit des Predigtamtes und verwies auf die Bibel und die kirchliche Tradition. Daher enthielten die Kirchenordnungen der neu entstehenden lutherischen Landeskirchen von Anfang an klare Ämter-, Ordinations- und Visitationsbestimmungen. In den lutherischen Bekenntnisschriften (und somit der offiziellen Lehrauffassung der lutherischen Kirchen) taucht die Lehre vom Priestertum aller Getauften nur an einer Stelle als Argument für die Wahl der Pfarrer durch die Gemeinden auf.[3] An einer anderen Stelle sprechen die lutherischen Bekenntnisschriften sogar von lutherischen Priestern (vgl. Apologie des Augsburger Bekenntnisses Artikel 13).
Auch die Bekenntnisschriften der reformierten Kirchen lehren das allgemeine Priestertum und verstehen es als Teilhabe am Priestertum Christi (Johannes Calvin, Genfer Katechismus 1542/45, Frage 43; Heidelberger Katechismus, Frage 31f). Sie unterscheiden aber teilweise noch deutlicher zwischen dem allgemeinen Priestertum und dem „Dieneramt“.[4]
Spätere Entwicklung [Bearbeiten]
Luthers Lehre vom allgemeinen Priestertum wurde im Pietismus in den evangelischen Kirchen revitalisiert. Philipp Jacob Spener forderte in seiner Reformschrift Pia desideria (1675) an prominenter Stelle „die Auffrichtung und fleissige Übung des ‚Geistlichen Priesterthums‘“ und verteidigte dies später in weiteren Schriften gegen die lutherische Orthodoxie. Besonders in der Gestalt von kleinen Gruppen zur gemeinsamen Bibellektüre und gegenseitigen geistlichen Unterstützung wurde der Gedanke in den evangelischen Kirchen populär. Für Johann Hinrich Wichern und sein Programm der Inneren Mission war das freie Vereinswesen „in seiner schönsten Weise die Bestätigung des allgemeinen Priestertums der gläubigen Gemeindeglieder“.
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