2. Leben in der Stadt: Pflichten der Bürger
Erläuterungen:
Da es im Mittealter keinen institutionalisierten Flächenstaat gab, also kein einheitliches staatliches Gebiet, in dem für alle Bürger überall die gleichen Rechte und Pflichten so wie in der Bundesrepublik Deutschland heute galten, verlieh der jeweilige Landesherr den Städten in seinem Einflussgebiet eine Art Verfassung, das sog. Stadtrecht. Das Stadtrecht spiegelt die jeweiligen aktuellen politischen und wirtschaftlichen Begebenheiten und Anforderungen wider und ist daher auch immer wieder Veränderungen unterworfen. Z. B. dann, wenn es einen neuen Stadtherren gab oder sich das Mächtegefüge innerhalb der Stadt verändert, da eine Gruppe mehr Einflussmöglichkeiten für sich beanspruchte, was nicht selten auch mit z.T. gewaltsamen Auseinandersetzungen vonstattenging.
Im 12. und 13. Jahrhundert entstanden viele neue Städte; um Marburgs Bedeutung zu erhalten und auszubauen, brauchte die junge Stadt viele Ansiedler. So ließen die Stadtherren besondere Rechte zu, um das Wohnen in Marburg "attraktiv" zu machen. Z. B. zeigt das Stadtrecht - rechtliche Gleichheit ohne Ansehen der Person - fortschrittliche Elemente im Gegensatz zum Landrecht, das auf persönlichen und ständischen Grundlagen urteilt.
Auch können sich Hörige binnen Jahr und Tag, also nach einem Jahr und einem Tag in der Stadt, ihrer rechtlichen Abhängigkeit entledigen, sofern sie sich in dieser Zeit unbescholten verhalten und nicht von ihrem Herrn zurückverlangt werden.
Die erste erhaltene Stadtrechtsurkunde Marburgs ist die von Bischof Ludwig von Münster. Er verfasste sie 1311. Ludwig erhielt Burg und Stadt von Landgraf Otto I., seinem Bruder, der ihn mit beidem versorgen wollte.
In der Urkunde hält er fest, welche Pflichten „unsere lieben und getreuen Bürger von Marburg“ sowie die Bewohner Weidenhausens, des Pilgrimsteins und der Neustadt haben. Und zwar müssen sie zusammen jährlich eine Summe von 300 Kölner Pfennigen [zum Vergleich: 2 Hühner oder 15 Brote kosteten etwa einen Kölner Pfennig] aufbringen. Diese Zahlung könne dann ausgesetzt werden, wenn die Stadt mit einem Brand oder einem anderen „Unglück“ zu kämpfen habe. Dieser Fall trat wenige Jahre später ein, als ein verheerender Brand im Jahr 1319 große Teile der Altstadt vernichtete. Positive Regelung für die Stadt: In seiner Urkunde von Okt. 1311 setzt der Landgraf, Ludwig, eine jährliche Gesamtsteuersumme fest. Er macht deutlich, dass er darauf verzichtet, die Steuer nach eigenem Gutdünken anzuheben. Außerdem wurde die Steuer von der Stadtgemeinde eingezogen, nicht von Beamten des Landgrafen selbst. Zwischen dem Stadtherren und der Stadt bestand also noch eine Behörde.
Um die vom Stadtherrn geforderte Summe begleichen zu können, hatten die Bürger zwei Steuern zu entrichten: Zum einen das Feuergeld, den Herdschilling, zum anderen das Geschoss, das sich nach dem Vermögen des Einzelnen berechnete. Dabei musste der Steuerpflichtige sein Hab und Gut selbst einschätzen und einen Eid darauf schwören. Je nach Bedarf des Landgrafen kam noch zweimal im Jahr die sog. Bede hinzu, die Kriege finanzieren oder Schulden minimieren sollte.
Es gab jedoch auch Personengruppen, die von der Steuerpflicht ausgenommen waren: Z. B. die Burgmannen, die der Burgherr unterhalb der Burg – in der heutigen Ritterstraße – angesiedelt hatte. Sie entstammten dem niederen Adel und unterstützten den Landgrafen, indem sie für ihn Aufgaben in der Politik, der Landesverwaltung oder beim Militär wahrnahmen. Auch nichtadlige landgräfliche Beamte, die hier wohnten, brauchten keine Steuern zu zahlen; ebenso wenig Geistliche, Kirchen und Klöster. Über dieses Sonderrecht, besonders der Letztgenannten, waren nicht nur die Marburger Bürger, sondern auch der Stadtherr verärgert. Denn ihm war so der Zugriff auf den geistlichen Besitz verwehrt. Hinzu kam, dass die religiöse Praxis vorsah, Sünden im Austausch von Spenden zu vergeben, sodass viele Bürger aus Wohltätigkeit den Kirchen und Klöstern z.T. beträchtliche Spenden vermachten – Vermögen, das nicht mehr besteuert werden konnte und so der Kasse des Landgrafen entging. Daher verfasst Stadtherr Bischof Ludwig von Münster mehr als 20 Jahre nach der ersten Urkunde einen Zusatz „über die Bedepflicht der Geistlichen“, 19. Mai 1331. Er bestimmt, dass alle „Pfaffen, Mönche, Nonnen oder Beginen [unverheiratete Frauen, die außerhalb eines Klosters ein spirituelles Leben führten; sie lebten oft in Städten, dann z. B. in sogenannten „Beginen-Höfen“]“, die in der Stadt „Gut“ besitzen, die gleichen Steuern darauf zu zahlen haben, wie „auch die anderen Bürger in der Stadt es tun“. Ein kleiner Schritt in Richtung Gleichberechtigung, denn die Gesamtsteuer musste ja so von einem kleinen Teil der Bürger entrichtet werden.
Nur das Bürgerrecht erlaubte es, am politischen Leben der Stadt teilzuhaben. Erlangt werden konnte es durch den Nachweis, über finanzielle Mittel zu verfügen – z. B. ein Haus zu besitzen - und damit wirtschaftlich unabhängig zu sein.
Die Stadt interessierte sich also im Hinblick auf ihr Fortbestehen und ihren Wohlstand für zahlungskräftige Neubürger, jedoch hatte es in den Jahren 1347-1351 eine verheerende Pest gegeben, und es wird vermutet, dass die Stadt darum bemüht war, die nicht geschlossenen Lücken in ihren Reihen zu füllen.
Arbeitsaufträge:
- Stellen Sie die Pflichten der Marburger Bürger dar.
- Arbeiten Sie heraus, welche Pflichten und Kosten ein Marburger Neubürger bei seiner Aufnahme in Kauf nehmen muss.
- Beurteilen Sie – aus der Sicht der Stadt – die Gründe, die für und gegen eine Aufnahme als Bürger sprechen.
- Erklären Sie, was das Wohnen in der Stadt attraktiv macht.
- Recherchieren Sie, welche Pflichten ein Marburger Einwohner heute hat und welche Aufgaben heute erfüllt werden müssen, um ein Neubürger Marburgs zu werden.
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.