7. Die "relative Offenheit" der USA vor der 2. westl. Antwortnote vom 13. Mai 1952
Die Beratung im State Department am 1. April 1952 hatte offenbart, dass die Position der Deutschlandabteilung, die in der Anfangsphase die amerikanische Notenpolitik in den Verhandlungen mit Großbritannien und Frankreich in unmittelbarer Abstimmung mit Acheson weitgehend unabhängig hatte gestalten können, mit ihrer ausschließlichen Orientierung auf die Westintegration der Bundesrepublik zunehmend auf Widerspruch stieß. Insofern bedeutete die explizite, nicht nur taktisch gemeinte Festlegung des State Department auf das Doppelziel von Integration und Wiedervereinigung einen erheblichen Positionsgewinn für die Konzeption des Politischen Planungsstabes.
Nach dem Eingang der zweiten sowjetischen Note vom 9. April 1952 wurde der Planungsstab nunmehr umgehend eingeschaltet. Nachdem am 10. April im Rahmen der täglichen Stabsbesprechungen Botschafter Philip C. Jessup Gespräche auf einem »medium-level« mit der Sowjetunion vorgeschlagen und Bohlen für die nächste westliche Antwort ein kraftvolles Statement in der Deutschlandfrage verlangt hatte, fand am 11. April im Büro von Nitze eine weiterführende Beratung statt. Neben Jessup und Nitze als Leiter des Planungsstabes waren noch Ferguson sowie Tufts und Scammon, die Autoren des Memorandums vom 14. März 1952, hinzugezogen worden. Der Zweck der Besprechung bestand darin, Jessup als Vertreter des State Department im Nationalen Sicherheitsrat mit dem alternativen Ansatz des Planungsstabes im Detail vertraut zu machen. Scammon und Tufts erhielten Gelegenheit, zunächst ihr Konzept der unmittelbaren Prüfung des sowjetischen Angebots durch die Vorgabe eines konkreten Datums für den Wahltermin (»a given date«) anstelle aller taktischen Manöver ("investigation of conditions"), zu (Dokument 10). Die Frage nach der Kontrolle durch eine UN-Kommission wurde folgerichtig als zweitrangig, da rein taktisch motiviert, betrachtet. Wie Nitze und Ferguson noch einmal hervorhoben, sei der beabsichtigte Test für die Ernsthaftigkeit der sowjetischen Absichten aus zwei Gründen unverzichtbar:
- at any time that the USSR is really willing to hold free elections and get out of East Germany it can block German integration, and
- if German integration is going to be blocked by the USSR, we ought to find that out as soon as possible and plan our future European policy accordingly « (Dokument 10).
Wie diese Argumente bestätigen, war man sich im State Department des schließlichen Erfolges in der europäischen Integrationspolitik zu diesem Zeitpunkt gar nicht so sicher [39]. Nitze unterstrich deshalb auch, dass der Westen, sollte die Sowjetunion die Abhaltung freier Wahlen wie erwartet ablehnen, einen entscheidenden Propagandavorteil erwerben würde: Die Westintegration der Bundesrepublik würde dann nachgewiesenermaßen zur allein verbleibenden Alternative. Botschafter Jessup, der schon in der Besprechung vom 1. April einige Skepsis gezeigt hatte, war vor allem über das Starten einer derartigen Offensive im gegenwärtigen Moment beunruhigt. Im State Department, so Jessup, seien viele der Ansicht, dass zunächst der EVG-Vertrag unterzeichnet und vielleicht sogar ratifiziert werden müsse. Nitze, der sich durch diese Argumente offenbar nicht von seinem Konzept abbringen ließ, kam im letzten Teil der Beratung schließlich ausführlicher auf die Bedingungen zu sprechen, die nach Ansicht des Planungsstabes in der Zeit zwischen der Errichtung einer gesamtdeutschen Regierung und der Unterzeichnung eines Friedensvertrages herzustellen seien. Hier sah Nitze zwei entscheidende Punkte, nämlich erstens den Abzug der sowjetischen Truppen und zweitens die Auflösung der sowjetischen Aktiengesellschaft [40]. Richard Scammon bekam abschließend den Auftrag, die möglichen Reaktionen in Westdeutschland auf die verschiedenen Modelle eines sowjetischen Rückzuges zu analysieren (Dokument 11).
