Niederschrift der Verhandlungen des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses am 25. - 26. April 1933 in Berlin.
Verhandelt Berlin, den 25. April 1933.
Auf Einladung seines Präsidenten trat der Deutsche Evangelische Kirchenausschuß am 25. April 1933 nachmittags 3 Uhr im Sitzungssaal des Kirchenbundesamts in Berlin-Charlottenburg zu einer außerordentlichen Tagung zusammen. […]
Verhandelt Berlin, 26. April 1933.
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Auf der Tagesordnung steht die Behandlung der Judenfrage.
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Das Wort erhält zunächst Geheimer Hofrat D. Freiherr von Pechmann. Redner schildert einleitend, wie ihm Hilferufe von Männern jüdischer Abstammung, die mit Überzeugung Christen geworden seien, nahegebracht worden seien und welche Seelennot ihm dabei begegnet sei. Er sei davon durchdrungen, daß wir diesen Gliedern unserer Gemeinden und unserer Kirchen Schutz schuldig sind. Wir dürfen sie nicht dem Gefühl überlassen, daß sie von der Kirche, der sie seit langem angehören, in der Zeit der fürchterlichsten Not wort- und lautlos im Stich gelassen werden. Redner äußert sich weiter über die Wirkungen der einschlägigen Vorgänge und Maßnahmen auf das Ausland und insbesondere auf das Verhältnis zu den mit dem Kirchenbund in ökumenischer Gemeinschaft stehenden ausländischen Kirchen. Unsere Kirche schuldet ihren eigenen treuen Mitgliedern endlich das tröstende, aufrichtende Wort des Schutzes. Weder in der Kundgebung des Evangelischen Oberkirchenrats – Berlin noch in der Kundgebung unseres Landeskirchenrats in München habe er in dieser Richtung gefunden, was er so dringend gewünscht hätte. Wir können es nicht verantworten, wenn der Kirchenausschuß auseinanderginge, ohne ein solches Wort zu sagen.
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Konsistorialrat Dr. Wahl macht Mitteilung über die beim Präsidenten des Kirchenausschusses eingegangenen Schreiben ausländischer Kirchen, kirchlicher Stellen und einzelner Persönlichkeiten zur Judenfrage. Die Schreiben wiesen von einer bloßen Anfrage über den Stand der Sache und von einer bloßen Wiedergabe der Stimmung im eigenen Lande bis hinauf zu mehr oder weniger deutlichen Protesten ungefähr alle Nuancen möglicher Meinungsäußerungen auf. Es sei beabsichtigt, den ausländischen Stellen ein Memorandum1 zu übersenden, in dem nach einer kurzen Schilderung der allgemeinen Lage Ursprung und Lösung des Judenproblems in Deutschland in ganz objektiver Form dargestellt werden solle. […]
Präsident D. Dr. Kapler: Zweifellos ist der Staat angesichts der seit 1918 immer ernster gewordenen Gefährdung des deutschen Volkstums durch das Vordringen des Judentums auf wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Gebiet zu Schutzmaßnahmen für unser Volkstum berechtigt und verpflichtet. Aber bei manchen der getroffenen Maßnahmen habe ich doch einen schweren Gewissensdruck empfunden und die Angelegenheit bei meinen verschiedenen Besprechungen mit den politischen Stellen zur Sprache gebracht. So bei meiner Unterredung mit Reichsminister Frick, die am 1. April, am Tage des Judenboykotts stattfand. Ebenso bei meinem Besuch bei Staatssekretär Landfried (damals im Preußischen Staatsministerium), der mich in Vertretung des durch seine Romreise verhinderten Herrn von Papen empfing, und endlich bei dem Staatssekretär Lammers (Reichskanzlei). Bei der Unterredung mit dem Reichskanzler habe ich die Judenfrage als solche nicht namentlich erwähnt. Ich habe aber im Zusammenhang mit der Zusage, daß die Kirche mit dem Staat zum Wiederaufbau unseres Vaterlandes zusammenarbeiten wolle, ausgeführt, daß, wenn der Staat seinem Wesen