Privilegien, Pogrome, Emanzipation - Juden in Mittelalter und Neuzeit
Einführung
von Reinhard Neebe
Die vorliegende Online-Dokumentation „Privilegien, Pogrome, Emanzipation - Juden in Mittelalter und Neuzeit“ ist entstanden im Zusammenhang des DigAM-Projektschwerpunktes zur „Verfolgung der Juden während der NS-Zeit“. In Vorbereitung der Ausstellung „Pogromnacht - Auftakt am 7. November 1938 in Hessen“ (Nov. 2008-Mai 2009) anlässlich der 70. Wiederkehr der Novemberpogrome 1938 wurden umfangreiche Bestände im Hessischen Staatsarchiv Marburg zur Judenpolitik im Nationalsozialismus systematisch durchforscht. Hierbei wurde eine Vielzahl relevanter Dokumente digital erfasst und in verschiedenen Online-Ausstellungen von DigAM einer interessierten Öffentlichkeit erstmals barrierefrei zugänglich gemacht.
Die bei DigAM präsentierten Online-Ausstellungen zur Judenverfolgung im Nationalsozialismus beruhen einerseits auf einer thematisch fokussierten Auswahl der Dokumente unter der Prämisse einer ausstellungsdidaktisch notwendigen Reduktion. Hierzu gehört insbesondere die zentrale Ausstellung im Staatsarchiv Marburg:
Pogromnacht - Auftakt am 7. November 1938 in Hessen
Andererseits wird der bei DigAM vorliegende digitale Dokumentenfundus für weitergehende, eigenständige Recherchen komplett abgebildet - die Quellen sind hier entweder nach Provenienz geordnet oder in einer chronologisch-thematischen Systematik erfasst. Siehe hierzu die Ausstellungen:
Quellen zur Geschichte der Juden in Hessen 1933-1945
"Jedenfalls wird jetzt tabula rasa gemacht ..." Pogromnacht 1938 und der Weg in den Holocaust.
Gesetze und Verordnungen zur Judenpolitik 1933-1945
Im Zuge der Aufarbeitung der Dokumente zur Judenverfolgung im Nationalsozialismus ergab sich sehr bald die Frage nach einer weiterreichenden historischen Kontextualisierung, die im Rahmen der o.g. Ausstellungen nicht zu leisten war. Wenn die Novemberpogrome 1938 als eine zentrale Wegmarke zu interpretieren sind, von der aus der Weg in den Holocaust vorgezeichnet war, dann ist zu fragen nach der historischen Qualität des Zivilisationsbruchs im eliminatorischen Rassenantisemitismus des NS-Regimes, der sich spätestens 1938 unverhüllt dokumentierte.
Der Blick wendet sich damit zurück auf die lange Geschichte der Juden in Deutschland und Europa – und zwar im Spannungsfeld gegenläufiger und auch komplementärer Entwicklungen und Prozesse. „Privilegien – Pogrome –Emanzipation“, diese Begriffe stehen für das ambivalente, widerspruchsvolle Spektrum im sozialen, ökonomischen und politischen Beziehungssystem zwischen jüdischer Minderheit und christlicher Mehrheitsbevölkerung in Mittelalter und Neuzeit.
In der vorliegenden Ausstellung liegt der Fokus auf den Veränderungen und Widersprüchlichkeiten der rechtlichen Situation der Juden in Deutschland seit dem hohen Mittelalter. Hierzu war es erforderlich, wegweisende Privilegien und Judenordnungen in Auswahl aufzunehmen, gleichzeitig konnten aber auch zentrale, bislang nicht publizierte Schlüsseldokumente aus dem Staatsarchiv Marburg erstmals digital erschlossen und online zugänglich gemacht werden.
Hierzu zählt insbesondere das große Speyrer Judenprivileg Kaiser Karl V. aus dem Jahre 1544, das als eine direkte Anwort auf die bekannten judenfeindlichen Schriften Luthers von 1543 gelesen werden muss. Von hier aus spannt sich einerseits der Bogen zurück zur kaiserlichen Privilegienpolitik im Mittelalter, insbesondere dem Judenprivileg Kaiser Friedrich II. aus dem Jahre 1236, andererseits unmittelbar auch zur nationalsozialistischen Judenpolitik: Hierfür steht exemplarisch die Schrift des thüringischen Landesbischofs Martin Sasse „Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!“, in der die brennenden Synagogen im November 1938 in schließlicher Umsetzung der Lutherschen Forderungen als „gottgesegneter Kampf des Führers“ zur endgültigen Brechung der Macht der Juden in Deutschland gerühmt werden.
Zu danken habe ich den studentischen Praktikanten Sebastian Haus, Jakob Nordmeyer und Annalena Schmidt von den Universitäten Gießen und Marburg, die das Kapitel III „Judenpolitik in der Neuzeit“ in großen Teilen selbständig bearbeitet und gestaltet haben.
Reinhard Neebe
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