In dem amerikanischen Entwurf für die zweite westliche Antwort [41] blieb das State Department zwar nach außen hin bei seinem taktischen Ansatz »investigation of conditions«, und das vom Planungsstab favorisierte Konzept einer »declaration of freedom« [42] für die Sowjetzone kam nicht voll zum Zuge. Immerhin war der Planungsstab diesmal aber an der Beratung des Entwurfes beteiligt und konnte seine Vorstellungen wenigstens ansatzweise einbringen [43]. Von wesentlich größerer Bedeutung war allerdings, dass Außenminister Acheson jetzt selbst einen deutlich flexibleren Kurs einzuschlagen begann. Seine von den westlichen Regierungschefs mit ziemlicher Bestürzung aufgenommene Initiative vom 30. April 1952, zur Klärung der tatsächlichen sowjetischen Absichten eine Konferenz der vier Besatzungsmächte in Berlin zum Thema gesamtdeutscher Wahlen einzuberufen [44], reflektierte den inzwischen vollzogenen Meinungswandel im State Department [45]. Mit diesem Vorschlag bewegte sich Acheson jetzt genau auf der Linie des Tufts/Scammon-Memorandums vom 14. März 1952. Und auch die Begründung des Außenministers für die Notwendigkeit eines sofortigen konkreten Verhandlungsangebots an die Sowjetunion verriet sehr deutlich die Handschrift des Politischen Planungsstabes:
In dem amerikanischen Entwurf für die zweite westliche Antwort [41] blieb das State Department zwar nach außen hin bei seinem taktischen Ansatz »investigation of conditions«, und das vom Planungsstab favorisierte Konzept einer »declaration of freedom« [42] für die Sowjetzone kam nicht voll zum Zuge. Immerhin war der Planungsstab diesmal aber an der Beratung des Entwurfes beteiligt und konnte seine Vorstellungen wenigstens ansatzweise einbringen [43]. Von wesentlich größerer Bedeutung war allerdings, dass Außenminister Acheson jetzt selbst einen deutlich flexibleren Kurs einzuschlagen begann. Seine von den westlichen Regierungschefs mit ziemlicher Bestürzung aufgenommene Initiative vom 30. April 1952, zur Klärung der tatsächlichen sowjetischen Absichten eine Konferenz der vier Besatzungsmächte in Berlin zum Thema gesamtdeutscher Wahlen einzuberufen [44], reflektierte den inzwischen vollzogenen Meinungswandel im State Department [45]. Mit diesem Vorschlag bewegte sich Acheson jetzt genau auf der Linie des Tufts/Scammon-Memorandums vom 14. März 1952. Und auch die Begründung des Außenministers für die Notwendigkeit eines sofortigen konkreten Verhandlungsangebots an die Sowjetunion verriet sehr deutlich die Handschrift des Politischen Planungsstabes:
»Department has come increasingly to conclusion in this regard that we have much to gain and nothing to lose by making specifie proposal in this reply for talks [ ... ] Accordingly, it is in our interest to expose Soviet insincerity alt earliest possible date and in any event before legislation debates are concluded [ ... ] If Soviets are really prepared to open Eastern Zone, we should force their hand. We can not allow our plans to be thwarted merely by speculation that Soviets may be ready actually to pay a high price.« [46]
Dieser Vorschlag signalisierte einen bemerkenswerten Positionswechsel in der Haltung des State Department. Unterstützt wurde diese neue Linie nicht zuletzt durch einen Geheimbericht des »Office of Intelligence Research« vom 14. Mai 1952 über die jeweils zu erwartenden Reaktionen auf Annahme oder Ablehnung des sowjetischen Wiedervereinigungsangebots durch den Westen [47]. In einem Resümee des Berichtes kamen die generellen Vorteile für die USA bei einem Eingehen auf Stalins Initiative eindeutig zum Ausdruck [48]. Bemerkenswert an dem Geheimbericht war nicht zuletzt, wie hoch die zuständigen amerikanischen Experten die Bedrohungsangst der Sowjetunion durch NATO und Abschluss des EVG-Vertrages einschätzten. Aber dieser Wandel im State Department kam zu spät, wurde nicht konsequent genug zu Ende geführt und blieb deutschlandpolitisch folgenlos. Wie bereits bei der Abstimmung über die erste westliche Note mussten die USA auch bei der zweiten Note schließlich eine diplomatische Niederlage hinnehmen. Wieder gelang es Frankreich und Großbritannien, assistiert von Adenauer [49], in der gemeinsamen Note vom 13. Mai 1952 [50] alle konstruktiven Ansätze zu unterlaufen und die westlichen Vorbedingungen so hoch zu schrauben, dass der Sowjetunion de facto nur die Möglichkeit blieb, die DDR preiszugeben, ohne zu wissen, welche sicherheitspolitischen Garantien sie im Hinblick auf ein wiederhergestelltes Gesamtdeutschland erhalten würde.
