Wir, Philipp, von Gottes Gnaden Landgraf zu Hessen, Graf von Katzenellenbogen, veranlassen zu wissen, dass wir aus ernsthaften Gründen nachfolgende Ordnung und Satzung geben, [...], die also befolgt werden soll,während bei Zuwiderhandlung dabeigeordnete Bußen und Strafen unnachlässig folgen.
- Es soll keiner, sei es Hofgesinde, Student, Bürger oder ein anderer, den andern verachten oder mit bösen Worten bedenken, auch nicht schlagen oder herausfordern, sondern sich gegeneinander friedlich und gütlich verhalten.
- Wer bei Nacht über die Gassen gehet, soll Kerzen, Licht oder Leuchten tragen und still und züchtig sein, nicht rufen, juchzen oder schreien, auch vor niemandes Häusern auflaufen, Fenster einschlagen oder –werfen.
- Beide Artikel sollen verboten sein bei Pein vier Wochen lang im Turm zu sitzen und mit Wasser und Brot gespeist zu werden.
- Es soll keiner, er sei, wer er wolle, Student oder Bürger, bei der Nacht unter den Kleidern Feuerbüchsen tragen, bei Verlust des Kopfes.
- Kein Student soll Winterszeit, nach sieben Uhr des abends, auf der Gasse gehen und Sommerszeit nach neun Uhr. Welche dennoch die Gasse betreten, die soll der Wachtmeister aufgreifen und dem Rektor überantworten, dass der Rektor dieselbigen in Haft nimmt und bestraft.
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- Wer verursacht, dass einer den anderen tot oder wund schlägt, es sei eine Student, Bürger oder ihr Gesinde, derselbige soll, er sei, wer er wolle, herauf in unser Schloss geführt, daselbst festgehalten und deswegen bestraft werden.
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- Und damit diese unsere Ordnung durchgesetzt wird, Frieden und Ruhe erhält, so haben wir aus gnädiger Wohlmeinung verordnet und wollen, dass alle Nacht fleißige Wacht in unserer Stadt Marpurg gehalten werde, deswegen haben wir einen Wachtmeister eingesetzt.
- Dieser unser Wachtmeister soll alle Nacht mit fünfzehn Personen aus unserer Bürgerschaft zu Marpurg durch die Stadt wachen.
Gegeben den fünfzehnten Oktober anno domini 1557
Philipp I. zu Hessen
Arbeitsaufträge:
- Lies noch einmal das Vorwort Philipps und überlege, was der Anlass für die Polizeiordnung gewesen sein könnte.
- Warum war es wohl nötig, in der Nacht eine Kerze oder einen Leuchter bei sich zu tragen?
- Überlege, warum der Landgraf so genau ausführt, was in der Stadt verboten ist.
- Empfindest du die in Artikel 3 und 4 beschriebenen Strafen als gerecht? Argumentiere dabei auch aus damaliger Sicht und bedenke die Signalwirkung dieser Strafen.
- Verfasse einen Brief an einen Jungen oder ein Mädchen im Marburg des Jahres 1557 und schildere ihm/ihr, wie es in Marburgs Straßen heute zugeht und welche Regeln die Stadt für das Miteinander aufgestellt hat.
Erläuterungen:
Die innere Ordnung der Stadt war klar geregelt und die soziale Kontrolle streng, um ein förderliches Zusammenleben ermöglichen zu können.
Ein Arbeitstag betrug im Sommer die Zeit zwischen Sonnenauf- und Untergang, im Winter war die Arbeitszeit kürzer, da in der Nacht nicht gearbeitet werden durfte. Jedes offene Licht hätte einen Brand auslösen können, wie es im Jahr 1319 geschah. Damals brannten alle Häuser der Oberstadt ab. Das erste danach errichtete Gebäude aus dem Jahr 1321 ist das Haus Hirschberg Nr.13.
Das in Artikel 2 formulierte Gebot, nachts Kerzen oder Leuchten dabei zu haben, verweist darauf, dass es in der Stadt keine Beleuchtung gab und die Straßen in einem völligen Dunkel lagen. Die Oberstadt erhält erstmals im Jahr 1808 20 Straßenlaternen.
Nächtliche Störungen und gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Bürgern und Studenten (z.T. sogar mit Toten und Verletzten) waren an der Tagesordnung. Die von Philipp verfügte aufzustellende Bürgerwehr, die einem beträchtlichen Aufwand gleichkommt, sollte diesen entgegenwirken und zwischen Ritterstraße und Untergasse, Barfüßer Tor und Wettergasse kontrollieren, um die Sicherung der öffentlichen Ordnung zu gewährleisten. Aus den Artikeln geht ebenso hervor, dass die Universität noch eine eigene Gerichtsbarkeit hatte (Art.5).
Für Philipp den Großmütigen (1504-1567) sollte die Universität die Erziehung von jungen Männern zu leistungsfähigen und verlässlichen Staats- und Kirchenbeamten im eigenen Land leisten. Auch deshalb ist das ungebührliche Verhalten der Studenten nicht tolerierbar, die "prediger [...] und andere gelerten leute" werden sollten, "die der christlichen gemein und landen und leuten dienen mochten".
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