Hannah-Arendt-Straße, Marburg
von Leonie Scholtes 22.05.2022
Einleitung
Hannah Arendt (*14.10.1906, † 4.12.1975) war eine jüdische deutsch-US-amerikanische Theoretikerin und gilt als bedeutendste Denkerin ihrer Zeit. Sie blieb in ihren Überlegungen stets objektiv, weshalb sie schwer einzuordnen ist.
Benennung
Die „Hannah-Arendt-Straße“ im Marburger Stadtteil „Stadtwald“, bekam ihren Namen zwischen den Jahren 1993 und 2000 im Zuge einer. Damals trugen allgemein sehr wenige Plätze oder Straßen Namen bekannter Frauen, weshalb mehrere Straßen in Marburg, vor allem im Stadtwald, nach bedeutenden Frauen umbenannt wurden. So auch die „Hannah-Arendt-Straße“
Lebenslauf/ Werdegang
Hannah Arendt gilt heute als eine der bedeutendsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts. Geboren wurde sie am 14. Oktober 1906 in Linden, einem heutigen Stadtteil Hannovers und wuchs anschließend in Königsberg auf. Sie stammte aus einem jüdisch assimilierten und sozialdemokratischen Elternhaus, in dem die Bildung für Mädchen/ Frauen damals schon als selbstverständlich galt.
Nachdem ihr Vater bereits 1913 verstorben war, erzog ihre Mutter sie weitgehend liberal und gab ihr vor allem mit, sich gegen Diskriminierung und Diffamierung zu wehren. Hannah Arendt war sich als Kind gar nicht bewusst, dass sie jüdisch war, nahm dies allerdings im Laufe der Kindheit durch antisemitische Äußerungen wahr. Der jüdische Glaube war nie ein großes Thema im Elternhaus, es war einfach so und wurde auch nicht bestritten oder verleugnet.
Im weiteren Verlauf ihrer Kindheit/ Jugend bemerkte sie schon, dass sie anders war und ihrer Meinung nach auch aussah, fasste dies jedoch nie negativ auf. Was ihren anschließenden Werdegang betrifft, las sie in ihrer Jugend schon philosophische Texte, unter anderem von Kant, und wollte immer verschiedene Zusammenhänge verstehen.
Hannah Arendt in Marburg
Daraufhin begann sie 1924 mit ihrem Philosophiestudium in Marburg mit den Nebenfächern Theologie und Griechisch. Sie hatte ein Verhältnis mit ihrem Dozenten dem Familienvater Martin Heidegger, wohl deshalb wechselte sie 1926 ihren Studienort nach Freiburg und später nach Heidelberg, wo sie anschließend 1928 bei Karl Jaspars promovierte. Während ihrer Zeit in Marburg lebte sie in der „Lutherstraße“ 4.
Weiterer Werdegang
In Heidelberg beschäftigte sie sich zunehmend mit der gesellschaftlichen Assimilation von Juden und wurde später (1932) mit ihrer Tätigkeit für die Zionistische Vereinigung für Deutschland, bei der sie die Judenverfolgung dokumentierte, zum ersten Mal politisch aktiv. Dafür wurde sie 1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, verhaftet. Allerdings wurde sie nach kurzem Aufenthalt wieder entlassen und emigrierte mit ihrem Mann direkt nach Frankreich. Vorort arbeitete Hannah Arendt weiter für zionistische Organisationen und half jüdischen Jugendlichen bei der Flucht vor dem NS-Regime. Dies war das erste Mal, dass sie aus ihrem bisher intellektuellen Umfeld und den akademischen Tätigkeiten ausbrach. Ursächlich dafür war vor allem die Entfremdung ihrer intellektuellen Bekannten gegenüber dem Judentum, viele von ihnen begannen sich dem Nationalsozialismus freiwillig zuzuwenden, was Hannah Arendt persönlich sehr verletzte. Dies war im Gegensatz zu dem antisemitischen Verhalten der Gesellschaft und der Regierung, was sich schon lange entwickelt hatte und somit nichts Neues war, ein tiefer Schlag für sie. Während ihres Aufenthaltes in Paris trennte sie sich von ihrem Mann und lernte schon