Papst Martin V. nimmt die Juden gegen die Beschuldigung der Brunnenvergiftung und des Ritualmordes in Schutz. Rom, 20. Febr. 1422
Gleichwie die Juden nicht die Erlaubnis haben dürfen, in ihren Synagogen sich mehr herauszunehmen, als ihnen durch das Gesetz erlaubt ist, so brauchen sie in den Stücken, die ihnen tatsächlich zugestanden sind, keine Übergriffe zu dulden. Zwar wollen die besagten Juden lieber in ihrem Eigensinn beharren, als den wahren Sinn der Prophetenworte und die Geheimnisse ihrer heiligen Schrift zu erkennen und zur Erkenntnis des christlichen Glaubens zu gelangen. Weil sie aber uns um Hilfe bitten und die christliche Milde anrufen, so wollen wir den Spuren unserer Vorgänger folgen, der Bitte der Juden stattgeben und ihnen den Schild unseres Schutzes leihen.
Wir haben neuerdings die Klagen einiger Juden empfangen, dass einige Prediger, sowohl von Bettelorden als von anderen Orden, unter anderem den Christen ausdrücklich gebieten wollen, den Umgang mit den Juden schlechterdings zu meiden, weder für sie zu kochen, noch Feuer zu machen oder sonst eine Arbeit zu leisten oder sich von ihnen leisten zu lassen oder Armendienste bei Juden zu leisten; die Zuwiderhandelnden aber (sagen sie) verfielen schweren kirchlichen Strafen. Dadurch wird allerlei Zwietracht zwischen Juden und Christen gesät und wird den Juden, die sich vielleicht bei milder und menschlicher Behandlung dem christlichen Glauben zuwenden würden, Anlaß gegeben, bei ihrem Unglauben zu verharren. In vielen Fällen haben auch Christen, um besagte Juden ihres Vermögens berauben und steinigen zu können, bei Gelegenheit von Seuchen und anderen öffentlichen Unglücksfällen behauptet, die Juden hätten selbst Gift in die Brunnen geworfen und ihren Mazzen Menschenblut beigemischt; solche ihnen mit Unrecht vorgeworfenen Verbrechen aber gereichten (sagen sie) zum Verderben der Menschen. Durch der-gleichen wird das Volk gegen die Juden aufgeregt, so dass sie dieselben töten und auf alle Weise verfolgen.
In der Hoffnung auf die von den Propheten vorausgesagte einstige Bekehrung des heiligen Restes der Juden verbieten wir euch, allen hohen Weltgeistlichen und besonders den Oberen der vorgenannten Orden, ausdrücklich, solche Hetzpredigten gegen die Juden zu erlauben. Wir wollen, dass jeder Christ die Juden mit menschlicher Milde behandelt und ihnen weder an Leib noch an Gut ein Unrecht zufügt. Gleichwie es ihnen erlaubt ist, mit den Christen zu verkehren, so soll es auch beiden Teilen erlaubt sein, sich gegenseitig Vorteile zu verschaffen. Alle ihre verbrieften Rechte sollen sie genießen. Nur diejenigen Juden jedoch sollen dieses Schutzes teilhaftig werden, die keine Verschwörungen zur Umstürzung des christlichen Glaubens unternehmen.
Julius Höxter, Quellenlesebuch zur jüdischen Geschichte und Literatur. III. Teil, Frankfurt a.M. 1927, S. 42-43
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