14. Die Verfolgung des Widerstands: Adolf Reichwein
Geboren 1898 als Sohn des Volksschullehrers Karl Gottfried Reichwein, verbrachte Adolf Reichwein seine ersten Lebensjahre in Bad Ems, bis seine Familie 1904 nach Ober-Rosbach in der Wetterau verzog. Frühzeitig kam der junge Reichwein mit der Wandervogelbewegung in Kontakt. Diese von Schülern und Studenten begründete Protestbewegung richtete sich vor allem gegen die starren Konventionen der damaligen Zeit. Man wollte zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit des Individuums finden. In kleinen Gruppen erwanderte man sich die Freiheit vom Etablierten, von der Bevormundung durch Erwachsene. Wie viele Wandervögel vor ihm, zog Reichwein 1916 enthusiastisch in den Ersten Weltkrieg. Doch schon bald lernte er die Grausamkeiten des Stellungskrieges an der Westfront kennen. Nach schwerer Verletzung begann er noch 1918 ein Studium der Deutschen Geschichte, Sprache und Kunst sowie der Volkswirtschaft und Soziologie zunächst in Frankfurt a. M., später in Marburg. An der Front hatte sich in dem jungen Mann der Wunsch herauskristallisiert, in der Erwachsenenbildung tätig zu werden. Ihm war bewusst geworden, wie wenig zugänglich Bildung für die breite Masse war.
Nach Beendigung seines Studiums 1921 wurde Reichwein als Geschäftsführer des Ausschusses der deutschen Volksbildungsvereinigungen nach Berlin berufen. Von 1923 bis 1929 oblag ihm die Leitung der Volkshochschule Thüringen. Ab 1925 war er zudem für die Volkshochschule Jena verantwortlich, die er alsbald in ein Zentrum der Arbeiterbildung umwandelte. Dabei widmete er sich verstärkt der jungen Arbeiterschaft. In den Jahren 1926/27 unternahm Reichwein mit finanzieller Unterstützung der Notgemeinschaft der Deutschen Wirtschaft eine ausgedehnte Forschungsreise nach Nord- und Mittelamerika sowie nach Asien, um die dortige Rohstoffwirtschaft zu erkunden. 1929 folgte er dem Ruf des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker nach Berlin, um die Stelle des persönlichen Referenten und des Leiters der Pressestelle anzunehmen. Im April 1930 erhielt Reichwein die Professur für Geschichte und Staatsbürgerkunde an der neugegründeten Pädagogischen Akademie in Halle/Saale.
Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen gegen Ende der Weimarer Republik veranlassten ihn, sich der Politik zuzuwenden. So trat er im Herbst 1930, in der Zeit, in der die NSDAP ihren ersten großen Wahlerfolg erzielte, der SPD bei. Früh erkannte er die Gefährlichkeit des Demagogen Hitler und wollte diesem öffentlich entgegenwirken.
Als Sozialdemokrat wurde Reichwein im April 1933 aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ seines Amtes enthoben. Er lehnte eine sichere Auslandsprofessur aus privaten und politischen Gründen ab. Trotz der restriktiven Maßnahmen der Nationalsozialisten gegen ihn blieb er in Deutschland, um schließlich zum 1. Oktober 1933 eine Stellung als Volksschullehrer in dem Dorf Tiefensee, nahe Berlin, anzunehmen. In den sechs Jahren, in denen Reichwein in der einklassigen Dorfschule unterrichtete, bemühte er sich, die Kinder mit damals ungewöhnlichen Methoden zu Selbstbestimmung und sozialem Verantwortungsbewusstsein zu erziehen. 1937 und 1938 verfasste er zudem seine beiden Hauptwerke „Schaffendes Schulvolk“ und „Film in der Landschule“, die ganz in der Tradition der Weimarer Reformpädagogik standen.
Er zeichnete sich in dieser Zeit nicht nur durch sein verdeckt oppositionelles Lehrverhalten, sondern auch durch Kontaktpflege mit die NS-Diktatur ablehnenden Freunden und Bekannten aus.
