17. Die demokratische Neuordnung: Auf dem Weg zur parlamentarischen Demokratie
Innerhalb des Widerstands gegen die NS-Diktatur existierte kein umfassender, einheitlicher verfassungs- und innenpolitischer Neuordnungsplan. Zu unterschiedlich waren Herkunft und politische Grundüberzeugungen der einzelnen Widerstandsgruppierungen und ihrer Mitglieder. Doch bestand im wesentlichen Einigkeit über die Beseitigung Hitlers und des NS-Regimes hinaus in der Auffassung, dass es bei dem politischen Neuanfang keine Wiederherstellung der Weimarer Republik geben dürfe. Bei den Nationalkonservativen um Goerdeler und beim Militär, aber auch auf der politischen Gegenseite, bei den Kommunisten, hatte es lange vor 1933 starke Vorbehalte und Abwehrreaktionen gegenüber der parlamentarischen Demokratie gegeben. Auch bei den staatstragenden Kräften der Weimarer Republik – SPD, liberales Bürgertum und Zentrum – war eine parlamentarisch-demokratische Regierungsform wie die der Weimarer Republik diskreditiert. In unterschiedlichen Schattierungen entstand in Widerstandskreisen die Vorstellung von einem spezifisch „deutschen Weg“ zwischen Kapitalismus, Massendemokratie und Individualismus westlicher Prägung einerseits und dem Kommunismus und Kollektivismus östlicher Herkunft andererseits.
Die Rückkehr zu Demokratie und Parlamentarismus in der heute noch existenten Form ist daher ein Ergebnis der totalen deutschen Niederlage. Die bedingungslose Kapitulation beseitigte den politischen Handlungs- und Gestaltungsspielraum auf deutscher Seite. Alle bis dahin angestellten Überlegungen zu einem „deutschen Weg“ waren damit hinfällig geworden. Nun bestimmten die Alliierten in ihren Besatzungszonen über die weiteren politischen Geschicke Deutschlands.
Für Hessen markierte die offizielle Zulassung von Parteien durch die Besatzungsmacht im September 1945 den ersten Schritt hin zu einer parlamentarischen Demokratie westlichen Zuschnitts. Häufig unter maßgeblicher Beteiligung von ehemaligen Widerstandskämpfern hatte bereits in den Monaten zuvor der Prozess der Neugründung politischer Parteien illegal, doch mit stillschweigender Billigung der Besatzungsmacht begonnen. Das Scheitern der Weimarer Republik und die Zeit der Diktatur, die für viele der hessischen Nachkriegspolitiker mit Gefängnis- und KZ-Aufenthalten oder der Emigration verbunden gewesen war, schufen ein Bewusstsein der Solidarität und der Kompromissbereitschaft über die Parteigrenzen und unterschiedlichen Weltanschauungen hinweg. Eine weitere Lehre aus dem politischen Untergang der Weimarer Republik war, dass nun jene Parteienzersplitterung vermieden werden sollte, die mit zu einer erneuten Lähmung des politischen Systems beitragen könnte.
Mitbedingt durch die Lizenzierungspraxis der Militärregierung bildete sich in Hessen ein modernes Vier-Parteien-System heraus. Die traditionellen Linksparteien KPD und SPD konnten an ihre früheren Parteiorganisationen wieder anknüpfen. Im bürgerlichen Lager kam es mit der interkonfessionellen CDU als Nachfolgepartei des Zentrums und der nationalkonservativen, nicht konfessionellen LDP, Vorgängerpartei der FDP, zu Parteineugründungen. Im Verlaufe des Jahres 1946 erarbeiteten diese vier Parteien eine Verfassung, die in der liberalen Verfassungstradition stand und bei der Volksabstimmung vom 1. Dezember 1946 mit überwältigender Mehrheit von der hessischen Bevölkerung angenommen wurde.
