17. (§ 17)
§. 17.
Es wird demnach, um zu einer gründlichen und definitiven Beurtheilung zu gelangen, nöthig seyn, das Uibel bis in seine Quellen zu verfolgen, und zu diesem Behüte vor allem die Ursachen zu erforschen, aus welchen dasselbe hervorgegangen ist. Diese Untersuchung darf, wenn sie erschöpfend seyen soll, nicht einseitig auf den Ursprung der zu Tage gekommenen politischen Verbrechen sich beschränken, sondern sie muß, da jene in der Regel gewissermaßen nur die letzten Consequenzen einer, aus der inneren und äußeren Geschichte der sittlichen und geistigen Bildung, den bürgerlichen und häuslichen Verhältnissen eines Volkes sich entwickelnden fehlerhaften Richtung und Meinung betreffenden Individuen sind, auch hierauf die geeignete Rücksicht nehmen. Wir glauben uns jedoch diesfalls hier auf nachstehende Andeutungen beschränken zu dürfen: Die Ursachen, welche in früheren Jahrhunderten mitunter Empörungen herbeigeführt haben, übermäßige Höhe und ungerechte vertheilung der Abgaben, Misshandlungen und Bedrücken der Unterthanen, Cabinetsjustiz und ähnliche matrielle Beschwerden, finden in Deutschland nirgends statt. Deutschland hat von den Wunden und Opfern, die zwanzig verhängnißvolle Kriegsjahre ihm zugezogen, in einer bereits oben so lange, gesegneten Friedenszeit, vollständig sich erholt, und verdankt der Weisheit, Gerechtigkeit und Humanität seiner erhabenen Beherrscher einen Zustand, welcher die Vergleichung mit keinem anderen Lande der Welt zu scheuen hat. Wir können uns diesfalls jeder Ausführungen um so mehr enthalten, als die Wahrheit des eben gesagten selbst von den Feinden der bestehenden Regierungen zugestanden wird. Uibrigens konnte es nicht fehlen, daß die Erschütterungen jener ereignißreichen Periode, welche im raschen Wechsel, Staaten entstehen und verschwinden sah, und so viele ehrwürdige Lande des seit Jahrhunderten bestandenen löste, bei dem Volke den Glauben an die Unantastbarkeit der bestehenden Staatsherren schmähen müsste, und dass, auch nachdem Deutschland durch die Bundesacte vom Jahre 1815 seine jetzige feste und bleibende politische Gestaltung erhalten hatte, der neue Zustand der Dinge nicht augenblicklich alle Gemüther zu beruhigen, alle Wünsche und Interessen zufrieden zu stellen vermochte. Indessen wäre solches dennoch bälder der Fall gewesen, wenn nicht gleichzeitig mit der Entstehung des deutschen Bundes die Presse jene unselige, alle Begriffe und Gefühle verwirrende Thätigkeit zu entwickeln begonnen hätte, welche zuerst an das kom[m]ende Zeitalter die übertriebensten Hoffnungen und Wünsche knüpften, hiernächst an das, was zur Realisierung der Volkswünsche geschah, einen fremden unpassenden Maßstab legte, und zulezt in jenen fortwährenden heftigen Kampf gegen das Bestehende ausartete, dessen wir oben /. §. 3 :/ bereits erwähnt haben. Die nachtheilige Wirkung der Presse wurde vermehrt durch die Halbwisserei, den Dünkel und die Anmaßung, welche die Schattenseiten der in neurer Zeit fast über alle Classen der bürgerlichen Gesellschaft verbreiteten politischen Aufklärung bilden. Hinzu gesellten sich die in Deutschland leider einheimisch blinde Bewunderung des Fremden und Geringschätzung des Eigenen, so wie die geistige Knechtschaft, in welcher die Parthei, deren Lösungswort: “die Freiheit“ ist, sich gegenüber von Frankreich befindet. Das Vaterland der Moden gilt ihr zugleich auch als die Schule politischer Weisheit und Bildung, und mit Bedauern muß man gestehen, dass unsere deutschen „Liberalen“ in der Frivolität bei Beurtheilung und Behandlung politischer Gegenstände, in der Sucht maßloser und