Uferstraße
ehemalige Bernhard-Rust-Straße
von Miriam Wohlleben
Lage
Die Uferstraße, die zur Zeit des NS-Regimes als Bernhard-Rust-Straße bekannt war, verläuft entlang des Lahnufers. Beginnend hinter dem Marburger Kunstmuseum, säumt sie einige relevante Orte des städtischen Lebens, so zum Beispiel die Martin-Luther-Schule, Sophie-von-Brabant-Schule, die Uferkirche oder die Marburg-Moschee.
Umbenennung der Straße
Während die heutige Uferstraße auf einem Stadtplan von 1931 noch als solche zu erkennen ist, ist sie im Jahr 1939 nach dem NSDAP-Politiker und Leiter des preußischen Kultusministeriums Bernhard Rust (1883-1945) benannt. Später wurde ihr Name, aufgrund der kritisch zu betrachtenden Namensgebung der Nationalsozialisten, wieder in Uferstraße geändert.*
Bernhard Rust
Bernhard Rust lebte von 1883 bis 1945, war Politiker, Minister und Gymnasiallehrer und prägte die nationalsozialistische Erziehung maßgeblich.
Leben
Am 30. 9.1883 wurde Rust als Sohn wohlhabender katholischer Eltern in Hannover geboren. Dort besuchte er das Gymnasium und studierte nach dem Abitur von 1904 bis 1908 Germanistik, Philosophie, Kunstgeschichte und Musik in München, Berlin, Göttingen und Halle.
Schließlich unterrichtete er von 1909 bis 1930 am Ratsgymnasium zu Hannover, mit Unterbrechung durch seine Teilnahme am Ersten Weltkrieg 1914-1918. In diesem wurde er mehrfach verwundet, unter anderem erlitt er schwere Kopfverletzungen, was später zu Spekulationen über seine häufig sprunghaften Entscheidungen führte.
Nach dem ersten Weltkrieg orientierte Bernhard Rust sich in völkischen, rechtsradikalen Gruppen und trat im Mai 1925 der NSDAP bei. Dort wurde er Gauleiter (regionaler Leiter der NSDAP) und zog schließlich 1929/30 in den preußischen Provinziallandtag und den Reichstag ein.
Nach der Regierungsübernahme seiner Partei wurde er preußischer Kultusminister und Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung.
Trotz dieser Stellung genoss er innerhalb seiner Partei nur wenig Ansehen und wurde von anderen NS-Vertretern und Organisationen zunehmend an den Rand gedrängt.
Er war durch seine Trigeminusneuralgie schwer erkrankt und soll außerdem unter Alkoholismus und Depressionen gelitten haben.
Am Tag der deutschen Kapitulation, dem 8. Mai 1945, erschoss sich Bernhard Rust.
Ideologie und Wirken
Als preußischer Kultusminister und Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbindung beeinflusste Rust die nationalsozialistische Erziehung maßgeblich. Er führte eine Vereinheitlichung des Schulwesens ein, die auf die ideologische Ausrichtung des Unterrichts hinzielte. Außerdem setzte er sogenannte „Hochschulen für Lehrerbildung“ ein, um das Lehrpersonal zusätzlich zu ideologisieren. Damit ging auch einher, dass alle andersdenkenden und jüdischen Lehrer, aber auch Professoren, Wissenschaftler und Nobelpreisträger aus den Schulen und Universitäten vertrieben wurden. Viele von diesen emigrierten ins Ausland, was die blühende deutsche Kultur und Forschung für die nächsten Jahrzehnte schwächte.
Der Ideologie entsprechend wurden auch „nichtarische“ und Schüler mit Behinderung vom Unterricht ausgegrenzt.
Das Ziel seiner Erziehung und Bildung war es, „Nationalsozialisten zu produzieren“.