Im Frühjahr 1939 erhielt Adolf Reichwein die Leitung der Schulabteilung des Berliner Museums für Deutsche Volkskunde. In der Hauptstadt fand er Anschluss an den Freundeskreis um Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg, den Kreisauer Kreis. Durch seine vielen Dienstreisen, sowohl im Inland als auch im Ausland, stellte er Verbindungen zu diversen Widerstandsorganisationen her. Auf seine Vermittlung stießen außerdem Vertreter der Arbeiterbewegung wie Carlo Mierendorff, Theodor Haubach, Wilhelm Leuschner und Julius Leber zu dem Zirkel, der die mögliche Gestaltung des Staatsaufbaus und der Wirtschaft nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges diskutierte.
Als Fachmann für den Sektor Bildung und Erziehung war Reichwein innerhalb des Kreises mit der Ausarbeitung einer Schulreform beauftragt. Für die Zeit nach dem Sturz des NS-Regimes galt er als möglicher Kandidat für den Posten des Kultusministers. Leber und Reichwein organisierten ein Treffen mit führenden Vertretern des Zentralkomitees der illegalen KPD in Deutschland, um Kontakte zum Kommunistischen Widerstand zu knüpfen. Unter den Kommunistischen Widerstandskämpfern befand sich allerdings ein Gestapo-Spitzel, so dass der vierfache Familienvater bei einem zweiten Treffen am 4. Juli 1944 verhaftet wurde. Die folgenden dreieinhalb Monate bis zum Beginn des Prozesses vor dem Volksgerichtshof litt er unter schwerer Folter. Seiner Frau wurde von einem Mithäftling berichtet, dass er bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und anschließend mit kaltem Wasser wiederbelebt wurde. Dabei erlitt er eine Verletzung der Stimmbänder, die ihm nur noch sehr leises Sprechen gestattete. Nachts fesselten ihn die NS-Schergen mit einer Eisenkette an Armen und Beinen. Schnell konnten die Ermittler einen Zusammenhang zwischen Reichwein und dem Kreisauer Kreis und dessen Verwicklung in das Attentat vom 20. Juli 1944 feststellen. Wegen „Landesverrats“ verurteilte der Volksgerichtshof Reichwein zusammen mit Julius Leber und Hermann Maass zum Tod durch den Strang. Noch am Tag des Prozesses, am 20. Oktober 1944, wurde das Urteil vollstreckt. Ein ordentliches Begräbnis gestatteten die Behörden nicht; angeblich soll die Asche des Ermordeten auf Berliner Rieselfelder verstreut worden sein.
Nach Beendigung seines Studiums 1921 wurde Reichwein als Geschäftsführer des Ausschusses der deutschen Volksbildungsvereinigungen nach Berlin berufen. Von 1923 bis 1929 oblag ihm die Leitung der Volkshochschule Thüringen. Ab 1925 war er zudem für die Volkshochschule Jena verantwortlich, die er alsbald in ein Zentrum der Arbeiterbildung umwandelte. Dabei widmete er sich verstärkt der jungen Arbeiterschaft. In den Jahren 1926/27 unternahm Reichwein mit finanzieller Unterstützung der Notgemeinschaft der Deutschen Wirtschaft eine ausgedehnte Forschungsreise nach Nord- und Mittelamerika sowie nach Asien, um die dortige Rohstoffwirtschaft zu erkunden. 1929 folgte er dem Ruf des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker nach Berlin, um die Stelle des persönlichen Referenten und des Leiters der Pressestelle anzunehmen. Im April 1930 erhielt Reichwein die Professur für Geschichte und Staatsbürgerkunde an der neugegründeten Pädagogischen Akademie in Halle/Saale.
Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen gegen Ende der Weimarer Republik veranlassten ihn, sich der Politik zuzuwenden. So trat er im Herbst 1930, in der Zeit, in der die NSDAP ihren ersten großen Wahlerfolg erzielte, der SPD bei. Früh erkannte er die Gefährlichkeit des Demagogen Hitler und wollte diesem öffentlich entgegenwirken.
Als Sozialdemokrat wurde Reichwein im April 1933 aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ seines Amtes enthoben. Er lehnte eine sichere Auslandsprofessur aus privaten und politischen Gründen ab. Trotz der restriktiven Maßnahmen der Nationalsozialisten gegen ihn blieb er in Deutschland, um schließlich zum 1. Oktober 1933 eine Stellung als Volksschullehrer in dem Dorf Tiefensee, nahe Berlin, anzunehmen. In den sechs Jahren, in denen Reichwein in der einklassigen Dorfschule unterrichtete, bemühte er sich, die Kinder mit damals ungewöhnlichen Methoden zu Selbstbestimmung und sozialem Verantwortungsbewusstsein zu erziehen. 1937 und 1938 verfasste er zudem seine beiden Hauptwerke „Schaffendes Schulvolk“ und „Film in der Landschule“, die ganz in der Tradition der Weimarer Reformpädagogik standen.
Er zeichnete sich in dieser Zeit nicht nur durch sein verdeckt oppositionelles Lehrverhalten, sondern auch durch Kontaktpflege mit die NS-Diktatur ablehnenden Freunden und Bekannten aus.
Im Frühjahr 1939 erhielt Adolf Reichwein die Leitung der Schulabteilung des Berliner Museums für Deutsche Volkskunde. In der Hauptstadt fand er Anschluss an den Freundeskreis um Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg, den Kreisauer Kreis. Durch seine vielen Dienstreisen, sowohl im Inland als auch im Ausland, stellte er Verbindungen zu diversen Widerstandsorganisationen her. Auf seine Vermittlung stießen außerdem Vertreter der Arbeiterbewegung wie Carlo Mierendorff, Theodor Haubach, Wilhelm Leuschner und Julius Leber zu dem Zirkel, der die mögliche Gestaltung des Staatsaufbaus und der Wirtschaft nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges diskutierte.
Als Fachmann für den Sektor Bildung und Erziehung war Reichwein innerhalb des Kreises mit der Ausarbeitung einer Schulreform beauftragt. Für die Zeit nach dem Sturz des NS-Regimes galt er als möglicher Kandidat für den Posten des Kultusministers. Leber und Reichwein organisierten ein Treffen mit führenden Vertretern des Zentralkomitees der illegalen KPD in Deutschland, um Kontakte zum Kommunistischen Widerstand zu knüpfen. Unter den Kommunistischen Widerstandskämpfern befand sich allerdings ein Gestapo-Spitzel, so dass der vierfache Familienvater bei einem zweiten Treffen am 4. Juli 1944 verhaftet wurde. Die folgenden dreieinhalb Monate bis zum Beginn des Prozesses vor dem Volksgerichtshof litt er unter schwerer Folter. Seiner Frau wurde von einem Mithäftling berichtet, dass er bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und anschließend mit kaltem Wasser wiederbelebt wurde. Dabei erlitt er eine Verletzung der Stimmbänder, die ihm nur noch sehr leises Sprechen gestattete. Nachts fesselten ihn die NS-Schergen mit einer Eisenkette an Armen und Beinen. Schnell konnten die Ermittler einen Zusammenhang zwischen Reichwein und dem Kreisauer Kreis und dessen Verwicklung in das Attentat vom 20. Juli 1944 feststellen. Wegen „Landesverrats“ verurteilte der Volksgerichtshof Reichwein zusammen mit Julius Leber und Hermann Maass zum Tod durch den Strang. Noch am Tag des Prozesses, am 20. Oktober 1944, wurde das Urteil vollstreckt. Ein ordentliches Begräbnis gestatteten die Behörden nicht; angeblich soll die Asche des Ermordeten auf Berliner Rieselfelder verstreut worden sein.
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