Der Schriftsteller Johann Gottfried Seume berichtet von dem Soldatentransport des Jahres 1776.
Johann Gottfried Seume berichtet von seiner Zeit als hessischer Soldat
Den dritten Abend übernachtete ich in Vach, und hier übernahm trotz allem Protest der Landgraf von Kassel, der damalige große Menschenmakler, durch seine Werber die Besorgung meiner ferneren Nachquartiere nach Ziegenhain, Kassel und weiter nach der neuen Welt. [...]
Mich brachte man als Halbarrestanten nach der Festung Ziegenhain, wo der Jammergefährten aus allen Gegenden schon viele lagen, um mit dem nächsten Frühjahr nach Fawcets Besichtigungen nach Amerika zu gehen. Ich ergab mich in mein Schicksal und suchte das Beste daraus zu machen, so schlecht es auch war. Wir lagen lange in Ziegenhain, ehe die gehörige Anzahl der Rekruten vom Pfluge und dem Heerwege und aus den Werbestädten zusammengebracht wurde. Die Geschichte und Periode ist bekannt genug; niemand war damals vor den Handlangern des Seelenverkäufers sicher; Überredung, List, Betrug, Gewalt alles galt. Man fragte nicht nach den Mitteln zu dem verdammlichen Zwecke. Fremde aller Art wurden angehalten, eingesteckt, fortgeschickt. Mir zerriß man meine akademische Inskription als das einzige Instrument meiner Legitimierung.
Am Ende ärgerte ich mich weiter nicht; leben muß man überall; wo so viele durchkommen, wirst du auch; über den Ozean zu schwimmen war für einen jungen Kerl einladend genug; und zu sehen gab es jenseits auch etwas. So dachte ich. Während unseres Aufenthalts in Ziegenhain brauchte mich der alte General Gore zum Schreiben und behandelte mich mit vieler Freundlichkeit. Hier war denn ein wahres Quodlibet von Menschenseelen zusammengeschichtet, gute und schlechte und andere, die abwechsend beides waren. Meine Kameraden waren noch ein verlaufener Musensohn aus Jena, ein bankrotter Kaufmann aus Wien, ein Posamentierer aus Hannover, ein abgesetzter Postschreiber aus Gotha, ein Mönch aus Würzburg, ein Oberamtmann aus Meinungen, ein preußischer Husarenwachtmeister, ein kassierter hessischer Major von der Festung und andere von ähnlichem Stempel. Man kann denken, daß es an Unterhaltung nicht fehlen konnte; und nur eine Skizze von dem Leben der Herren müßte eine unterhaltende, lehrreiche Lektüre sein. Da es den meisten gegangen war wie mir, oder noch schlimmer, entspann sich bald ein großes Komplott zu unser aller Befreiung.
aus: Seume, Johann Gottfried: Mein Leben. In: Prosaschriften, Darmstadt 1974, S. 111 f.
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