5. Sieg französischer und britischer Status-quo-Politik: Die westl. Antwortnote vom 25. März 1952
5. Sieg französischer und britischer Status-quo-Politik: Die westliche Antwortnote vom 25. März 1952
Zu einer seriösen Prüfung der Stalin-Note, wie sie Paul Nitze und der Politische Planungsstab wollten, ist es bekanntlich nie gekommen. In der Besprechung des State Departments vom 14. März fiel vielmehr die Entscheidung zugunsten des taktisch ansetzenden Antwortkonzepts der Deutschlandabteilung. Acheson sandte diesen Entwurf noch am Abend des 14. März mit Billigung Trumans an die Botschaft in London [21]. Mit dieser Entscheidung war jedoch das letzte Wort über die grundsätzliche Haltung des State Department noch nicht gefallen. So beauftragte der Außenminister im Anschluss an die Besprechung bei Matthews den Politischen Planungsstab mit der Ausarbeitung eines Memorandums über eine mögliche alternative westliche Antwortnote. Am 18. März überreichte John Ferguson, der stellvertretende Leiter des Planungsstabes, Acheson die erbetene Denkschrift, nachdem der Außenminister zuvor noch einmal ausdrücklich sein Interesse bestätigt hatte [22]. In diesem wiederum von Robert Tufts verfassten Memorandum betonte der Planungsstab erneut die Notwendigkeit eines offensiven Vorgehens in der Wahlfrage und hob die Vorzüge seines Antwortentwurfes hervor, der der Sowjetunion keinen Spielraum für taktische Ausweichmanöver lasse. Dabei wurden die zentralen Aussagen der Denkschrift vom 14. März noch einmal resümiert:
»If the Russians are not bluffing and are really prepared to pay, if necessary, the price of free elections in order to block Western Germanys entrance into EDC, there is no way of avoiding the necessity for dealing with the problem of a unified Germany and for readjusting our European policy. There is only one chance in ten, S/P believes, that this is the situation. lf it is, however, we should attempt to make the Russians pay as high a price as possible and to gain as much credit for pushing them in this direction as we can. Our best chance of doing this (as also our best chance of calling their bluff) is to seize the initiative, to make the establishment of the conditions necessary for free elections the price of discussion of election arrangements, and to show the Russians that lf they go down this course, we will play the game in a tough and serious way.« [23]
Wie sich indes in den Verhandlungen mit Frankreich und Großbritannien zeigte, reduzierte sich der inneramerikanische Streit um die Ausformulierung der Wahlthematik fast auf eine akademische Auseinandersetzung. Der US-Geschäftsträger in Paris, Bonsal, telegraphierte nach Verhandlungen mit Eden und Schuman schließlich am 20. März 1952 resignativ nach Washington, dass der amerikanische »point of view« nicht durchsetzbar gewesen sei, weil lebenswichtige britische und französische Interessen zur Disposition gestanden hätten [24]. In den Gesprächen hatte sich gezeigt, dass vor allem in Frankreich beinahe traumatische Befürchtungen vor dem neuerlichen Übergewicht eines wiedervereinigten Gesamtdeutschland in Kontinentaleuropa und einer dann möglichen Koalition der Deutschen mit der Sowjetunion bestanden. Frankreich setzte deshalb alles daran, durch die konsequente Torpedierung aller Neutralisierungspläne eine Wiederholung des Alptraums von Rapallo zu verhindern. [25](siehe Dokument 9).
In der bisherigen Literatur sind die im Hinblick auf die möglichen Reaktionen der Sowjetunion entscheidenden Divergenzen zwischen dem ersten amerikanischen Entwurf[26] und den englischen und französischen Stellungnahmen [27] entweder weitgehend Übersehen [28] oder als eher taktische Unterschiede interpretiert worden. Die Tatsache, dass die Notenpolitik der Westmächte in Paris und London gemacht wurde und das State Department schließlich genötigt war, sich im Interesse einer gemeinsamen Antwort den sehr viel weitergehenden britischen und französischen Vorbedingungen zu beugen, ist wohl konstatiert, aber auf mögliche substantielle Unterschiede in der Interessenlage nur unzureichend geprüft worden [29]. Dass Acheson die von den Europäern durchgesetzten Verschärfungen im Hinblick auf die inneren Kräfteverhältnisse im State Department möglicherweise nicht einmal ungelegen kamen, ist im übrigen durchaus denkbar. jedenfalls zeigte der amerikanische Außenminister ein auffälliges Desinteresse an einer kompetenten amerikanischen Verhandlungsdelegation [30]. Eden und Schuman hatten so auch keine besonders großen Schwierigkeiten, gegen das amerikanische Votum durchzusetzen, dass die Statusfrage in Form von zwei entscheidenden Vorbedingungen in die westliche Antwortnote aufgenommen wurde: die volle, auch militärische Bündnisfreiheit für ein wiedervereinigtes Deutschland und ein Friedensvertragsvorbehalt für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und den Verlust der deutschen Ostgebiete[31]. Die Ablehnung der Neutralität und die Infragestellung der OderNeiße-Linie in der westlichen Antwortnote vom 25. März 1952 [32] trafen die StalinNote in ihrem Kern, und die Gefahr einer sowjetischen Zustimmung zu der von den USA zunächst allein in den Mittelpunkt gestellten Wahlthematik wurde durch diese »Nachbesserungen« von vornherein ausgeschlossen. Die sowjetische Initiative musste sich damit, sollte in diesen Punkten keine Änderung in der Position der Westmächte erfolgen, praktisch totlaufen.