systematischer Opposition gegen die Regierungen und in dem Hange zu Conspirationen und Emeuten ihrer französischen Vorbilder Ziemlich nahe gekom[m]en sind. Weitere Erklärungsgründe der Empfänglichkeit, insbesondere der unteren Volksklassen, für revolutionäre Umtriebe, bilden: der so häufige Mangel an Fertigkeit der (unleserlich) religiösen Überzeugungen, die mit den politischen Gesinnungen so innig zusam[m]enhängen, die fühlbare Abnahme einer guten und strengen Kinderzucht, der an die Stelle der früheren Einfachheit der Sitte und Lebensweise fast allenthalben getretenen Luxus und die herrschende Genusssucht, die, wo sie keine Befriedigung findet, so leicht in Mißbehagen, Neid und Drang nach Veränderung übergeht, überhaupt der zunehmende Egoismus, der keine Schranken achtet, so wie endlich der durch den außerordentlich erleichterten und vermehrten gegenseitigen Einfluß der Zeitereignisse in den übrigen Staaten von Europa. Außer diesen allgemeinen Ursachen gibt es aber auch noch einige spezielle, welche hier nicht unerwähnt bleiben dürfen. Wir rechnen hinzu vor allem: r, die großen Gebrechen des deutschen Schul- und Universitäts- Wesens, welche längst die Aufmerksamkeit der hohen Bundesversam[m]lung auf sich gezogen, und von denen die k. k. oesterreichischen Präsidial-Verträge vom 20. Sept. 1819 und 16.Aug. 1824 ein Bild entworfen haben*) welches mit unseren eigenen Wahrnehmungen und gesam[m]elten Erfahrungen so sehr übereinstim[m]t, daß wir ausdrücklich hierauf Bezug zu nehmen uns erlauben. Das sofort unter dem 20ten Sept. 1819 erlassene, unter dem 16. Aug. 1824 und 5ten Juli 1837 wiederholt eingeschärften provisorische Bundesgesetz in Betreff der Universitäten hatte nur den Zweck, dem nächsten und unmittelbar drohenden Uibel zu begegnen, und es wurde hierbei eine weitere und erschöpfende Erörterung der für die Wissenschaft und das öffentliche Leben, für das Familienwohl und die
*.) Vergl. u, Meyer Staatsleben für Geschichte und öffentliches Recht des deutschen Bundes Thl. II. S. 129-131. 251-254.
Festigkeit der Staaten gleich wichtigen Frage: wie den Gebrechen des gesam[m]ten Schulunterrichts- und Erziehungswesens in Deutschland gründlich abgeholfen sey ausdrücklich vorbehalten. Indessen würde auch schon die Bestim[m]ungen jenes (unleserlich) Gesetzes, durch welches eine strenge Aufsicht über die akademischen Lehrer und Schüler, die Entfernung pflichtvergessener Lehrer von ihren Stellen, so wie die Unterdrückung der allgemeinen Burschenschaft und ähnlicher geheimen Studenten- Verbindungen beschlossen wurde, die wohltätigsten Folgen geäußert haben, wenn solche allenthalben mit dem Eifer und der Sorgfalt vollzogen worden wären, welche zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks erforderlich waren. Hinzu mochte es aber wohl an manchen Universitäten sehr gefehlt haben, wenigstens ließe sich außerdem kaum erklären, wie die Burschenschaft, gleichsam unter den Augen der Behörden, auf das Neue sich constituiren und der politische Schwindel ihrer Mitglieder einen hohen Grad erreichen konnte, wie aus unserer aktenmäßigen Darstellung /: §. 6. 9. 10. 