S. 142-143
In Cölbe sind wir wieder gut aufgenommen worden. Die Leute haben sich gefreut. Die haben gesagt, sie haben das nicht gewußt. [...] Viele sind bei der Entnazifizierung in Sachen geraten, die sie gar nicht gemacht haben. [...] Wir haben lange in Cölbe gewohnt. Wir mußten unsere Wohnung dann räumen, als die Apotheke in das Haus kam. Die Amerikaner haben uns eine Wohnung am Weißen Stein zugewiesen. [...]
Ich habe dann mit der Schaustellerei begonnen. Meinen Beruf als Dachdecker konnte ich nicht mehr ausüben, denn ich hatte eine schwere Operation durchgemacht: eine Strumaoperation. Die Schilddrüsen hingen bis zur Brust. Ohne richtige Narkose bin ich operiert worden, weil das Herz zu schwach war. Professor Witthoft hat mich dann operiert, und ich habe auch das überstanden. Zuerst habe ich so einen „Hau den Lukas" gebaut. Mit dem habe ich angefangen. Mein Vater hat sich einen Schießwagen geholt und ein kleines Karussell. Dann sind wir auf die Feste.
Ich muß sagen, ich kannte etliche gute Leute, die Verständnis für uns gehabt haben. Die Firma Felden, die hat uns bei allem geholfen. Die Behörde hat dann freigegeben: die Bezugsscheine für Holz, Nägel und alles, was wir gebraucht haben. Der Schreiner Werner in Cappel hat uns die Wagen gebaut. Der hat dann gesagt: „Bezahlen tut ihr, wenn das was abwirft." Auch der Felden. „Nehmt mit, was ihr braucht. Wenn`s geht bezahlt ihr`s, wenn nicht, ist es auch gut." Wir haben immer bezahlt. Wir haben uns nichts schenken lassen.Wir haben uns wieder hochgearbeitet Das erste KZ-Geld kam 1950, vielleicht auch 1952. Ich habe mir ein großes Karussell gekauft, einen großen Flieger. Den Flieger habe ich meinem Vater gegeben, denn ich war immer noch zufrieden mit dem, was ich selber erarbeitet hatte. Später hat mir mein Vater das Karussell wieder zurückgegeben. Hier und da hatten wir auch Pech, aber meistens lief es recht gut. Überall bin ich hingekommen und war dort auch willkommen. Für uns waren immer die Türen offen. [...]
Ich will dir mal ein Beispiel sagen. Ich hatte vorgehabt von hier wegzuziehen, weil ich Schwierigkeiten hatte, mit einem Wagenplatz für meine Karussellsachen. Ich weiß nicht, wer das weiter erzählt hat. Das ging bis zur Polizei, bis zur Kripo. Da hat der Chef von der Polizei mich kommen lassen, hat gesagt: „Strauß, ich hab` gehört, Sie wollen soundso ... Marburg verlassen. Was haben Sie für einen Grund?" Erst einmal war ich ganz sprachlos, weswegen der fragte und woher er das wußte. „Ich habe Probleme mit dem Wagenplatz", habe ich ihm gesagt. „Wenn das allein der Grund ist, Herr Strauß, werde ich dafür sorgen, daß das geklärt wird." Er hat mir aber auch die Augen geöffnet. „Herr Strauß, hier wissen wir, wer Sie sind. Und hier sind Sie ein angesehener Bürger. Wenn Sie aber woanders hinziehen, da werden Sie mit einem anderen Auge betrachtet." Ich bin hier geblieben.
Das Gespräch wurde am 3. März 1995 aufgezeichnet.
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.