Ein Bericht vom Luftangriff auf Kassel am 22. Oktober 1943.
Frau Gretel S. berichtet über den Luftangriff vom 22. 10. 1943 auf Kassel
im Gasthof "Zur Pinne" befand sich ein Öffentlicher Schutzraum.
Kassel, den 17. 4. 1944.
Es erscheint Frau Gretel S., ehemals Kastenalsgasse 34, jetzt Kepplerstraße 17, geb. 22. 9. 1914 und erklärt:
Das war folgendermaßen, passen Sie auf. Während dem Alarm [...] da habe ich mich verführen lassen, zum ersten Mal in die "Pinne" zu gehen. Wenn ich bei uns geblieben wäre, dann wäre ja alles gut gewesen. Denn mein Mann hat als Hauswart 73 Mann gerettet. Ich bin nun mit der Oma und meinen Kindern, Irmgard und Brigitte, in die "Pinne" gelaufen. Frau Sch. aus unserem Haus war auch noch mit. Was in der "Pinne" los war, das kann ich gar nicht so gut erzählen, weil ich da ohnmächtig wurde, und wenn ich wieder aufgewacht bin, dann hat meine Tochter geschrien: "Mutti, ich ersticke," die lag unter lauter Toten da im Keller. Und ich hatte meine Jüngste als auf dem Arm, und das Kind hat noch bis 6 Uhr morgens gelebt. Um diese Zeit wurde ich ohnmächtig, dann bin ich wieder aufgewacht. Da lag das Kind vor meinen Füßen. Und ich wollte meine Nachbarin fragen, ob sie Streichhölzer hätte, da war die Frau schon tot und kalt. Und meine Kleine schrie immer noch, das war wohl gut. Aber weil ich kein Licht hatte, konnte ich sie nicht finden. Weil die Große immer geschrien hat, darum bin ich immer wieder aufgewacht und am Leben geblieben. Den Morgen gegen 7 oder halb 8 Uhr wurde angefangen mit ausgraben. Ich wurde da wach. Passen Sie auf, da wurde so ein Stückchen freigelegt: Ich rief: "Lieber Mann, helfen Sie mir doch, das Kind rauszuziehen." Ich konnte mich gar nicht stellen, weil die Toten alle vor meinen Füßen lagen. Da kamen zwei Soldaten rein. Und habe geschrien: "Lieber Mann, helfen Sie mir doch mal, das Kind rauszuziehen." Dann haben sie das große Kind rausgeholt und mich. Das Kleine war schon eisekalt. Dann wurde ich auch auf die Hessenkampfbahn gebracht. Und da bin ich aufgewacht und habe meine Große gesucht und habe meinen Mann in der Schule am Wall gefunden. Da habe ich dann geschrien: "Die Kinder, die Kinder." Und dann haben wir die Große auf der Hessenkampfbahn gefunden. Sie war verbunden am Auge und rechten Bein und hatte Phosphorverbrennungen, ich weiß nicht woher.
Sie lag dann 4 Wochen im Krankenhaus in Münden und ist Gottseidank wieder hergestellt. Die Kleine haben wir nach 3 Tagen dann gefunden vor der "Pinne" und einen Zettel drangehängt. Denn ich durfte das Kind nicht mit rausnehmen, weil es tot war.
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