7. ... in Wiesbaden
Am 9. November initiierten Marinesoldaten des Kölner Soldatenrates die Bildung eines Soldatenrates aus dem Ersatz-Bataillon des 80. Füsilierregiments heraus, dem 1866 entstandenen Wiesbadener „Hausregiment“.
Am Abend desselben Tages riefen die Arbeiterparteien zu einer Großveranstaltung auf. Es wurde ein Arbeiterrat gewählt, in dem SPD und USPD paritätisch jeweils acht Mitglieder stellten. Am 10. November fusionierte der Arbeiterrat mit dem Soldatenrat zum revolutionären Wiesbadener Arbeiter- und Soldatenrat. Dieser übernahm ohne Blutvergießen die Macht über die Stadt und den Landkreis Wiesbaden.
Während der nächsten Wochen blieb der gemäßigte Arbeiter- und Soldatenrat seiner Linie treu, in unruhigen, revolutionären Zeiten die drängenden Probleme des Alltags pragmatisch zu lösen.
Die Novemberrevolution endete in Wiesbaden am 13. Dezember 1918 mit der französischen Rheinlandbesetzung. Der Arbeiter- und Soldatenrat löste sich auf und die französische Besatzungsherrschaft begann.
Die Besetzung des Rheinlands durch das französische Militär schuf den Nährboden, auf dem sich der rheinische Separatismus ab 1919 entfalten konnte. Die Bestrebungen, eine konfessionell katholisch und politisch auf Frankreich hin ausgerichtete Rheinische Republik zu gründen, besaßen zwei Stoßrichtungen: zum einen, zurückreichend bis ins 19. Jahrhundert, gegen die protestantische Hegemonialmacht Preußen, zum anderen gegen den Sozialismus, der seit der Novemberrevolution allerorten die althergebrachte Sozial- und Wirtschaftsordnung bedrohte. Das französische Militär unterstützte die Bestrebungen für eine Eigenstaatlichkeit umfänglich. Mit einem solchen „Pufferstaat“ hätte sich Frankreich die Kontrolle der westdeutschen Wirtschaftsressourcen gesichert und das unter preußischer Dominanz stehende Deutsche Reich stark geschwächt.
Wiesbaden war neben Aachen, Köln und Trier eines der Zentren des rheinischen Separatismus. Auch im benachbarten, katholisch geprägten Rheingau, u.a. in Eltville, Johannisberg und Lorchhausen, stieß der Separatismus auf positiven Widerhall. In Wiesbaden war der Staatsanwalt Hans Adam Dorten die treibende Kraft bei dem Versuch, eine eigenständige Rheinische Republik zu begründen. Nach seiner Heimkehr aus dem Kriegsdienst, bei dem er mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse ausgezeichnet worden war, politisierte sich Dorten im Zuge der Novemberrevolution. Unter seiner Führung proklamierten die Wiesbadener Separatisten am 1. Juni 1919 die Rheinische Republik.
In Wiesbaden stieß dieser Putschversuch auf den vehementen Widerstand von Stadtverwaltung und Bevölkerung. Zum einen waren die französischen Besatzer nicht wohlgelitten. Die Not und Entbehrungen, die bereits der Krieg über die Einwohner der Stadt gebracht hatte, wurden durch die Besetzung noch verstärkt. Sich gegen die Separatisten zu wehren, war auch ein deutliches Votum gegen Frankreich. Zum anderen folgten zahlreiche Wiesbadener dem Aufruf der Stadtverwaltung zu einem Generalstreik und zu Protestkundgebungen gegen die selbsternannte Regierung eines „Präsidenten“ Dorten. Nachdem es auch den Militärbehörden nicht gelang, diese Streikbewegungen ohne Anwendung von Gewalt zu unterbinden, entzogen die Franzosen den Putschisten rasch ihre Unterstützung. Ohne Schutzmacht und vollziehende Gewalt brach der Putsch schließlich in sich zusammen.
Allerdings war das Scheitern dieses ersten separatistischen Umsturzversuchs noch nicht das Ende der politischen Bewegung. Die französischen Militärs setzten die von den deutschen Behörden betriebene Strafverfolgung der Putschisten wegen Landesverrats aus. Dorten, formell des Hochverrats bezichtigt, und seine Mitstreiter blieben daher unbehelligt im französisch besetzten Rheinland.
Im Herbst 1923, unter den politischen Vorzeichen der Ruhrkrise, unternahmen die Separatisten einen erneuten Putschversuch. Ausgehend von der Proklamation einer Republik Rheinland zunächst in Koblenz, dann in Bad Ems, besetzten Separatisten mit aktiver Unterstützung der französischen Militärs am 22. Oktober das Wiesbadener Rathaus und hissten dort ihre grün-weiß-rote Fahne. Es kam zu einem Schusswechsel zwischen Separatisten und ihren reichstreuen Gegnern. Weitere Regierungsgebäude wurden besetzt, darunter das Polizeipräsidium und das Regierungspräsidium. In den folgenden Wochen folgten in Wiesbaden und seinen Vororten wie Bierstadt blutige Auseinandersetzungen.
Ähnlich wie bereits 1919 endete der separatistische Umsturzversuch im Januar 1924 erfolglos. Dies war einerseits auf den Widerstand der Verwaltung und Bevölkerung, andererseits auf das Zurückweichen der französischen Besatzer zurückzuführen. Dorten wanderte nach Frankreich aus.
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.