1. Das Landgrafenschloss als Herrschaftssitz und Friedensbezirk
Im Spätmittelalter war die Burg Marburg noch Herrschaftssitz der hessischen Landgrafen. Vom Schloss aus wurden die Geschicke von Land und Leuten bestimmt, Streitigkeiten geschlichtet sowie Gnadenerweise und Schenkungen erteilt, z. B. die Schenkung durch Landgräfin Sophie an ein Zisterzienser-Kloster 1250 (Dok. 1) oder 1286 die Regelung der Besitzverhältnisse über verschiedene Güter in Seelheim an die Burgmannen (Dok. 2). Nach dem Ausbau der Kapelle im Schloss war diese dort nicht nur den Schlossbewohner vorbehalten. Bischof Christian von Samland lud die Bewohner der Stadt 1288 zur Jahrfeier der von ihm geweihten Kapelle dazu ein, ebenfalls darin zu beten und Ablass zu leisten (Dok. 4/5). Andere Bischöfe folgten ihm später in ähnlicher Weise.
Welch hohe Bedeutung das Marburger Schloss hatte, kann man 1529 erkennen, als Philipp der Großmütige die großen Reformatoren seiner Zeit - Zwingli, Luther, Melanchthon - zum Marburger Religionsgespräch einlud, um über die Frage des Abendmahls zu diskutieren (Dok. 6-8). Die Residenzfunktion des Schlosses zeigt sich auch in dem Ausbau der Burg im 16. Jh. sowie in der Nutzung der Elisabethkirche als landgräfliche Grablegungsstätte. Auch wenn Marburg dabei im Laufe der Zeit immer wieder mit Kassel in Konkurrenz stand und Kassel zeitweilig überwog, versuchten die Landgrafen dennoch, das Marburger Schloss in Schuss zu halten, und behielten die Elisabethkirche lange als Grablegungsstätte bei. Nach dem Tod von Landgraf Ludwig IV. von Marburg 1604 artete die Auseinandersetzung zwischen den beiden Linien Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt um das prestigereiche Schloss und den Besitz von Oberhessen in einen Krieg aus, bei dem es auch um Marburg selbst ging, da die Stadt und Universität die Herkunft der Landgrafen verkörperte. Aus diesem politischen Tauziehen ging gemäß des Urteils eines Schiedsgerichts, welches Ludwigs IV. letzten Willen umsetzen sollte, zunächst Landgraf Moritz von Hessen-Kassel als Sieger hervor. 1624 nahmen dann die Darmstädter das Schloss in Besitz. Doch der erbitterte Kampf der beiden Linien um Marburg während des 30-jährigen Krieges ließ am Ende Stadt und Schloss hoch verschuldet und schwer beschädigt zurück. Dies bedeutete das endgültige Ende der Residenzfunktion für Marburg.
1723 wurde das Schloss von Landgraf Karl von Hessen-Kassel durch sein Burgfriedenspatent zum Friedensbezirk erklärt. Jede tätliche Auseinandersetzungen, Beleidigungen und Duelle waren strikt untersagt und bei Verstoß drohte die Todesstrafe ohne Gerichtsverfahren (Dok. 10).
Katharina von der Osten-Sacken
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.