Schückingstraße / Weißenburgstraße
von Hanna Leibfried
Die Schückingstraße im Marburger Südviertel, welche nach Walter Schücking (1875 – 1935) benannt ist und bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges und der amerikanischen Besetzung Marburgs unter dem Namen Weißenburgstraße bekannt war, liegt zwischen der Schwanallee und der Friedrichsstraße.
Kurzinfo
Die Schlacht bei Weißenburg (1870), welche Deutschland gewann, markiert den Beginn des Deutsch-Französischen Krieges und die sogenannte „Erbfeindschaft“ zwischen den Völkern.
Walter Schücking war liberaler Politiker und Völkerrechtler und setzte sich für internationale Freundschaft, die Gleichstellung der Geschlechter und die Trennung von Staat und Kirche ein.
Die Schlacht bei Weißenburg (französisch Wissembourg), welche am 4. August 1870 begann, markiert den Anfang des Deutsch-Französischen Krieges und befeuerte die “Erbfeindschaft”, die eine bedeutende Rolle für die Geschichte Deutschlands spielt.
Noch vor der Reichsgründung 1871 kämpfte im Elsass erstmals ein gesamtdeutsches Heer, welches aus 22 Bataillons bestand, gegen das französische, bestehend aus nur 11 Bataillonen. Die Schlacht fand in der Nähe des Grenzortes Weißenburg statt, welcher auch als „Tor zum Elsass” bezeichnet wird.
In der zwei Tage andauernden Schlacht wurden ungefähr 700 deutsche und über 1000 französische Soldaten getötet oder schwer verletzt. Dieser Kampf stellte sich schließlich als ungleich heraus, da das französische Heer, welches zunächst noch auf die Unterstützung der anderen Mächte Europas vertraut hatte, alleine gegen das geeinte deutsche Heer kämpfen musste und daher unvorbereitet und überrascht in die Schlacht ging.
Die Schlacht bei Weißenburg endete mit dem Sieg Deutschlands über Frankreich, der weitreichende Folgen mit sich trug. Nur wenige Tage später gewann die deutsche Armee sowohl die Schlacht in Spichern, als auch die Schlacht in Wörth und konnte schließlich das gesamte Elsass besetzen.
Noch während des Krieges wurde am 18. Januar 1871 das Deutsche Kaiserreich im Spiegelsaal von Versailles proklamiert.
Walther Schücking lebte von 1875 bis 1935. Er war liberaler Politiker, Völkerrechtler, Pazifist und als erster und einziger Deutscher (über die Dauer von vier Jahren) von 1931 bis zu seinem Tod 1935 Richter am Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag.
Schücking wuchs in Burgsteinfurt und Münster auf und bestand sein Abitur 1894 in Münster mit ausgezeichneten Ergebnissen. Nach seinem Studium der Staats- und Rechtswissenschaften wurde Schücking 1900 zunächst an die Universität Breslau und dann 1903 als ordentlicher Professor an die Universität Marburg berufen. Hier lehrte er Staats-, Kirchen-, Verwaltungs- und Völkerrecht. Anders als die konservativen Professoren der juristischen Fakultät war Schücking liberal orientiert und wurde Vorsitzender der Fortschrittlichen Volkspartei. Schließlich schloss das Preußische Kultusministerium ihn dauerhaft aus der Juristischen Prüfungskommission aus, weil er gegen die behördliche Enteignung polnischen Grundbesitzes protestiert hatte. Allgemein wendete er sich gegen die „Verpreußung“ und die Anpassung an den Preußischen Staat und forderte moderne Ideen, wie die Gleichstellung der Frau und die Trennung von Staat und Kirche. Weiterhin setzte er sich für die Vereinigung von Nationalismus und Internationalismus ein und entwickelte sogar die Idee einer Weltorganisation. Des weiteren schloss er sich der Deutschen Friedensgesellschaft an und versuchte im Ersten Weltkrieg einen Verständigungsfrieden zu erlangen. 1915 untersagte ihm das Generalkommando Kassel, seine Ideen über eine internationale Organisation zu vertreten und Reisen ins Ausland zu machen.
