3. Leben in der Stadt: Armut und Spenden
Erläuterungen:
Anders als auf dem Land waren die Einwohner der Stadt keiner Hörigkeit mehr unterworfen; hier galt das Motto „Stadtluft macht frei“. Doch diese Freiheit war nicht automatisch mit Wohlstand oder dem Bürgerrecht gleichzusetzen. Denn nur diejenigen, die über ein gewisses Vermögen verfügten, konnten das Geld für den Eintritt in Zunft oder Bürgerschaft aufbringen. Verdient wurde es i.d.R. durch Handel oder einen eigenen Betrieb. Durch diese Zahlungen konnten sich die Vermögenden, die die Oberschicht ausmachten, von den weniger Wohlhabenden abgrenzen. Die Mittel-und Unterschicht bildete die sog. „Gemeinde“; zur Mittelschicht gehörten mittlere und kleinere Kaufleute, Meister und Handwerker, Anwälte, Apotheker und städtische Beamte wie etwa der Lehrer oder Stadtschreiber. Die Unterschicht umfasste unselbstständig Arbeitende wie Gesellen, Tagelöhner, Gesinde [für etwa ein Jahr Angestellte], verarmte Handwerker und Arme, die auf Unterstützung angewiesen waren. Ausschlaggebend für Zugehörigkeit zur Unterschicht war das fehlende Bürgerrecht sowie geringes oder kein Vermögen, also auch fehlende Rücklagen, die zu einem Leben „von der Hand in den Mund“ führten. Auch Juden und Personen, die „unehrliche Berufe“ wie Henker oder Totengräber ausübten, konnten keine Bürgerschaft erwerben; diese blieb auch unehelich Geborenen und deren Kindern verschlossen.
Die Stadt war in sich durch diese soziale Abgrenzung gegliedert; in der Regel blieb jede Schicht für sich, denn das Übertreten der Standesgrenzen konnte auch Nachteile mit sich bringen: Das gemeinsame Trinken eines Henkers und eines Handwerkers konnte z. B. seinen Ausschluss aus der Zunft bedeuten.
Genau lässt sich heute die Anzahl der Armen in Marburg nicht mehr rekonstruieren. Wahrscheinlich machten sie etwa 20 % der Einwohner aus. (Einwohnerzahlen: Im Jahr 1447 registrierten die Erheber der Steuern 650 Haushalte, das sind etwa 2500 Einwohner).
In den meisten Fällen handelte es sich bei den Abgaben um Brot, Heringe, Tuch und Geld.
Generell waren die Steuern und Abgaben, die zu zahlen waren, im Gegensatz zu heute regressiv - je höher das Einkommen, desto niedriger die Besteuerung.
Während die Ärmsten, deren Einkommen sich auf 5 Pfund (=50 Schilling) oder weniger belief, 3-4 Schilling Bede bezahlen mussten (was 10% ihres Einkommens entsprach), gaben die Reichsten 0,26%, also 40 Schilling ihres sich auf etwa 15000 Schilling belaufenden Vermögens.
Aufgrund der nach Wohngebieten eingetragenen Steuerzahlungen lässt sich nachvollziehen, wo die Ärmsten in der Stadt im Jahr 1455 wohnten: nämlich Am Grün und am sog. Leckerberg, also dem Roten Graben, Zwischenhausen und Ketzerbach. Dann folgte der Pilgrimstein, Weidenhausen, der Steinweg und die Neustadt. Die west-östliche Seite des Obermarktes sowie die Reitgasse, Aulgasse, Wettergasse und der Hirschberg waren die bevorzugten Wohngegenden der Reichsten, während die Wohlhabenden westlich der Hofstatt und in der Barfüßerstraße lebten.
Die Einstellung zu den Bettlern veränderte sich im Laufe der Zeit, wie die Quellen belegen:
In der ersten Aufzeichnung wird den Bedürftigen noch ein Tisch mit einem „weißen“ Tischtuch gedeckt; für diese Gaben verrichten sie im Gegenzug Gebete für die Wohltäter. Dieses Geben und Nehmen spiegelt die mittelalterliche Ordnung von Armut und Reichtum wider – die einen spenden, die anderen beten. Aus diesem Grund galt das Betteln auch nicht unbedingt als „unehrlich“ und sogar als ein Beruf.
Anders so die dritte Quelle: Nun möchte Marburg die Bettler nur noch sehr ungern in ihrer Stadt haben; die, die bleiben, müssen sich registrieren und werden mit einem sichtbaren Zeichen gebrandmarkt: Dieses bestand z. B. aus Messing und sollte auf der Kleidung angenäht werden.
Arbeitsaufträge:
- Notieren Sie, welche Personen Spenden erhalten, woraus diese bestehen und an welchen Orten die Spenden ausgegeben wurden.
- Ermitteln Sie anhand der Spendenempfänger, wie groß die Anzahl der Armen in Marburg gewesen sein könnte.
- Überlegen Sie, warum die Abgabe der Spenden auf bestimmte Tage fällt und überwiegend von Privatpersonen geleistet wurde.
- Beurteilen Sie die Veränderung im Umgang mit den Bettlern.
- Vergleichen Sie heutige soziale Aufwendungen wie etwa Hartz IV mit dem oben beschriebenen Spendensystem. Bedenken Sie dabei auch, was der Begriff "Spende" bedeutet.
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