Lebensbild Werner Hilpert
Der Christdemokrat Werner Hilpert zählte zu den Gründervätern Hessens und der Bundesrepublik. Er verkörperte jenen Politikertypus der Nachkriegszeit, der vom NS-Regime verfolgt worden war und unter dem Eindruck der „deutschen Katastrophe“ gemeinsam mit den anderen Parteien einen demokratischen Neubeginn gestalten wollte.
Werner Hilpert wurde am 17. Januar 1897 in Leipzig-Neustadt geboren. Nach seinem Abitur begann er 1916 in Leipzig mit dem Studium der Nationalökonomie und Philosophie, das er nach einer zweijährigen Unterbrechung wegen seines Kriegsdienstes 1920 mit der Promotion abschloss. Während der Weimarer Zeit war Hilpert beruflich als Syndikus von Wirtschaftsunternehmen tätig. Politisch engagierte er sich für die katholische Zentrumspartei, deren sächsischer Landesvorsitzender er 1932 wurde. Die Selbstauflösung des Zentrums im Zuge der politischen Gleichschaltung hinderte Hilpert allen Gefahren zum Trotz nicht daran, nun für die Katholische Aktion einzutreten, bis diese 1937 verboten wurde. Inzwischen galt Hilpert den Nationalsozialisten als politischer Gegner. Mit seiner willkürlichen Verhaftung bei Kriegsbeginn im September 1939 begann für Hilpert eine qualvolle 5½-jährige Haft im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar.
Nach der Befreiung Buchenwalds verließ Hilpert mit seiner Familie auf Anraten der Amerikaner den sowjetischen Einflussbereich und ging nach Hessen. Es spricht für seine persönliche Integrität und seine politischen Fähigkeiten, dass er in seiner neuen Heimat rasch zum führenden Politiker der neugegründeten CDU aufstieg. Unter dem Vorsatz, eine „echte Volkspartei“ zu gründen, „die alle Schichten unseres Volkes umfaßt“, lenkte er die linksorientierte hessische CDU als deren Landesvorsitzender in Richtung einer Politik der sozialen Verantwortung und des sozialen Ausgleichs. Als Mann des Ausgleichs zwischen den politischen Lagern trat er nach den ersten Landtagswahlen mit Erfolg für die Errichtung der Großen Koalition in Hessen ein, deren Finanzminister und stellvertretender Ministerpräsident er wurde.
Hilpert setzte sich auch für eine Große Koalition auf Bundesebene ein, unterlag allerdings parteiintern seinem Gegenspieler Konrad Adenauer. Als Hilpert 1949 auch mit seinem Kampf für Frankfurt als Bundeshauptstadt scheiterte und im Jahr darauf noch die Große Koalition in Hessen zerbrach, zog er sich allmählich aus der Politik zurück. Hilpert wechselte 1952 in die Spitze der Deutschen Bundesbahn, ehe er 1957 unerwartet einem Herzinfarkt erlag.
Die Rückkehr zu Demokratie und Parlamentarismus in der heute noch existenten Form ist daher ein Ergebnis der totalen deutschen Niederlage. Die bedingungslose Kapitulation beseitigte den politischen Handlungs- und Gestaltungsspielraum auf deutscher Seite. Alle bis dahin angestellten Überlegungen zu einem „deutschen Weg“ waren damit hinfällig geworden. Nun bestimmten die Alliierten in ihren Besatzungszonen über die weiteren politischen Geschicke Deutschlands.
Für Hessen markierte die offizielle Zulassung von Parteien durch die Besatzungsmacht im September 1945 den ersten Schritt hin zu einer parlamentarischen Demokratie westlichen Zuschnitts. Häufig unter maßgeblicher Beteiligung von ehemaligen Widerstandskämpfern hatte bereits in den Monaten zuvor der Prozess der Neugründung politischer Parteien illegal, doch mit stillschweigender Billigung der Besatzungsmacht begonnen. Das Scheitern der Weimarer Republik und die Zeit der Diktatur, die für viele der hessischen Nachkriegspolitiker mit Gefängnis- und KZ-Aufenthalten oder der Emigration verbunden gewesen war, schufen ein Bewusstsein der Solidarität und der Kompromissbereitschaft über die Parteigrenzen und unterschiedlichen Weltanschauungen hinweg. Eine weitere Lehre aus dem politischen Untergang der Weimarer Republik war, dass nun jene Parteienzersplitterung vermieden werden sollte, die mit zu einer erneuten Lähmung des politischen Systems beitragen könnte.