Nach Ausrufung der Republik trat Schücking der DDP (Deutsche Demokratische Partei) bei. Aufgrund seines internationalen Ansehens und seinem Dasein als Völkerrechtler nahm er an den Versailler Friedensverhandlungen als einer der Hauptdelegierten teil, war jedoch von deren Ausgang enttäuscht. Dennoch trat er weiter für seine Idee eines Völkerbundes ein.
1921 wurde Schücking, dessen politische Karriere durch die jeweiligen Fakultäten gebremst wurde, an die Handelshochschule in Berlin und 1926 an die Universität Kiel berufen, wo er sich weiter mit seinem Ziel „Völkerbund“ beschäftigte.
1930 wurde Schücking Richter am Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten beraubten diese Schücking 1933 seines Lehrstuhls. Schücking starb 1935 in Den Haag.
Info:
Deutsch-Französischer Krieg 1870-1871
Als Deutsch-Französischen Krieg bezeichnet man die militärische Auseinandersetzung, die von 1870 bis 1871 zwischen den zuvor rivalisierenden Großmächten in Europa, Frankreich und „Deutschland“, geführt wurde. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch kein “Deutschland” als Nationalstaat, sondern nur verschiedene Bündnisse, wie zum Beispiel den 1870 gegründeten Norddeutschen Bund, die die einzelnen deutschen Staaten lose verbanden. Als Otto von Bismarck schließlich zum Ministerpräsidenten Preußens wurde, änderte sich dies, denn er strebte einen deutschen Nationalstaat mit Preußen in Vormachtstellung an.
Der französische Kaiser Napoleon der III. fühlte sich von dem zunehmenden Zusammenschluss der deutschen Staaten bedroht. Als es schließlich in Spanien einem Konflikt um die Thronfolge kam, bei dem unter anderem ein preußischer Thronfolger (Hohenzollern) in Erwägung gezogen wurde, wollte Napoleon dies verhindern, da Frankreich sonst von Konkurrenten (Spanien & Preußen) umschlossen gewesen wäre. Daraufhin bat er Bismarck in einem Telegramm darum, die Familie Hohenzollern auf ihre Thronfolge verzichten zu lassen. Bismarck kürzte das Telegramm und veröffentliche dieses (als Emser Depesche berühmt geworden), was Napoleon als Beleidigung verstand und daraufhin Preußen am 19. Juli 1870 den Krieg erklärte.
Zwei Wochen später fand die erste Schlacht bei Weißenburg statt. Mit dem Krieg wollte Bismarck die zuvor an Frankreich verlorenen Gebiete Elsass und Lothringen zurückerobern und außerdem den Zusammenhalt der deutschen Staaten stärken.
Deutsch-französische „Erbfeindschaft“
Der Begriff deutsch-französische „Erbfeindschaft“ sollte die feindliche Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland verdeutlichen. Er hat seinen Ursprung im 16. Jahrhundert und wurde im Deutsch-französischen Krieg populär. Des Weiteren hatte diese Idee Einfluss auf die Gründung des deutschen Nationalstaates im 19. Jahrhundert und fand im Ersten Weltkrieg erneut Anklang. Durch den Begrifft sollte dargelegt werden, dass Konflikte nur mit Gewalt zu lösen seien.
Warum eine Umbenennung?
Um die Umbenennung von Straßen gibt es teils heftige Diskussionen. Was tun, wenn eine Straße den Namen einer zur heutigen Zeit kritisch betrachteten Person oder eines bedenklichen Ereignisses trägt?
Fest steht, ein so unwichtig erscheinendes Schild an eine Straßeneinfahrt, kann eine Person ehren, die beispielsweise am Genozid von 6 Millionen Menschen beteiligt war. Oder es hält Sprache am Leben, von der wir jetzt wissen, dass sie nicht politisch korrekt ist.