ihren späteren Ehemann Heinrich Blücher kennen, welchen sie 1940 heiratete und anschließend 1941 mit ihm und ihrer Mutter in die USA auswanderte. Dort wurde Hannah Arendt in verschiedenen Berufen tätig. Dazu zählen verschiedene leitende Positionen in jüdischen Organisationen, sowie Professuren am Brooklyn Collage oder der University of Chicago. Nach Ende des zweiten Weltkrieges (1949/1950) besuchte sie Deutschland im Auftrag der JCR (Jewish Cultural Reconstruction Corporation), um jüdische Kulturgüter zu retten. Ab dann, reiste sie regelmäßiger in ihr einstiges Heimatland und machte sich ein Bild von der Aufarbeitung der schrecklichen Ereignisse, zog jedoch nicht mehr nach Deutschland zurück. 1951 erlangte Hannah Arendt außerdem die amerikanische Staatsbürgerschaft. Obwohl sie sich nie als „Deutsche“ fühlte, was nicht zuletzt am Antisemitismus lag, war es ihr äußerst wichtig, die deutsche Sprache beizubehalten. Für sie war die Muttersprache nicht mit einer später erlernten zu vergleichen. Zusätzlich empfand sie die Zweisprachigkeit als notwendiges Mittel, um die Welt wirklich verstehen zu können. Die meisten ihrer Werke verfasste sie sowohl auf Englisch, als auch auf Deutsch. Bis zu ihrem unerwarteten Tod am 4. Dezember 1975 in New York, blieb Hannah Arendt engagiert, interessiert und wollte verstehen. All dies hielt sie in ihren Werken fest.
Hauptwerke und Denken
Eines ihrer ersten großen Werke erschien 1951 unter dem Titel „Origins of Totalitarianism“, deutsch „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“. Darin untersucht sie die Entstehungsverbindungen zwischen totalitärem Nationalsozialismus und Antisemitismus, sowie strukturelle Parallelen im faschistischen und stalinistischen Totalitarismus. Mit dieser Ausarbeitung, welche für Hannah Arendt sehr wichtig und eines ihrer zentralen Themen war, gewann sie an Ansehen und wurde bedeutender.
Ein weiteres ihrer bekannten Werke ist „Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik“. Dieses Buch schrieb sie bereits 1930-1933, veröffentlichte es jedoch erst nach dem Krieg im Jahr 1959. Es wäre unter der Herrschaft der Nazis gar nicht anders möglich gewesen, denn das Thema des Werkes ist die gescheiterte Assimilation von Juden in Zusammenhang mit dem wachsenden Antisemitismus. Hannah Arendt entnahm ihre Erkenntnisse aus Tagebucheinträgen und Briefen einer realen deutschen Jüdin, welche viel Ungerechtigkeit aufgrund ihrer Abstammung erfahren musste.
Ein Jahr nach diesem Werk, erschien Hannah Arendts „Vita activa oder vom tätigen Leben“, worin sie die Geburt jedes Menschen als Ausgangspunkt für das Denken und darauf aufbauend das Handeln, Arbeiten und Herstellen sieht. In einem anderen ihrer Hauptwerke behandelt sie erneut die Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Unter dem Titel „Eichmann in Jerusalem. Die Banalität des Bösen.“ veröffentlichte sie 1963 ihre Ansichten zu dem Prozess Adolf Eichmanns, welcher als Hauptverantwortlicher für die Ermordung von Millionen Juden gilt. Laut Hannah Arendt sei Eichmann nicht derart schuldfähig gewesen, wie er verurteilt wurde. Dafür erfährt sie große Kritik, auch von jüdischer Seite. Vor allem wird ihr Begriff „Die Banalität des Bösen“ in diesem Zusammenhang kontrovers diskutiert und als Beleidigung empfunden. Hannah Arendt selbst hatte nie die Absicht, die Grausamkeit des Geschehenen zu verringern, es ging ihr mehr um die Person Eichmann selbst und seine Voraussetzungen. Sie wollte den Fall ganz unvoreingenommen und objektiv betrachten.
