9. Die Neuformierung der Parteien
Im 19. Jahrhundert hatte sich die deutsche Sozialdemokratie zum politischen Arm der Arbeiterbewegung entwickelt. Sie kämpfte für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Arbeiter und für eine demokratische Republik. 1914, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, trat die SPD dem sogenannten „Burgfrieden“ bei, um die Außen- und Kriegspolitik des Reichs zu unterstützen. Als sie 1917 die enormen Kredite für die Kriegsführung bewilligte, gründeten Sozialdemokraten, die diese Politik nicht weiter mittragen wollten, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei – USPD.
Im Oktober 1918 trat die SPD in die Regierung Max von Baden ein, übernahm aber bald im Zuge der Novemberrevolution unter Friedrich Ebert die Führung der Regierungsgeschäfte. Denn es war den „Mehrheitssozialisten“ – zunächst zusammen mit der USPD – gelungen, sich an die Spitze der Revolutionsbewegung zu setzen. Es galt, die Monarchie abzuschaffen und eine freie, gleiche und gerechte demokratische Republik aufzubauen. So wurden bereits am 12. November 1918 in Berlin u.a. das Frauenwahlrecht und die Einführung des 8-Stunden-Tags proklamiert. Nur drei Tage später einigten sich Unternehmerverbände und Gewerkschaften darauf, dass die Gewerkschaften als Vertretung der Arbeiterschaft anerkannt, Tarifverträge eingeführt und gemeinsame Ausschüsse zur sozialpartnerschaftlichen Gestaltung des gesamten Wirtschaftslebens errichtet wurden.
Der Erste Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte vom 16.-21. Dezember 1918 verständigte sich darauf, am 19. Januar 1919 die Wahl zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung durchzuführen. Die Beschlüsse des Reichskongresses zur „Demokratisierung“ der Armee und zum sofortigen Beginn der Sozialisierung „geeigneter“ Industrien wurden jedoch nicht weiterverfolgt.
Dies bewog die USPD, sich Ende 1918 aus der Regierungsverantwortung im Reich zurückzuziehen. Infolge dessen gründete sich aus dem Spartakusbund und dem linken USPD-Flügel zur Jahreswende 1918/19 die KPD, die sich der internationalen kommunistischen Bewegung verpflichtete und, auch mit Waffengewalt, für eine sozialistische Räterepublik kämpfte.
In Hessen gewann die kommunistische Arbeiterbewegung vor allem im Frankfurter Raum erheblichen Einfluss. Die dortige Chemie- und Metall-Industrie brachte ein proletarisches Milieu hervor. Angesichts der schlechten Versorgungslage gelang es der KPD, die Gewerkschaften für Protest- und Streikaufrufe zu gewinnen. In Hanau dominierte die USPD gar den Arbeiter- und Soldatenrat, die Presse und die Sicherheitsorgane.
Überdurchschnittliche Erfolge verbuchte die SPD in Kassel und Umland. Sie verfolgte dort eine „reformistische“ Politik, die bei den gewerkschaftlich gut verankerten und bodenständigen Arbeitern, von denen viele einpendelten, honoriert wurde. Eine ähnliche Politik verfolgte die Darmstädter SPD.
Das konservative und bürgerliche Lager war zu Beginn des 20. Jahrhunderts politisch differenzierter aufgestellt als heute und formierte sich im Zuge der Novemberrevolution weitgehend neu.
Das Zentrum hatte sich im 19. Jahrhundert als oppositionelle katholische Milieupartei etabliert. Es setzte sich u.a. für gerechtere Steuerlasten und eine Sozialversicherung ein. Anfang des 20. Jahrhunderts wandelte es sich zur Regierungspartei und trat im Ersten Weltkrieg, wie die SPD, dem „Burgfrieden“ bei. Der Novemberrevolution stand das Zentrum distanziert gegenüber, zählte unter den Vorsitzenden Erzberger und Marx aber zu den konstruktiven Kräften der „Weimarer Koalition“ und unterstützte u.a. die Einführung der Arbeitslosenversicherung maßgeblich. In den katholischen Gebieten Hessens – Rheingau, Limburg und besonders in und um Fulda – war das Zentrum stark vertreten.
Die Deutsche Demokratische Partei – DDP wurde am 20. November 1918 als demokratische, liberale, nationale und soziale Partei gegründet und knüpfte programmatisch an die vormalige linksliberale Fortschrittliche Volkspartei an. Die DDP suchte den Ausgleich zwischen sozial- und wirtschaftspolitischen Positionen, zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum und appellierte an die soziale Verantwortung der Privatwirtschaft, was die Zusammenarbeit mit der SPD nahelegte. Sie gehörte mit SPD und Zentrum zur „Weimarer Koalition“. Doch begann schon 1920 ihr Niedergang. Angesichts der schlechten Versorgungslage, Arbeitslosigkeit und Inflation fand ihr Programm des „sozialen Kapitalismus“ kaum Gehör, und es gelang ihr nicht, den antisemitisch aufgeladenen Vorwurf zu entkräften, „Partei des Hochkapitals“ zu sein.
Im Dezember 1918 gründete sich um den monarchistisch gesinnten Gustav Stresemann als Weiterführung der Nationalliberalen Partei die Deutsche Volkspartei – DVP, die weniger eine demokratische als eine liberale Haltung betonte und die Freiheit des Einzelnen vor den Eingriffen des Staates schützen wollte. Sie lehnte die Weimarer Verfassung ab, war aber von 1920 bis 1931 in fast allen Regierungen vertreten.
In der Deutschnationalen Volkspartei – DNVP formierten sich Ende November 1918 die bisherigen nationalkonservativ-völkischen, monarchistischen und antisemitischen Parteien und Gruppierungen. Adlige, ehemalige Offiziere, aber auch Freiberufler, Intellektuelle, Beamte und Angestellte prägten die Partei. Die DNVP besetzte den rechtskonservativen Rand des Weimarer Parteiensystems und bekämpfte offen die Republik.
Die DDP war 1919 in Frankfurt, Wiesbaden, Darmstadt, Kassel und in den Kleinstädten, darunter auch die Universitätsstadt Marburg, gut aufgestellt. Ihr Programm vertraten vor allem Einzelpersönlichkeiten. Doch verpufften ihre Erfolge auch in Hessen rasch, da es ihr nicht gelang, sich in der Gesellschaft zu verankern. Eine konservative „politische Sozialmoral“ vertraten auch in Hessen die nationalen Verbände und Kriegervereine sowie die protestantische Kirche.
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