Anmerkungen:
[39] | Falls die Integration scheitern sollte, wurde vom State Department deshalb im April 1952 auch ein Rückzug der amerikanischen Truppen aus Europa nicht ausgeschlossen. Aufzeichnung im State Department vorn 12. 4. 1952, mitgeteilt bei Graml (wie Anm. 29), S. 32. |
[40] | Auf der Grundlage des Befehls Nr. 167 vom 5. 6. 1946 gingen insgesamt 213 der wichtigsten deutschen Industriebetriebe in der sowjetischen Besatzungszone und in Ost-Berlin in den Besitz der Sowjetunion über. Aus der Produktion der in Sowjetische Aktiengesellschaften" umgewandelten Betriebe, die 1950 einen Anteil von 22,60% der Bruttoproduktion der Industrie insgesamt inne hatten, wurden zwischen 1945 und 1953 Waren im Werte von 34,7 Mrd. Mark (zu Preisen von 1944) als Reparationsleistungen an die Sowjetunion entnommen. Der Rückkauf der SAG-Betriebe durch die DDR und ihre Umwandlung in Volkseigene Betriebe (VEB) wurde mit der Übernahme von 66 Betrieben am 28.4.1952 und der restlichen 33 Betriebe am 1.1.1954 abgeschlossen. Vgl. D. Staritz: Die Gründung der DDR. Von der sowjetischen Besatzungszone zum sozialistischen Staat. München 1984, S. 55 ff.; DDR-Handbuch. 2. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Köln 1979, S. 906 ff. |
[41] | FRUS 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. VII 1, S. 220‑223. 30. 4. 1952 Telegramm 5593 Acheson an Botschaft in London, Absätze 4-10. Zur taktischen Linie des US-Entwurfs siehe in: 30. 4. 1952 Telegramm 5592 Acheson an Botschaft in London, Abschn. 4, ebd., S. 217 ff. Abgedruckt auch bei Steininger (wie Anm. 4), S. 232 ff, hier S. 233. |
[42] | RG 59, PPS Box 16, 24. 7. 1952 Memorandum R. M. Scammon für John H. Ferguson betr. »U.S. Policy on Four-Power Talks on Investigation of Conditions for Free Elections in Germany«. |
[43] | FRUS, 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. VII 1, S. 220, Anm. 1. |
[44] | Ebd., Abschnitt 9. |
[45] | Siehe u.a. Graml (wie Anm. 29), S. 333 f |
[46] | 30. 4. 1952 Telegramm 5592 Acheson an Botschaft in London, zit. nach Steininger (wie Anm. 4), S. 232 ff., hier Abschnitte 6 und 7, S. 233. Der vom Leiter der Deutschlandabteilung, Perry Laukhuff, angefertigte Entwurf vom 29. 4. 52 war in einer gemeinsamen Konferenz mit dem Planungsstab und anderen Abteilungen des State Departments abgeklärt worden. |
[47] | RG 59, PPS Box 16, 14. 5. 1952 Intelligence Report LE. 39 »Reactions to Western Acceptance or Rejection of an Assumed Soviet Offer to Unite Germany«, Department of State (OIR). Abgedruckt auch bei Steininger (wie Anm. 4), S. 254-258. |
[48] | Ebd., 16. 5. 1952, Memorandum W. Park Armstrong für Bohlen, Jessup, Nitze, Perkins, Riddleberger und Sargeant (Secret). Hierbei wurden drei Punkte als entscheidend angesehen: » (a) In Western Europe, either reiection or acceptance of a genuine Soviet offer to unify Germany would have adverse effects on rearmament; (b) In West Germany, rejection of such an offer would destroy any hope of securing an effective pro-Western orientation, while acceptance would lead to the creation of a neutral anti-Communist all-German government; (c) In the USSR, acceptance would produce no drastic change of policy, while rejection would lead the Kremlin to conclude that the NATO-West German threat that had prompted its offer could not be countered by a policy of retreat, and was bound to lead to war. It is estimated that the Soviet rulers would, therefore, follow a course that presupposed a military showdown with the West, and might, to this end, "adopt a vigorous stand in Korea or undertake a new aggression in Southeast Asia", even at the risk of general war." |
[49] | 3. 5. 1952 Telegramm McCloy an Acheson, abgedruckt bei Steininger (wie Anm. 4), S. 241. |
[50] | FRUS 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. VII 1, S. 242‑247. |
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