Umbenennung von Straßen
Die Frage, ob Straßen, die nach bestimmten berühmten Persönlichkeiten benannt sind, die aufgrund der Zeitgeschichte heute kritisch zu betrachten sind, umbenannt werden sollten, ist immer wieder Teil des politischen Diskurses. In Marburg gibt es beispielsweise anhaltende Diskussionen zur „Bismarckstraße“, die nach dem ehemaligen Reichskanzler des Deutschen Kaiserreichs benannt ist und aufgrund dessen innenpolitischer Vorgehensweise immer wieder in der Kritik steht.**
Es ist fragwürdig, ob eben solche Straßen „zu Ehren“ fragwürdiger Persönlichkeiten rückwirkend umbenannt werden sollten. Auf der einen Seite steht die Befürchtung, durch eine Umbenennung könne ein Stück Geschichte verloren gehen und aus den Köpfen der Menschen verschwinden, außerdem führe die Umbenennung von Straßen zu Verwirrungen. Auf der anderen Seite steht die Angst, grausame Taten und Ideologien könnten aufgrund der „ehrenvollen“ Benennung einer Straße in ein falsches, positives Licht gerückt werden. Im Falle der heutigen Uferstraße stellt sich uns diese Frage nicht mehr. Die ehemalige Bernhard-Rust-Straße, welche am Lahnufer liegt, wurde bereits in der Vergangenheit erneut umbenannt. Bernhard Rust stellt, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass gleich zwei Marburger Schulen in der Uferstraße liegen, eine sehr fragwürdige namensgebende Person dar. Der Umgang mit der eigenen Geschichte stellt weiterhin eine große Aufgabe für alle Menschen dar. In jedem Falle sollte die Aufklärung und Diskussion über die historischen Hintergründe einer Namensgebung gefördert werden.
Infos
* Der Nationalsozialismus
Bekannt als Nationalsozialismus ist die politische Bewegung, die nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland entstand und extrem völkisch-antisemitische Auswüchse annahm. Unter der Führung von Adolf Hitler, errichtete die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) von 1933 bis 1945 eine totalitäre Diktatur. Da die Nationalsozialisten Menschen, die „nicht der „Deutschen Rasse“ angehörten“ für minderwertig hielten, töteten sie während ihrer Zeit an der Macht ungefähr 17 Millionen Menschen. Den Völkermord, der in Deutschland besonders an ungefähr 6 Millionen Juden verübt wurde, bezeichnet man heute als Holocaust oder Shoa. Die Nationalsozialisten hielten Menschen in Massenvernichtungslagern, sogenannten Konzentrationslagern, gefangen, in welchen die meisten von ihnen schließlich grausam ermordet wurden.
Die Diktatur der Nationalsozialisten mündete im Zweiten Weltkrieg, den Deutschland 1945 verlor.
** Otto von Bismarck
war von 1871 bis 1890 der erste Reichskanzler des Deutschen Reiches, dessen Gründung in großen Teilen ihm zuzuschreiben ist. Bismarck gilt zwar unter anderem als Begründer des Sozialstaates und schaffte es, das neu gegründete Reich durch geschickte Außenpolitik abzusichern, dennoch betrieb er - als Stabilisierungsmaßnahme - sogenannte negative Integration und grenzte systematisch bestimmte Gruppierungen (besonders Minderheiten, zum Beispiel jüdische Menschen), aus der Gesellschaft aus, weshalb er aus heutiger Sicht in Teilen kritisch zu betrachten ist.
Quellen:
https://www.deutsche-biographie.de/sfz64592.html?language=de
Letzter Zugriff am 01.05.22 um 12:05
https://www.jugend1918-1945.de/portal/jugend/lexikon.aspx?typ=lexikonID&id=2129&iframe=true
Letzter Zugriff am 01.05.22 um 11:47
http://www.digam.net/index.php?page=1&ID=10148&id=258&room_id=1359
Letzter Zugriff 01.05.22 um 11:27
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Gauleiter
Letzter Zugriff am 02.05.22 um 14:38
https://gepris-historisch.dfg.de/person/5110225
Letzter Zugriff am 02.05.22 um 12:57
https://de.statista.com/infografik/23994/geschaetzte-zahl-der-nazi-opfer/
Letzter Zugriff am 16.05.22 um 18:14
https://www.hanisauland.de/wissen/lexikon/grosses-lexikon/n/nationalsozialismus.html
Letzter Zugriff am 16.05.22 um 18:10
Bildquelle:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e3/Bundesarchiv_Bild_119-1998%2C_Bernhard_Rust.jpg. Letzter Zugriff am 12.0722 um 17:47
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