Anmerkungen:
[21] | 14. 3. 1952 Telegramm Acheson an die Botschaft in Großbritannien, in: FRUS, 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. VII 1, S. 173 f. RG 59, PPS Box 16, 18. 3. 1952 Memorandum Ferguson an Bohlen u.a. bzw. ebd., Memorandum Ferguson an Acheson. |
[22] | |
[23] | Das Memorandum ist abgedruckt bei Steininger (wie Anm, 4), S. 157 ff. Aus den jetzt neu zur Verfügung stehenden Dokumenten des PPS (18. 3. 1952 Memorandum Ferguson für Bohlen u.a.) geht hervor, dass Robert W. Tufts die Ausarbeitung abgefasst hatte und Ferguson diese lediglich weitergeleitet hat. Hier zit. nach RG 59 PPS, Box 16, 18. 3. 1952 Memorandum Ferguson an Acheson. (S/P = Department of State, Policy Planning Staff). |
[24] | 20. 3.1952 Telegramm Bonsal an State Department, in: FRUS 1952‑54 (wie Anm. 18), Vol. VII 1, S. 186. Acheson hatte an den Verhandlungen persönlich nicht teilgenommen, sondern den soeben aus Rom abgezogenen und in Paris noch nicht akkreditierten Botschafter Dunn mit der Wahrnehmung der amerikanischen Interessen beauftragt. Aus Washington hatte Acheson den Leiter der Deutschlandabteilung, Perry Laukhuff, geschickt, und aus London wurde der amerikanische Gesandte Julius C. Hohnes zu den Gesprächen mit Schuman und Eden hinzugezogen. |
[25] | Siehe u.a. Lagebeurteilung der Generaldirektion Politik des französischen Außenministeriums vom 12. 3. 1952, abgedruckt bei N. Meyer-Landrut: Frankreich und die deutsche Einheit. Die Haltung der französischen Regierung und der Öffentlichkeit zu den Stalin-Noten 1952. München 1988, S. 132 ff. |
[26] | FRUS, 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. VII 1, S. 169 ff. und 173 ff. |
[27] | Abgedruckt bei Steininger (wie Anm. 4), S. 116 ff., hier vor allem S. 144-146. Neue Dokumente zur französischen Position jetzt bei Meyer-Landrut (wie Anm. 25), S. 127 ff. |
[28] | Vgl. Steininger (wie Anm. 4), S. 52: Danach habe der amerikanische Entwurf für eine Antwortnote »weitgehend« dem britischen Entwurf entsprochen. |
[29] | Siehe u.a. H. Graml: Die Legende von der verpassten Gelegenheit. Zur sowjetischen Notenkampagne des Jahres 1952. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) 29 (198 1), S. 307-34 1, hier S. 326-329. Graml gibt einen sehr präzisen Überblick über den Verhandlungsgang, analysiert aber die unterschiedlichen Interessenpositionen nicht weiter. |
[30] | RG 59 Decimal files 1950‑54, Box 3856, 762A.00/3-1852 TSF: Memorandum of telephone call McCloy-Acheson (Top Secret). |
[31] | Vgl. auch Graml (wie Anm. 29), S. 307-341, hier S. 327 L; Steininger (wie Anm. 4), S. 46- 53, S. 114-163, hier insbes. S. 50; Meyer-Landrut (wie Anm. 25), S. 132 ff. |
[32] | Abgedruckt bei Jäckel (wie Anm. 1), S. 24 f. |
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