Biegenstraße
von Luis Valentin Paßler
Die Biegenstraße liegt im Herzen Marburgs und verdankt ihren Namen der Bezeichnung eines alten Ackers im Feuchtwiesengebiet zwischen Mühlgraben und der Lahn. Erstmals urkundlich erwähnt wurde sie 1339 unter dem Namen „Byege“ und später im Jahr 1365 unter dem Namen „Byge“. (Archivschule Marburg, 1997)
Aktueller Hinweis / Lesetipp:
Marburg800: Themenweg „Braunes Marburg“. Spurensuche in der Marburger Geschichte des Nationalsozialismus:
https://www.marburg800.de/projekte/themenweg-nationalsozialismus.html
Entstehung
Die Biegenstraße galt im Jahre 1884 zunächst als „Biegenweg“, da dieser lediglich ein Feldweg war, welcher den Pilgrimstein mit einem Schlachthof verbunden hat. Der Fuhrverkehr auf diesem Weg war verboten worden, da dieser zu klein und unbefestigt war. Mit dem Anstieg der Bevölkerungszahl und einem intensiveren Verkehr in der Stadt, stieg die Notwendigkeit nach einer richtigen, bebauten Straße, weswegen der Stadtrat sich 1888 für einen Ausbau des Biegenweges entschied. Anwohner und Fleischerinnung stellten die Baufläche von 7 Quadratmeter zur Verfügung, da diese an einem Ausbau des Biegenweges hin zu einer richtigen Straße interessiert waren. Das Projekt konnte jedoch baulich erst um 1896-1899 realisiert werden, da zunächst ein Hochwasserdamm und eine Regulierung der Lahn zwischen der Bahnhofsbrücke und Weidenhausen Priorität hatten. Schließlich trug die neue Straße von dem Pilgrimstein bis zur Wolffstraße den Namen „Biegenweg“ und von der Wolffstraße bis zur Uferstraße den Namen „Biegenstraße“. Durch stetige Bebauungen rund um die Biegenstraße und den Biegenweg entstand im 20. Jahrhundert auch das Biegenviertel.
Umbenennung während der NS-Zeit
Am 12. März 1933 gewann die NSDAP (1) mit einer klaren Mehrheit die Kommunalwahlen in Marburg und nicht einmal zwei Monate später, am 1. Mai 1933, traten immer mehr Marburger Bürger/-innen in die Partei ein (Rüden, 2018). Der NSDAP-Bezirksleiter der Stadt Marburg, Hans Krawielitzki, entließ im Jahre 1933 mit Hilfe der erreichten Mehrheit im Stadtparlament den damaligen Oberbürgermeister Johannes Müller und weitere Beamte der Liberalen Volkspartei (Wikipedia, 2020). Im April 1934 wurde Dr. Ernst Scheller als neuer Oberbürgermeister von der NSDAP eingesetzt und nun befand sich das Stadtparlament und der Oberbürgermeister unter Kontrolle der NSDAP (Conrad, 2013). Folglich feierten die Nationalsozialisten in Marburg eine lokale Machtübernahme und erklärten Adolf Hitler und Paul von Hindenburg zu Ehrenbürgern (Conrad, 2013). Nun begann der Straßenterror der SA (2). Er richtete sich vor allem gegen die Arbeiterparteien und die jüdische Bevölkerung . Letztere wurde während der NS-Zeit vollständig aus dem öffentlichen Leben in Marburg verdrängt (Rüden, 2018). Sinnbildlich für den Judenhass in Marburg und für die Gewalt der SA in Marburg, steht die Brandstiftung an der Synagoge in
der Universitätsstraße, während der Reichspogromnacht 1938.
Schließlich wurden auf einem Antrag der NSDAP hin zahlreiche Straßen und Plätze in Marburg umbenannt, so auch die Biegenstraße, welche 1938 in „Straße der SA“ umbenannt wurde. Aus dem Studienprojekt der (Archivschule Marburg, 1997) geht hervor, dass die „Straße der SA“ umbenannt wurde, um „allen jenen unbekannten Kämpfer und
Aktivisten unserer Bewegung, denen in schwerster Zeit Deutschland über alles ging“ zu ehren umbenannt wurde.
Die neu benannte „Straße der SA“ diente den Nationalsozialisten als Ort für Militärparaden und Aufmärsche. Es kann angenommen werden, dass die Biegenstraße für eine solche Umbenennung ausgesucht worden war, da schon in der Zeit vor 1938 Militärparaden und Aufmärsche von den Nationalsozialisten dort stattfanden und die Biegenstraße eine der
Hauptverkehrsachsen der Stadt Marburg bildet.