13 :/ ersichtlich ist. Die Läßtigkeit oder (Comirenz?) so wie die Wahrnehmung, daß die von den Universitätsbehörden geführten Untersuchungen wegen burschenschaftlicher Verbindung in der Regel nicht mit Energie und Gründlichkeit behandelt worden, welche zur Erforschung der Wahrheit nöthig sind, haben uns schon in unserem gehorsamsten Berichte vom 20ten März 1834 zu der unvorgreiflichen Bemerkung veranlasst, daß die Competenz jener Behörden auf einfache, in das Gebiet der Schulzucht fallende Disciplinargegenstände zu beschränken, die Untersuchung und Bestrafung aller sonstigen Vergehen der Studierenden aber den ordentlichen Polizei- und Gerichtsstellen zu Übertragen seyn möchte nach dem Art. 13 der unter dem 13ten Nov. 1834 beschlossenen gemeinsamen Maßregeln in Betreff der Universitäten soll jedoch die Erkennung aller eigentlichen akademischen Strafen, wozu auch die nach Art. 8 auf die Theilnahme an burschenschaftlichen Verbindungen gesetzte geschärfte Relegation gehört, den akademischen Gremien verbleiben; auch ist die Entscheidung darüber: ob eine gegen Studenten vorliegende Anschuldigung als criminell zu betrachten und demnach an die Gerichte zu übergeben, oder als disciplinarisch abzurügen sei, ihrem Ermessen, beziehungsweise ihrer Willkühr überlassen. Wir müssen daher der Zukunft überlassen, in wiefern solche die Besorgniß des verderblichen Verbindungswesen der Studierenden nicht mit gehörigem Nachdruck begegnet werden dürfte, rechtfertigen werde oder nicht. Jedenfalls aber geben wir gerne zu, dass auch die von uns zu beantragte Beschränkung der akademischen Strafgewalt noch keine hinreichende Bürgschaft gegen eine abermalige Erneuerung der beklagens werthen Verirrungen der studentischen Jugend darbieten würde. Der Grund des Uibels liegt viel tiefer und kann wohl nur in der, einer längst vergagenen Zeit angehörenden eigenthümlichen Organisation der deutschen Universitäten, in der Stellung der Lehrer sowohl den Regierungen als auch ihren Schülern gegenüber, und in der sogenannten akademischen Freiheit der ersten gefunden werden. Wir sind weit entfernt, die großen Verdienste zu bestreiten, welche die deutschen Universitäten um die Wissenschaft, um die Cultur und um den Staatsdienst sich erworben haben; allein es ist klar, daß eine Anstalt, deren Einrichtung sich vor Jahrhunderten als vortrefflich erprobt, darum nicht auch heute, nachdem die Verhältnisse und der Geist der Personen sich so sehr geändert haben, als tadellos erscheinen. Auch darf man sich durch das Geschrei, welches bei dem Wort: „Reform der Universitäten“ von gewissen Seiten sich zu erheben pflegt, um so weniger abhalten lassen, den unleugbar bestehenden Gebrechen dieser Anstalten auf den Grund zu sehen, als gerade die „liberale“ Parthei den darmaligen Zustand der Universitäten in Schutz nim[m]t, beweißt, welchen Beistand sie sich von denselben für ihre, dem monarchischen Prinzip feindlichen Absichten und Zwecke verspricht, und als ferner eine gründliche Hebung der vorhandenen Missbräuche ja unbedacht des Wesens jener ehrwürdigen Lehrinstitute stattfinden könnte. Notorisch ist, daß viele Universitätslehrer sich durch Lehre und Schrift in eine feindliche Opposition mit den bestehenden Regierungen gesetzt haben, andere aber genug zu thun glaubten, wenn sie in dem Kampf der Meinungen eine vornehme Neutralität beobachteten, während nur wenige politisch dahin zu wirken suchten, den Gemüthen ihrer jungen Zuhörer Liebe und Ehrfurcht für das Bestehende einzuflößen. Diese unerfreuliche Erscheinung erklärt sich zum Theile daraus, dass der Besuch der Collegien und damit auch das Einkom[m]en der Professoren von dem Beifalle abhängt, welchen die Vorträge jener, nicht bei Regierungen, sondern bei den Studierenden finden. Die sogenannte akademische Freiheit, d. h. die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit, deren die studierenden in Absicht auf die Wahl und den Besuch der Collegien, das Privatstudium, den Umgang und die sonstige Lebensweise genießen, datiert sich von einer Zeit, wo die Studierenden noch nicht, wie jetzt, schon in einem Alter