Mitbedingt durch die Lizenzierungspraxis der Militärregierung bildete sich in Hessen ein modernes Vier-Parteien-System heraus. Die traditionellen Linksparteien KPD und SPD konnten an ihre früheren Parteiorganisationen wieder anknüpfen. Im bürgerlichen Lager kam es mit der interkonfessionellen CDU als Nachfolgepartei des Zentrums und der nationalkonservativen, nicht konfessionellen LDP, Vorgängerpartei der FDP, zu Parteineugründungen. Im Verlaufe des Jahres 1946 erarbeiteten diese vier Parteien eine Verfassung, die in der liberalen Verfassungstradition stand und bei der Volksabstimmung vom 1. Dezember 1946 mit überwältigender Mehrheit von der hessischen Bevölkerung angenommen wurde.
Lebensbild Werner Hilpert
Der Christdemokrat Werner Hilpert zählte zu den Gründervätern Hessens und der Bundesrepublik. Er verkörperte jenen Politikertypus der Nachkriegszeit, der vom NS-Regime verfolgt worden war und unter dem Eindruck der „deutschen Katastrophe“ gemeinsam mit den anderen Parteien einen demokratischen Neubeginn gestalten wollte.
Werner Hilpert wurde am 17. Januar 1897 in Leipzig-Neustadt geboren. Nach seinem Abitur begann er 1916 in Leipzig mit dem Studium der Nationalökonomie und Philosophie, das er nach einer zweijährigen Unterbrechung wegen seines Kriegsdienstes 1920 mit der Promotion abschloss. Während der Weimarer Zeit war Hilpert beruflich als Syndikus von Wirtschaftsunternehmen tätig. Politisch engagierte er sich für die katholische Zentrumspartei, deren sächsischer Landesvorsitzender er 1932 wurde. Die Selbstauflösung des Zentrums im Zuge der politischen Gleichschaltung hinderte Hilpert allen Gefahren zum Trotz nicht daran, nun für die Katholische Aktion einzutreten, bis diese 1937 verboten wurde. Inzwischen galt Hilpert den Nationalsozialisten als politischer Gegner. Mit seiner willkürlichen Verhaftung bei Kriegsbeginn im September 1939 begann für Hilpert eine qualvolle 5½-jährige Haft im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar.
Nach der Befreiung Buchenwalds verließ Hilpert mit seiner Familie auf Anraten der Amerikaner den sowjetischen Einflussbereich und ging nach Hessen. Es spricht für seine persönliche Integrität und seine politischen Fähigkeiten, dass er in seiner neuen Heimat rasch zum führenden Politiker der neugegründeten CDU aufstieg. Unter dem Vorsatz, eine „echte Volkspartei“ zu gründen, „die alle Schichten unseres Volkes umfaßt“, lenkte er die linksorientierte hessische CDU als deren Landesvorsitzender in Richtung einer Politik der sozialen Verantwortung und des sozialen Ausgleichs. Als Mann des Ausgleichs zwischen den politischen Lagern trat er nach den ersten Landtagswahlen mit Erfolg für die Errichtung der Großen Koalition in Hessen ein, deren Finanzminister und stellvertretender Ministerpräsident er wurde.
Hilpert setzte sich auch für eine Große Koalition auf Bundesebene ein, unterlag allerdings parteiintern seinem Gegenspieler Konrad Adenauer. Als Hilpert 1949 auch mit seinem Kampf für Frankfurt als Bundeshauptstadt scheiterte und im Jahr darauf noch die Große Koalition in Hessen zerbrach, zog er sich allmählich aus der Politik zurück. Hilpert wechselte 1952 in die Spitze der Deutschen Bundesbahn, ehe er 1957 unerwartet einem Herzinfarkt erlag.
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