Die Biegenstraße heute
Am 28.03.1945 marschierten amerikanische Truppen ohne Widerstand von deutscher Seite in Marburg ein und erklärten am 01.04.1945 Eugen Siebecke zum neuen Oberbürgermeister Marburgs. Eine der ersten Amtshandlungen Siebeckes war es, die Straßen- und Platzbenennungen, die während der NS-Zeit und der Kaiserreichszeit unternommen worden, wieder umzubenennen (myHeimat, 2022). So erhielt auch die Biegenstraße am 30.04.1945 wieder ihren alten Namen. Seitdem wurde die Biegenstraße nicht erneut umbenannt. Damals wie heute bildet die Biegenstraße eine der Hauptverkehrsachsen Marburgs und verbindet den Pilgrimstein mit der Deutschhausstraße. Damals wurde die Biegenstraße vor allem für Wohnzwecke ausgebaut, heutzutage befinden sich dort viele Geschäfte, Restaurants und einige Gebäude der Philipps-Universität Marburg. Zu den prominentesten Institutionen und Gebäuden zählen das Kunstgebäude, das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte, das Kunstmuseum und natürlich das Erwin-Piscator-Haus, welches für die Marburger Stadtgesellschaft gebaut wurde und für viele Veranstaltungen dient
Anmerkungen
(1) NSDAP: Abkürzung für Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, welche die politische Partei der Nationalsozialisten in den Jahren 1919-1945 bildete.
(2) Abkürzung für Sturmabteilung, paramilitärische Kampf- und Propagandatruppe der NSDAP, aus bereits seit 1920 bestehenden Parteikampfgruppen organisiert und beauftragt, Störungen von Parteiversammlungen mit Gewalt zu bekämpfen sowie gegnerische Versammlungen mit terroristischen Mitteln zu stören, s. https://www.wissen.de/lexikon/sa-geschichte
Quellen
Archivschule Marburg. (21. 9 1997). Von https://archivschule.asprit.de/DE/forschung/kursprojekte/marburger#strassennamen/biegenstrasse.html abgerufen (Letzter Zugriff: 10.05.19 Uhr)
Conrad, T. (21. 04 2013). OP Marburg. Von https://www.op-marburg.de/Marburg/Der-braune#Terror-erfasste-alle-Bereiche#:~:text=NS-Zeit%20in%20Marburg%20-
%20Der%20braune%20Terror%20erfasste,braunen%20Terror%2C%20die%20Mehrhei
t%20feierte%20Reichskanzler%20Adolf%20Hitler. abgerufen (Letzter Zugriff:
17.05.2022)
myHeimat. (2022). myHeimat. Von Bürger berichten aus Marburg:
https://www.myheimat.de/marburg/politik/marburger-oberbuergermeister-teil-10-
eugen-siebecke-1945-1946-d2766713.html#:~:text=1945%20wurde%20Eugen%20Siebecke%20zum%20Oberb%C
3%BCrgermeister%20von%20Marburg,der%20Universit%C3%A4tsstadt%20einsetzte
n%2C%20sind% abgerufen (Letzter Zugriff: 17.05.2022)
Rüden, K. v. (22. 1 2018). Studentisches Magazin um Stadt und Uni Marburg. Von
https://philippmag.de/braune-lahnstadt-nationalsozialismus-in-marburg abgerufen
(Letzter Zugriff: 10.05.2022; 19 Uhr)
Uhde@staff.uni-marburg.de. (21. 9 1997). Archivschule Marburg. Von
https://archivschule.asprit.de/DE/forschung/kursprojekte/marburger#strassennamen/biegenstrasse.html abgerufen (Letzter Zugriff: 17.05.2022)
Uni-Marburg. (2022). Von https://www.uni#marburg.de/de/universitaet/service/lageplaene/biegenstra abgerufen (Letzter Zugriff: 17.05.2022)
Wikipedia. (2020). Von Hans Krawielitzki: Diese Seite wurde zuletzt am 14. November 2020 um 18:07 Uhr bearbeitet abgerufen (Letzter Zugriff: 17.05.2022)
Wikipedia. (14. 11 2020). Hans Krawielitzki. Von
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Krawielitzki abgerufen (Letzter Zugriff: 17.05.2022)
Bildquellen
https://archivschule.asprit.de/DE/forschung/kursprojekte/marburger-strassennamen/biegenstrasse.html (Letzter Zugriff 17.05.2022)
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