von 17 bis 18 Jahren die Universität bezogen, und hat auch längst die begründete Klage veranlasst, dass infolge dieser Freiheit viele Studierende sich einem müßigen, leichtsinnigen Leben ergeben, und noch weit mehrere während ihrer Studienzeit wenigstens nicht so viel lernen, als in ihrem, wie in dem Interesse des Staats zu wünschen wäre. Heutigen Tags bietet aber jene Freiheit noch den wieteren Nachtheil dar, daß wie traurige Erfahrungen nun wiederholt gezeigt haben, schlaue Demagogen der unbewachten, unerfahrenen Jugend sich bemächtigen, und solche für ihre revolutionären Bestrebungen zu mißbrauchen, und den Regierungen die Gemüther derjenigen zu entfremden, denen sie in der Folge ihre wichtigsten Interessen anzuvertrauen genöthigt sind. Der Werth, welchen man der gedachten Freiheit in Absicht auf die Bildung und Selbständigkeit des Charakters beizulegen pflegt, wird wohl häufig überschätzt und dabei übersehen, daß, wie unzählige Beispiele der In- und Auslandes beweisen, auch aus anders organisierten Lehranstalten gelehrte und patriotisch gesinnte, unabhängige Männer hervorgehen können. Wenn endlich auf die Frage: Was für die Erhaltung und Treue und der bestehenden Verfassungen, so wie für die Ruhe Deutschlands sich hoffen lasse, wann die mißgeleitete neue Generation, mit Geringschätzung und Widerwillen gegen die bestehende gesetzliche Ordnung erfüllt, in den verschiedenen Zweigen der Staatsverwaltung nach und nach die Mehrzahl bilden wird erwidert werden möchte, daß mit dem Eintritt in das bürgerliche Leben die etwa auf der Universität eingesogenen, excentrischen, unparctischen Ideen sich von selbst zu verlieren und einer vernünftigen Anschauung und Würdigung der Dinge Platz zu machen pflegen; so ist dieses, unseren amtlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen zu Folge, nur zum Theil der Fall, und es fehlt nicht an Beispielen, dass ehemalige Mitglieder der Burschenschaft, welche sich als solche ihr ganzes Leben lang durch Wort und That für die /: republikanische :/ Freiheit und die Staatseinheit Deutschlands zu wirken verbindlich machten /: §. 6. :/ dieser Verpflichtung auch nach ihrem Eintritt in das bürgerliche Leben nachzukom[m]en streben. Dies führt uns 2.) zu der Bemerkung, daß überhaupt in den üblen Gesinnungen vieler öffentlichen Diener eine der Hauptursachen zu finden seyn dürfte, welche der Ausbreitung des revolutionären Geistes in Deutschland Vorschub geleistet haben. Wir erlauben uns diesfalls auf dasjenige Bezug zu nehmen, was wir hierüber schon obe /: §. 5.:/ vorgetragen haben. Wo tüchtige Beamte mit redlichen Pflichtmäßigem Eifer ihr Amt verwalten, da wird in der Regel, selbst bei mangelhaften Straf- und ProzeßNormen, dem beleidigten Gesetze Geltung und Achtung verschaft, und die Parthei der Revolutionäre entmuthigt werden. Wo aber den Einschreitungen der Behörden jener Ernst und Nachdruck fehlt, den nur die Begeisterung für die gute Sache verleiht, wo Faulheit und Feigheit dem Erfolg der amtlichen Thätigkeit schwächen, oder wo gar der Beamte selbst ergriffen von dem revolutionären Schwindel, mit denen, die er mit allen gesetzlichen Mitteln verfolgen soll, insgeheom sympathisiert, da werden auch die besten Gesetze und Verordnungen nicht hinreichen, die Frevler zu entlarven und unschädlich zu machen, und die gefährdete Ruhe und Ordnung dauernd sicher zustellen. In den meisten deutschen Bundesstaaten sind nicht nur die Gerichtssondern auch die übrigen Staatsbeamten durch wohlwollende Gesetze /: Dienstpragmatiken :/ vor willkührlicher Entlassung und Zurücksetzung geschützt und können nur wegen erwiesener