In der preußischen Provinz Hessen-Nassau erlebte der Nationalsozialismus ebenso wie in den anderen Gebieten des Deutschen Reiches zu Beginn der 1930er Jahre einen rasanten Aufstieg von einer kleinen Splitterpartei zu der Partei, die mit Adolf Hitler den Reichskanzler und schließlich den uneingeschränkten „Führer“ des Dritten Reiches stellte.
Der Regierungsbezirk Kassel sah von 1932 bis 1936 die ersten Schritte der NSDAP in lokalen und regionalen Parlamenten über die Erringung der Regierung auf Reichsebene bis hin zur Verfestigung des Führungsanspruches Adolf Hitlers und der Partei zur Diktatur.
Die Stimmenanteile der Nationalsozialisten in Hessen bei den Reichstagswahlen stiegen von 1928 bis zu der Wahl am 31. Juli 1932 kontinuierlich auf 43,4% an. Damit lagen die Wahlergebnisse der NSDAP im Wahlkreisverband X Hessen höher als der Reichsdurchschnitt. Dies sollte sich auch bei den nächsten beiden Wahlen am 6. November 1932 und 5. März 1933 nicht ändern. Jedoch mussten die Nationalsozialisten wie in Gesamtdeutschland auch in Hessen im November 1932 Verluste hinnehmen, nachdem das Ziel, die Beteiligung an der Regierung, nach wie vor nicht erreicht worden war. Auch im März 1933 verfehlte man die erhoffte absolute Mehrheit mit 48,7% der Stimmen in Hessen gegenüber 43,9% im Reich (vgl. Hennig, 1983, S. 56/57).
Ein ähnlicher Trend zeigte sich auch in dem Reichstagswahlkreis 19 Hessen-Nassau, der zusammen mit dem, Reichstagswahlkreis 33 Hessen-Darmstadt den Wahlkreisverband X Hessen bildete. Hier lag die Provinz Hessen-Nassau minimal über dem hessischen Stimmendurchschnitt für die NSDAP, so dass die absolute Mehrheit im März 1933 mit 49,4% der Stimmen nur ganz knapp verfehlt wurde (vgl. Hennig, 1983, S. 58/ 59).
Die Bevölkerung Hessens war überwiegend evangelisch mit einigen katholischen Hochburgen, in denen der Anteil der Katholiken häufig um 90% und mehr betrug, wie zum Beispiel in der Stadt und dem Landkreis Fulda (vgl. Hennig, 1983, S. 49 & Schön, 1972, S. 2/3). Weiterhin zeichnete sich Hessen durch eine relativ große Zahl jüdischer Einwohner aus, insgesamt 2,1% im Vergleich zu 0,9% in ganz Deutschland (vgl. Hennig, 1983, S. 49 & Schön, 1972, S. 2/3).
Die meisten Anhänger hatte der Nationalsozialismus in den überwiegend ländlichen Gebieten mit evangelischer Bevölkerung. Hier gewann die Partei einen Großteil ihrer Stimmen, und teilweise schon im Jahr 1932 die absolute Mehrheit, so zum Beispiel in der Stadt Marburg und dem Kreis Marburg Land. Auch entwickelten sich hier schon Ende der 1920er Jahre die ersten NSDAP-Ortsgruppen und SA-Einheiten. Zudem konnten die Nationalsozialisten viele Neuwähler und bisherige Nichtwähler für sich gewinnen (vgl. Seier, 1982, S. 559ff.).
In den Gebieten mit einer großen katholischen Einwohnerschaft konnte das Zentrum 1932, zum Teil auch im März 1933 die Mehrheit beziehungsweise sogar die absolute Mehrheit gegen die NSDAP verteidigen (vgl. Hennig, 1983, S. 127ff.). In den Zentren der (Industrie-) Arbeiterschaft behaupteten sich bis zum Schluss die KPD und die SPD, deren Stimmanteile in Hessen ebenfalls bei allen Reichstagswahlen von 1928 bis 1933 über dem Reichdurchschnitt lagen (vgl. Schön, 1972, S. 205ff.).
Die Zeit des Aufstiegs des Nationalsozialismus in Hessen, wie im gesamten Deutschen Reich soll in der Ausstellung „Der Aufstieg der Nationalsozialisten in Hessen 1932-1936“ an Hand ausgewählter Dokumente für den Regierungsbezirk Kassel in der Provinz Hessen-Nassau dargestellt werden.
Die Schriftstücke stammen aus General- und Sonderakten betreffend die Störungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung, auch „Gestapo-Akten“ genannt, von 1931 bis 1936 aus dem Bestand 165 des Hessischen Staatsarchivs in Marburg.
Es handelt sich um Briefe, Berichte, Meldungen und Anordnungen der preußischen Regierung, der nationalsozialistischen Führung, sowie regionalen und lokalen Behörden. Aber auch Schreiben von Parteien und Vereinen, sowie Privatpersonen sind in dem reichhaltigen Fundus enthalten. Weiterhin gibt es Musterformulare, Übersichten und Nachweisungen, sowie Zeitungsartikel.
Mit Hilfe dieser Akten lässt sich das Vorgehen der jeweiligen Machthaber auf allen Ebenen gut nachvollziehen. Aber auch die Stimmung in der Bevölkerung, pro und contra den Nationalsozialismus, spiegelt sich darin wieder, wodurch man einen recht umfassenden Überblick über die damalige Zeit mit ihren Besonderheiten und Problemen erlangen kann.
Bei der Gliederung der Ausstellung wurde sich an den Hauptaspekten der Akten betreffend die Störungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung, politische Zusammenstöße, Schutzhaft und Fälle von Diskriminierung jüdischer Mitbürger, orientiert, so dass folgende Räume entstanden:
1. Konflikte zwischen Nationalsozialisten und „Andersdenkenden“ vor der Machtübernahme
2. Konflikte zwischen Nationalsozialisten und „Andersdenkenden“ nach der Machtübernahme
3. Schutzhaft
4. Diskriminierung jüdischer Mitbürger vor den Nürnberger Gesetzen
5. Diskriminierung jüdischer Mitbürger nach den Nürnberger Gesetzen
6. Statistiken zum Aufstieg des Nationalsozialismus
Mit Ausnahme des Raumes zu den Statistiken, der Übersichten und Nachweisungen zu politischen Auseinandersetzungen, Beschlagnahmungen von Waffen und Schutzhaft enthält, ist neben der sachlichen Aufteilung, die sich allerdings manchmal überschneidet, auch eine gewisse Chronologie zu erkennen.
So sind politische Vorfälle zwischen Nationalsozialisten in den Akten sofort ab 1932 bis zum Mai/ Juni 1934 zu finden. Schutzhaftsachen sind ab Februar 1933 bis März 1934 vorhanden. Die Diskriminierung von jüdischen Mitbürgern zieht sich ab der Machtübernahme im Januar 1933 bis 1936 in steigendem Maße durch die Schriftstücke hindurch.
Abschließend ist noch auf die anderen Ausstellungen im Digitalen Archiv Marburg (DigAM) zu verweisen, die sich ebenfalls mit dem Nationalsozialismus und seinen Anfängen auseinandersetzen und eine gute Ergänzung darstellen.
Literatur:
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