Eine Umbenennung solcher Straßen kann von politischer Auseinandersetzung und Abgrenzung zeugen. Sie kann aber auch Anwohner verwirren oder dafür sorgen, dass es zu gar keiner Auseinandersetzung mit einem kritischen Thema kommt. Wo jedoch die Grenze zwischen notwendigen Umbenennungen liegt und nach welchen Kriterien diese vorgenommen werden müssen, wird stetig diskutiert.
Am hier thematisierten Beispiel kann man das Durchsetzung einer Umbenennung sehen.
Die ehemalige Weißenburgstraße heißt nun Schückingstraße.
Es lässt sich vermuten, dass diese Entscheidung mit Blick auf die deutsch-französische Aussöhnung getroffen wurde, denn die Erinnerung an die Schlacht bei Weißenburg streute Salz in alte Wunden. (…) Während der ehemalige Name der Straße an eine Spaltung der zwei Länder erinnerte, ehrt der neue Walther Schücking, der stets für Verständigung der Völker eintrat. Diese Umbenennung unterstreicht die positive Veränderung der Beziehung, anstatt an alten „Feindschaften“ festzuhalten.
Quellen
Friedrich, Klaus-Peter u,a,: Zur Geschichte und Nachgeschichte der „Marburger Jäger“. Marburger Geschichtswerkstatt. Marburg 2013. Link: aaa_geschichtswerkstatt_marburg_zur_geschichte_und_nachgeschichte_der_marburger_jaeger_gesamt.pdf
https://dewiki.de/Lexikon/Schlacht_bei_Wei%C3%9Fenburg_(1870)
Weinreich, Thomas: “Deutsch-französische Erbfeindschaft” und "deutsch-französische Freundschaft". Von tief wurzelnden Konflikten hin zu freundschaftlicher Nähe. Hausarbeit 2018
Link: https://www.grin.com/document/464381
https://himmelsleiter.evdus.de/von-der-maas-bis-an-die-memel/
https://www.routeyou.com/de-fr/location/view/47858789/schlacht-bei-weissenburg
https://www.wochenblatt-reporter.de/bad-bergzaberner-land/c-lokales/bombenkrieg_a251254
https://dewiki.de/Lexikon/Schlacht_bei_Wei%c3%9fenburg_(1870)
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/das-reich/deutsch-franzoesischer-krieg-187071.html
https://www.bismarck-stiftung.de/tag/deutsch-franzoesischer-krieg-187071/
https://www.geschichte-abitur.de/lexikon/uebersicht-reaktion-dualismus/deutsch-franzoesischer-krieg
https://www.paris360.de/magazin/erbfeindschaft-deutschland-frankreich
https://www.marburg.de/portal/seiten/marburger-beruehmheiten-mit-strassennamen-900001879-23001.html
Bildnachweis
Bild 1: Schlachtszene, die entweder die Schlacht bei Weißenburg (4. August 1870) oder die Schlacht bei Wörth (6. August 1870) darstellt. Christan Sell (1831-1883)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b6/Christian_Sell_-_Wei%C3%9Fenburg_oder_W%C3%B6rth%2C_1871.pngFehler! Linkreferenz ungültig.
Bild 2: Germania auf der Wacht am Rhein, Gemälde von Lorenz Clasen, 1860
„Lieb Vaterland magst ruhig sein, fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein!“
- Die deutsch-französische Feindschaft wurzelte tief in der Geschichte beider Länder.
https://de.wikipedia.org/wiki/Lorenz_Clasen#/media/Datei:Lorenz_Clasen_1860_-_Germania_auf_der_Wacht_am_Rhein.png (Lorenz Clasen 1860: Germania auf der Wacht am Rhein)
Bild 3: Walther Schücking
https://cau.gelehrtenverzeichnis.de/person/53849c6d-5474-eef7-d9f2-4d4c60c3a221
(20.05.22, 16:14 Uhr)
alle Links: 11.7.2022, 12:19
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.