Im Jahr tausend vierhundert dreißig eins des Herren am Montag nach unseres Herren Himmelfahrt haben Conrad Synning und Gerlach Schonenbach, Bürgermeister zu Marburg, Schöffen, Rat und die Vier, einträchtig im Rathaus zusammengesessen und sind darüber eingekommen, wie es von jeher gewesen und gehalten ist, wie ein Schulmeister und sein Unterschulmeister es mit ihren Schülern, die Bürgerskinder sind, halten sollen und was sie von den selben Bürgerskindern als Lohn nehmen sollen.
- Ein Bürgersohn, der es hat, soll dem Oberschulmeister ein Jahr als Lohn acht Turnose [=6,6 Schilling, ein Betrag zwischen 3 und 6 Euro] der Marburger Währung geben. Wer nicht alles geben kann, von dem soll der Lehrer nehmen, was redlich ist. Und das Bürgerkind, das in der Stadt um Brot ansteht, braucht keinen Lohn zu geben.
- Der Bürgersohn, der es hat, soll seinem Hilfslehrer, von dem er unterrichtet wird, alle 14 Tage zur Speisung einen Heller [etwa ein Euro] geben.
- Der Bürgersohn, der es hat, soll jeden Tag zwei Brote geben, ausgenommen in der Fastenzeit.
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- Vor Ostern, wenn man die Schüler wegschickt, soll ein jeder Schüler zwei Heller geben und nicht mehr.
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- Ein Schulmeister soll zuerst und zuvor die Kinder der [Marburger] Bürger getreulich unterrichten, bevor er die Fremden bildet, und er soll seinem Unterschulmeister auftragen, gleiches zu tun. [...]
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- Ein Schulmeister soll darauf achten, dass alle seine Schüler, die am Chorgesang teilnehmen, jeden Tag zur Messe und zur Vesper kommen, sie seien Bürgerkinder oder Fremde.
- Ein Schulmeister soll mit seinem Unterschulmeister und mit seinen Schülern jeden Sonntag und an allen Feiertagen das ganze Jahr hindurch in der Pfarrkirche die Frühmesse singen und an allen Tagen im Jahr das Hochamt und die Vesper. Ein Schulmeister soll auch dafür sorgen, dass in der Kirche richtig gesungen wird, ohne alle Konfusion.
- Kein Bürgersohn soll einem Oberschulmeister oder Unterschulmeister Geld und Wertsachen geben, um von der Frühmesse an den Sonn- und Feiertagen befreit zu werden.
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- Der Oberschulmeister, seine Hilfslehrer und alle Schüler sollen jeden Sonntag und an allen Feiertagen in die Messe gehen.
- Ein Schulmeister und Unterschulmeister sollen alle ihre Schüler dazu anhalten, sich im Chor züchtig zu benehmen und nicht zu raufen und sich nicht zu ziehen und zu stoßen. [...]
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- Kein Schüler soll dem Lehrer Holz aus dem Wald holen.
- Kein Lehrer darf mehr Lohn von seinen Schülern fordern als festgelegt.
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- Ein Schulmeister soll seine Schüler zu ordentlichem Benehmen anhalten und zu Ordnung erziehen.
- Auch soll ein Schulmeister seine Schüler dazu ernstlich anhalten, alle Gesangbücher oder alle anderen Bücher, die sie aus der Kirche mit in die Schule nehmen, reinlich zu bewahren; kein Schüler soll seine Hände oder Arme darauflegen, sie sollen sie auch nicht zerreißen oder zerschneiden und ihnen keinen Schaden zufügen.
Großes Stadtbuch Blatt 12; Abschrift von Heinrich von Homberg.
Arbeitsaufträge:
- Welchen Pflichten mussten die Schüler nachkommen?
- Welche Fächer bzw. Fähigkeiten werden in der Marburger Stadtschule wohl gelehrt?
- Was sagt dir Artikel 12 über das Verhalten einiger Jungen?
- Überlege, welche Eltern ihre Kinder die Stadtschule besuchen lassen?
- Wie empfindest du die enge Verzahnung von Schule und Kirche? Was könnte der Grund für sie sein?
- Schreibe einen Brief an einen Schüler des Jahres 1431 und berichte ihm, was sich im Vergleich zu deinem heutigen Schulalltag verändert hat.
Erläuterungen:
Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts stand die Stadtschule den Bürgersöhnen offen, beaufsichtigt wurde sie von Bürgermeister und Stadtrat.
Der Schulmeister war ein städtischer Bediensteter, der bei Amtsantritt ein einmaliges Handgeld, den sog. Mietpfennig erhielt. Ursprünglich handelte es sich bei der Lehrtätigkeit um ein geistliches Amt, so wurde es auch überwiegend von Geistlichen ausgeübt.
Der Unterschulmeister wurde in der Regel direkt vom Oberschulmeister auf eigene Kosten angestellt. An beide Lehrer mussten die Schüler das Schulgeld bezahlen. Zudem mussten sie Naturalabgaben in Form von kleinen Broten sowie Holz für den Ofen (im Winter) und Kerzen zur Beleuchtung aufbringen.
Überwiegend Söhne aus Familien erfolgreicher Kaufleute oder wohlhabender Handwerker, deren Mitarbeit zu Hause nicht benötigt wurde, besuchten die Schule. Hier sollten sie die notwendigen Fähigkeiten erwerben, um einen Beruf in Handel oder Gewerbe ausüben zu können (Lesen, Schreiben, Rechnen, Buchhaltung), aber auch um auf einen Besuch der Universität vorbereitet zu sein.
Aus der Quelle geht jedoch hervor, dass auch weniger begüterte Jungen aufgenommen wurden. Zudem erhielten auch Söhne aus dem Umland und anderen Stäten die Möglichkeit, die Stadtschule zu besuchen.
Ende des 15. Jahrhunderts zählte die Schule etwa 80 bis 100 einheimische Kinder, die Einwohnerzahl lag bei ungefähr 2500 Personen.
Kennzeichnend für die Stadtschule ist die enge Verzahnung von Schule und Kirche bzw. gottesdienstlichem Leben. U.a. mussten die Schüler täglich in die Messe gehen und im Gottesdienst singen, was auf eine städtische Kultur verweist, die religiös-kirchlich geprägt ist.
Das Schulhaus am heutigen Lutherischen Kirchhof 3 wurde jedoch von der Stadt finanziert.
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