schwerer Vergehen nach vorgängiger Untersuchung durch förmliches Erkenntniß aus dem öffentlichen Dienste entlassen werden. Der Beamte, welcher durch zweideutiges Benehmen und laue Pflicht erfüllung das gerechte Mißtrauen und Mißfallen seiner Vorgesetzten sich zuzieht, riscirt daher höchstens die Uibergehung bei Beförderungen, wobei es ihm überdings, wenn er klug und gewandt ist, nicht schwer fällt seinen Mangel an gutem Willen hinter gesetzlichen Formen zu verbergen, indem er z.B. den Verdacht nicht für hinreichend, die Zeugen nicht für glaubwürdig, dar Gesetz nicht für deutlich genug erklärt, und die offenbare Schuld durch angebliche Milderungsgründe bemäntelt. Es wagt hierüber um so weniger, als da, wo kein Staatsanwalt besteht, der den Behörden gegenüber, das Interesse des Staates wahrt, und die erforderliche Rüge und Abhülfe veranlasst, die stattgehabten Versäumnisse und Ungesetzlichkeiten Häufig gar nicht zu Kenntniß der Höheren Stellen gelangen. Jedenfalls Bildet die Aussicht auf eine Vernehmung an Rang und Gehalt keinen hinreichende Gegenreiz gegen die Mittel, welche die Revolutionsparthei verwendet, in dem sie den pflichtvergessenen Diener, der sie begünstigt und den gesetzmäßigen Befehlen seiner Oberen trotz, als einen „muthigen Patrioten“ bis an das Gestirne erhebt und dagegen den Mann, der treu und eifrig seiner beschworenen Dienstpflicht erfüllt, einen „servilen Fürstenknecht“ schmäht und der Verachtung und der Rache preis gibt. Während durch diese Taktik mancher eitle und schwache Beamte in seiner Pflicht wankend gemacht wird, andere eben noch von den schädlichen Eindrücken, die sie auf Universitäten empfingen, erfüllt sind, fehlt es mit unter auch solchen, deren Gesinnungen kein Tadel trifft, auf ihrem isolierten Standpunkte an der gehörigen Einsicht in den Zusam[m]enhang, die Gefährlichkeit und (unleserlich) des revolutionären Treibens, weshalb sie den einzelnen, ihnen zur Ermittelung überwiesenen Thatsachen nicht im[m]er die erforderliche Sorgfalt widmen. Daß unter diesen Umständen 3.) die Mangelhaftigkeit der Straf- und Prozeßgesetze in den meisten Bundesstaaten dazu beitragen müsste, die Entdeckung und Verhinderung politischer Verbrechen zu erschweren und hindurch das Treiben der Revolutionäre mittelbar zu befördern, ist für sich klar. Die neuere Zeit hat politische Verbrechen erzeugt, welche unsere Voreltern unbekannt gewesen sind, für welche daher die aus älteren Perioden stam[m]ende Gesetze keine passende Strafbestim[m]ungen enthalten. Wir erinnern diesfalls nur an die mannigfachen Arten der Pressvergehen. Auch hat in den verschiedenen Bundesstaaten die Strafgesetzgebung nicht gleichen Schritt gehalten. In mehreren gilt noch das gemeine Recht, d. h. die sich widersprechende, häufig durch übertriebene Zweifelsucht der Rechtsgelehrten und der schwankende, die Willkühr begünstigende Gerichtsgebrauch, vermischt mit einzelnen Particulargesetzen, andere deutsche Staaten besitzen Strafgesetzbücher, welche theils unter sich, theils von dem gemeinen Rechte bedeutend abweichen und deren Unzulänglichkeit durch das längst ausgesprochene Bedürfniß eine Revision derselben anerkannt ist; in einigen Provinzen jenseits des Rheins aber besteht noch die französische Gesetzgebung, und zwar größtentheils in dem unvollkom[m]enen Zustande, in welchem sie sich zur Zeit der Wiedererwerbung dieser Länder vor zwanzig Jahren befunden hat. Die natürliche Folge dieses Mangels an Uibereinstim[m]ung in den deutschen Strafgesetzen ist eine häufige, auffallende Verschiedenheit in den Strafurtheilen, so daß z.B. die bösliche Verbreitung