nach mit Maßnahmen des Rechts, des Zwanges und unter Umständen mit Härte vorgehe, die Kirche natürlich den innigen Wunsch habe, daß bei Durchführung alles dessen, was die Staatsleitung zur Sicherung von Volk und Staat für unerläßlich erachte, jede mit diesem Ziel vereinbare Milderung von Härten ins Auge gefaßt werde; und die Kirche bitte Gott, daß Er in Gnaden bald die Zeit kommen lassen möge, wo in unserem Vaterlande Kampf und Härte durch Frieden und Versöhnung abgelöst werden. Mehr zu sagen, hielt ich bei dieser ersten offiziellen Begegnung nicht für ratsam. […]
Pastor D. Michaelis führt aus, daß nach seinem persönlichen Standpunkt, den er aus der Heiligen Schrift schöpfe, es nicht wider Gottes Wort sei, wenn Juden in ihren Beziehungen zum Staat anders behandelt würden als Deutsche. Die Nationen hätten den Rat Gottes über dieses Volk mißverstanden, als sie ihm volle Staatsbürgerrechte verliehen. Daß die Juden nach der Bibel das auserwählte Volk Gottes seien, schaffe ihnen nicht eine Zensur für ethische und moralische Qualitäten, keine besondere Gerechtigkeit. Vielmehr entspringe dies dem freien Willen Gottes und begründe keinen Anspruch gegenüber Gott. Es sei eine Schuld der kirchlichen Verkündigung, daß diese Gesichtspunkte vergessen worden seien. Daher könne das christliche Gewissen in der gegenwärtigen Lage nicht beschwert sein und lediglich besorgen, daß die Menschlichkeit leiden möchte. Im übrigen sei der Kirche bei der ungeheuren Gefahr, in der sie sich z. Zt. befinde, der Mund gebunden. Es sei nicht richtig, in jedem Augenblick alles zu sagen
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Landesbischof D. Bernewitz stimmt den theologischen Ausführungen von D. Michaelis zu.
Landesbischof D. Rendtorf bittet, vorläufig von einer öffentlichen Stellungnahme abzusehen. Nicht aus Bedenklichkeit, sondern aus grundsätzlichen Glaubenserwägungen. Die Öffentlichkeit höre nur das Ja oder Nein zu den staatlichen Maßnahmen. Alles Andere sei völlig belanglos. Es müsse daher genauer gesagt werden, was im Einzelnen gemeint sei. Die Kirche habe mit Dank begrüßt, daß endlich einmal wieder eine Obrigkeit vorhanden sei. Wenn das so liegt, dann verstoße es gegen den Glauben, dem weltlichen Schwert in den Arm zu fallen, zumal es sich für die Regierung nicht um eine peripherische Sache, sondern um einen zentralen Punkt ihres Programms handle. Redner warnt, die jetzt allgemeine Beurteilung der Judenfrage unevangelisch zu nennen. 1700 Jahre hätten die Juden unter Ausnahmerecht gestanden unter völliger Billigung der Kirche. Ihre Befreiung stehe im Zusammenhang mit dem Fortschreiten der aufklärerischen Denkweise. Die Fortschrittsgedanken dürften nicht mit evangelischen Normen identifiziert werden. Es handle sich heute um eine geistige Auseinandersetzung zwischen zwei völlig verschiedenen Lebensgefühlen: einerseits demjenigen, das das Vorrecht der freien Persönlichkeit betone, und andererseits demjenigen, das die Präponderanz des Staates als des Vertreters der Gesamtheit in den Vordergrund rücke. Redner lehnt es ab, als Theologe sich in diesem Streit festzulegen und die eine der beiden Auffassungen als speziell christlich (sic) zu bezeichnen. Er persönlich neige stark zur zweiten Auffassung, die nach seiner Meinung der Bibel näher sei. Er bitte daher, von einer öffentlichen Äußerung abzusehen und in der bisherigen Linie weiterzugehen, insbesondere auch von Fall zu Fall Härten zu mildern.
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Niederschrift abgedruckt bei: Armin Boyens, Kirchenkampf und Ökumene 1933-1939. Darstellung und Dokumente, München 1969, S. 295-299 (Auszüge)
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