Weitere bekannte Werke sind „Über die Revolution“ (1963) und „Macht und Gewalt“ (1973). Neben den aufgezählten Schriften veröffentlichte Hannah Arendt noch viele weitere.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sie in und mit ihren Werken verschiedene Zusammenhänge, wie beispielsweise den nationalsozialistischen Totalitarismus mit gesellschaftlich aufkommendem Antisemitismus, oder auch die „Endlösung der Judenfrage“, verstehen und für sich klären wollte. Ihre kontroversen Ansichten teilten nicht alle Leser/-innen, weshalb sie oft dafür kritisiert wurde. Dies zeigt sich besonders in ihrem Bericht über den Prozess Eichmanns.
Denken
Hannah Arendt ist aufgrund ihres „Denken ohne Geländer“, wie sie es selbst nannte, schwer einzuordnen bzw. zu kategorisieren. Jedoch blieb sie sich selbst ihr Leben lang treu und setzte sich in einer Welt voller politischem, theoretischem und philosophischem Denken durch, was als Frau damals sehr schwierig war. Davon ließ sie sich allerdings nicht beeindrucken und konnte sich mit ihrem scharfen Verstand und ihrer Schlagfertigkeit emanzipieren. Sie selbst würde sich nicht als Philosophin bezeichnen, da sie in diesem Begriff eine Spannung zur Politik sieht und man aus philosophischer Sicht nicht neutral auf die Politik blicken könne. Die politische Theoretikerin verband mit ihren Werken nicht die Absicht irgendetwas bewirken zu können, vielmehr wollte sie verschiedene Zusammenhänge verstehen, was ihr im Prozess des Schreibens und des Eintauchens in das jeweilige Thema gelang.
Aktualität
Auch heute spielen Hannah Arendts Themen, wie Totalitarismus und das Bilden einer eigenen Meinung, eine große Rolle und werden es auch in Zukunft tun. Mit ihr entstanden neue Ansichten und Herangehensweisen an Zusammenhänge staatlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen. Sie betrachtete diese „Dinge“ immer aus einer anderen oder mehreren Perspektiven, für welche sie teilweise auch heftig kritisiert wurde. Dennoch bleibt sie, was ihre riskante Arbeit für viele verschiedene jüdische Organisationen, sowie ihre aufklärenden Werke zu NS-Zeiten betrifft, eine bedeutende Frau und Denkerin. Aus diesen Gründen, sollte noch lange an sie und ihre Werke erinnert werden, wie hier im Marburger Stadtwald durch das Straßenschild. Vor allem, da sie mit ihrem Studium in direkter Verbindung zu Marburg steht, weshalb ihre zeitlose Präsenz in der Stadt festgehalten werden sollte.
Quellen:
https://www.marburg.de/portal/seiten/beruehmte-und-vergessene-frauen-in-der-universitaetsstadt-marburg-900000987-23001.html (18.05.2022; 20:03)
https://www.marburg.de/downloads/datei/OTAwMDAxODM2Oy07L3d3dy92aHRkb2NzL21hcmJ1cmcvbWFyYnVyZy9tZWRpZW4vZG9rdW1lbnRlL2JlcnVlaG10ZV9mcmF1ZW5faW5fbWFyYnVyZ19wZGYucGRm (18.05.2022; 20:03)
https://www.op-marburg.de/UNIversum/Uni-und-Stadt/Eine-philosophische-Liebe-in-Marburg (18.05.2022; 20:07)
https://www.dw.com/de/warum-hannah-arendt-uns-heute-noch-inspiriert/a-53371893 (20.05.2022; 18:43)
https://www.ndr.de/geschichte/koepfe/Hannah-Arendt-und-die-Banalitaet-des-Boesen,hannaharendt118.html (20.05.2022; 18:44)
https://www.dhm.de/lemo/biografie/hannah-arendt (20.05.2022; 19:02)
https://de.wikipedia.org/wiki/Hannah_Arendt (20.05.2022; 19:23)
https://youtu.be/J9SyTEUi6Kw (20.05. 23:52)
https://tse2.mm.bing.net/th?id=OIP.ddnDUqkPaYdnoL7EwlzjGwHaHa&pid=Api (22.05.2022; 20:11)
https://tse2.mm.bing.net/th?id=OIP.Q5_zPsJ7Z-8Cr6pabusCqwHaFw&pid=Api (22.05.2022; 20:13)
https://www.marburg.de/portal/seiten/stadtgeschichte-900000235-23001.html
(02.06.2022; 15:26)
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