revolutionärer Schriften, welche in dem einen Staate mit vieljähriger Zuchthausstrafe verpönt ist, in dem andere mit einigen Monaten Gefängniß, und in dem dritten nur mit einer geringen Geldbuße geahndet wird, was dem Glauben des Volkes an die Gerechtigkeit der erkannten Strafen nicht förderlich seyn kann. Ohnehin sind unter dem Volke über den Begriff und die Strafbarkeit politischer Verbrechen Irrthümer verbreitet, welche der Wirksamkeit der Strafrechtspflege Eintrag thun. Die glänzenden Erfolge, welche die Revolution in verschiedenen Staaten von Europa errungen, und die Wahrnehmung, daß unter den Theilnehmern an revolutionären Umtrieben sich auch Menschen befinden, welche sonst unbescholten sind, auch wohl eine höhere Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft einnehmen, haben die Meinung erzeugt, daß politische Verbrechen nicht entehrend seien, - eine Ansicht, die um so mehr Eingang fand, je mehr die Demagogen ihre selbstsüchtigen Plane sorgfältig verbergend, sich das Ansehen eifriger Vertheidiger der Volksrechte und des Volkswohles zu geben wissen. Die vorherrschende Milde und Humanität in der Bestrafung und Behandlung politischer Gefangenen hat die Furcht vor dem Schwerte der Gerechtigkeit verbannt, und der verunglückte Hochverräther glaubt vor dem Tode von Henkershand nicht mehr erzittern zu dürfen, sondern im schlim[m]sten Falle den Ruhm eines “Märtyrers der Freiheit“ mit einigen Jahren Einsperrung <nicht zu teuer zu erkaufen>, wobei ihm überdies die Hoffnung auf baldige Begnadigung tröstend zu Seite steht. Hierzu kom[m]t die so häufige Verwirrung und Verwechslung der Begriffe von Recht und Unrecht, vermöge deren nicht selten Handlungen, welche die Ruhe und Sicherheit der Staaten gefährden, als erlaubt, und die dagegen ergriffenen Maßregeln der Regierungen als ungerecht betrachtet werden. Wie oft ist z.B. die zügellose Frechheit revolutionärer Journalisten als gesetzliche Preßfreiheit, der Addressenunfug ehrgeiziger Demagogen als Petitionsrecht, und die hartnäckige Auflehnung gegen die bestehende Ordnung der Dinge als “loyale Opposition“ vertheidigt worden. Die aus dem Mangel vollständiger, übereinstim[m]ender und klarer Strafgesetze entspringenden Nachtheile wären jedoch wieder fühlbar, wenn nicht der Strafprozeß meist an denselben und wohl noch größeren Gebrechen litte. Der Hauptfehler liegt hier in der Schwerfälligkeit und der Langsamkeit, mit welcher die gerichtlichen Untersuchungen häufig gepflogen werden. Wenn die Strafe der Verbrechen nicht auf dem Fuße folgt; so wird die abschreckende Wirkung jener bei dem Volke gewöhnlich verloren gehen; der Eindruck, welchen die strafbare That erzeugt, ist durch die Zeit verwischt, und der Abscheu vor dem Missthäter verwandelt sich in Mitleid. Besonders ist dieser bei politischen Vergehen der Fall: leider zeichnen sich aber gerade die deshalb eingeleiteten Untersuchungen durch ihre lange Dauer aus, wovon wir, wenn es nöthig wäre, auffallende Beispiele anführen könnten. Indessen vermöchte man auch hinbei sich eher zu beruhigen, wenn wenigstens die Resultate dieses Verfahrens dem großen Zeitaufwand entsprächen. Allein auch dieses ist häufig nicht der Fall. Nur zu oft bleiben die Schuldigsten unentdeckt, oder es erfolgt ein in der Hauptsache absolutorisches Erkenntniß, was dann zu dem Irrthum Anlass gibt, daß die Anschuldigung und die etwa damit verbundene Haft der Inkulpaten nicht begründet gewesen sei. Das an sich nothwendige, und höchst rühmliche Bestreben, der Unschuld möglichsten Schutz zu gewähren, hat auch dem Schuldigen die Möglichkeit erleichtert, der Entdeckung und Uiberführung zu entgehen. Der Angeschuldigte weiß, wie beschränkt die gesetzlichen Mittel der Inguirenten sind, seinen Trotz zu beugen, und wie nach den strengen Beweisregeln, an welche der Richter gebunden ist, ohne freiwilliges Geständniß nur zu oft keine Verurtheilung erfolgen kann. Sein Vertheidigungssystem besteht daher sehr häufig in frechem Abläugnen beschwerender Thatumstände, Verweigerung der Angabe der Mitschuldigen oder der Antwort überhaupt, unmotivierter Zurücknahme abgelegter Geständnisse, muthwilliger Verdächtigung der Zeugen, Verhöhnung und Beleidigung des Untersuchungsrichters, kurz in Chicanen und Ränken aller Art, welche durch Collusionen, die bei der schlechten Beschaffenheit der Untersuchungsgefängnisse und bei der Unzuverläßigkeit des Gefangenwärter - Personals schwer zu verhüten sind, begünstigt werden. Unter diesen Umständen ist heutiges Tags, zumal bei größeren Untersuchungen, das Amt eines Jequirenten so beschwerlich und drückend, daß in der That mehr als gewöhnliches Talent und Pflichtgefühl dazu gehört, der angeführten Schwierigkeiten ungeachtet, in dem eifrigen Bestreben, die Wahrheit zu erforschen, nicht zu ermatten und vollständige Resultate zu erzielen. Es kann demnach und in Berücksichtigung dessen, was wir oben /: unter 2 :/ über den Geist mancher Beamten vorzutragen uns verpflichtet fühlten, nicht befremden, wenn die wegen der stattgehabten revolutionären Umtriebe eingeleiteten Untersuchungen nicht im[m]er ganz befriedigende Ergebnisse geliefert haben. Dieser Uibelstand ist aber gewiß sehr wichtig; denn da in den meisten deutschen Bundesstaaten die Verfolgung politischer Verbrechen von dem Augenblicke, wo die Untersuchung gegen ein bestim[m]tes Individuum sich richtet, ausschließlich in den Händen der Gerichte ist, und der gefährdeten Staatsregierung keinerlei Einwirkung darauf zusteht, so läßt sich unter den angezeigten ungünstigen Verhältnissen kaum hoffen, daß die Parthei, welche die öffentliche Ruhe mit Sicherheit bedroht, durch den Erfolg der richterlichen Thätigkeit werde unschädlich gemacht werden. Wir erlauben uns diesfalls auf den Inhalt unseres Berichtes vom 16ten Okt. 1833 Bezug zu nehmen. Von noch größerer Bedeutung erscheinen in der angegebenen Beziehung 4) die Mängel der Polizei-Verwaltung, in dem dieser Zweig der Staatsverwaltung es vorzugsweise ist, welcher staatsgefährlichen Unternehmungen vorbeugen, wo solche gleichwohl stattfinden, die Urheber und Theilnehmer ermitteln und den Justizbehörden die Materialien für ihre Untersuchungen liefern soll. Wie unvollkom[m]en die Polizei mehrerer Bundesstaaten in dieser Hinsicht ihre wichtige Aufgabe gelöst, erhellt aus der vorstehenden Geschichte der in Deutschland stattgehabten revolutionären Umtriebe zur Genüge, und wir glauben uns deshalb jeder weitere Ausführung hierüber enthalten zu dürfen. Allerdings ist die Handhabung der Sicherheitspolizei heutiges Tags dadurch schwieriger geworden, daß die Polizeigewalt, welche in Zeiten politischer Aufregung die Hauptstütze der Regierungen bildet, eben darum aber von der “liberalen Parthei“ unter dem Vorwande, daß sie die persönliche Freiheit gefährde, beständig angefeindet wird, durch Verfassungsbestim[m]ungen und andere neuen Gesetze mancherlei Beschränkungen erfahren hat, auch theilweise in die Hände der Ortsmagistrate übergegangen ist; während andererseits die revolutionäre Faction in der Kunst, die Aufsicht der Behörden zu täuschen, und die angeordneten Vorsichtsmaßregeln zu umgehen, die größten Fortschritte gemacht hat. Indessen ist es doch hauptsächlich der Mangel an Einheit und Übereinstim[m]ung in der Thätigkeit der Polizeibehörden der verschiedenen Bundesstaaten, der ihrer Wirksamkeit Eintrag thut, und wir haben daher bereits in unserm Berichte vom 7ten Januar 1834 darauf aufmerksam zu machen uns erlaubt, daß ein gemeinschaftliches, sich gegenseitig unterstützendes Zusam[m]enwirken der betreffenden Polizeistellen aller deutschen Bundesstaaten vorzugsweise geeignet seyn würde, die Ruhe in Deutschland wieder herzustellen und zu erhalten, und daß dieser Zweck um so vollständiger zu erreichen stünde, wenn die Thätigkeit dieser Behörden durch eigene Vorschriften bestim[m]t und von einem, allgemeine Uibersicht gewährenden Centralpunkte aus, geleitet werden könnte. In wiefern auch die Verhandlungen einiger ständischen Kammern auf die Ausbreitung des revolutionären Geistes in Deutschland von Einfluß gewesen, ist schon oben ( §.5. ) angedeutet worden. In der That waren diejenigen Staaten Deutschlands, welche landständische Verfassungen besitzen, vorzugsweise der Schauplatz revolutionärer Umtriebe. Auch liegen aktenmäßige Anzeigen vor, daß mehrere Koryphäen deutscher Ständeversam[m]lungen jenen Umtrieben nicht fremd geblieben sind, und daß diejenigen, welche bei solchen gefährlichen Unternehmungen sich vorangestellt, für den Fall, daß ihre Verbrechen größeren Erfolg gehabt hätten, nicht ohne Grund auf die Mitwirkung bekannter ständischer Abgeordneten gerechnet haben. Die Parthei, welche früher die Verleihung ständischer Constitutionen als des sichersten Präservativ gegen alle Angriffe auf die Rechte und Attributionen der Souveraine anzugreifen bemüht gewesen war, hat auch der französischen Julirevolution in Deutschland die Maske abgeworfen, und bekennt jetzt offen, daß sie in den bestehenden Verfassungen nur ein “Uibergangssystem zur Volkssouverainität und Republik“ erkenne, indem die der Voksvertretung eingeräumte Theilnahmean der Gesetzgebung und Steuerverwilligung “einer naturgemäß fortschreitenden Emanzipation der Völker keine Grenzen setze.“*) Aus dieser Ansicht erklären sich jene beklagenswerthen landständischen Verirrungen, gegen welche die Bundesbeschlüsse vom 28ten Juni 1832 gerichtet sind, und deren wir hier nur darum erwähnen, weil das mißtrauische und feindselige Benehmen der Stände gegen die Regierungen, ihre stereotypen Klagen über angebliche Noth und Druck des Volkes, so wie ihre beständigen Beschwerden über angebliche Verfassungsverletzungen, - die von denen am lautesten erhoben wurden, welche die Fürsten von dem öffentlichen Rechtszustande, den sie gegeben, ausschließen zu wollen schienen, - bei einem großen Theile des Volks
*) P.A. Pfitzer über die Entwicklung des öffentlichen Rechts in Deutschland. S. 322 - 327.
besonders aber in der Schweiz Schutz und Unterstützung fanden, und von da aus die Fackel des Aufruhrs in die benachbarten Staaten zu schleudern suchten /: § 14 :/ so werden durch das Zusam[m]entreffen aller dieser, sich gegenseitig unterstützender Umstände und Thatsachen nicht nur die Erfolge, welche die Bestrebungen der Revolutionsparthei in Deutschland bis jetzt gehabt haben, hinreichend erklärt erscheinen, sondern es wäre vielmehr zu verwundern, daß die rastlose Thätigkeit jener Parthei, unter so begünstigenden Verhältnissen nicht bereits größeres Unheil gestiftet, wenn nicht der Mangel wahrer gegründter Beschwerden des Volkes und die Eigenthümlichkeit des deutschen National - Charakters, der fremde Ideen langsamer in sich aufnim[m]t, dann aber auch länger, als andere, bewahrt, auch hinfür genügende Erklärungsgründe darbieten würden.
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