5. ... in den ländlichen Regionen
Am 12. November 1918 rief der Rat der Volksbeauftragten zur Bildung von Bauernräten in den ländlichen Regionen des Deutschen Reiches auf, die analog zu den Arbeiter- und Soldatenräten als Vertretungsorgane der ländlichen Bevölkerung die Ernährung sicherstellen, den Schleichhandel bekämpfen und mithelfen sollten, „Ruhe und Ordnung“ auf dem Land zu bewahren. Angeregt worden war der Aufruf bemerkenswerterweise durch den Kriegsausschuss der deutschen Landwirtschaft, einem landwirtschaftlichen Dachverband, der stark konservativ ausgerichtet war und kaum Interesse an umstürzlerischen Entwicklungen hatte.
Nachdem die durch den Rat der Volksbeauftragten verordnete Bildung der Bauernräte in den Landkreisen des Reiches – hier stellten die Kreise des Regierungsbezirks Kassel keine Ausnahme dar – zunächst nur schleppend voran ging, wurde die Reichsregierung erneut initiativ tätig. Am 25. November erging eine Bekanntmachung über die obligatorische Bildung von „Bauern- und Landarbeiterräten“ nebst Richtlinien des Reichsernährungsamtes, die unter Federführung von Staatssekretär Emanuel Wurm (USPD) erarbeitet worden waren. Die Richtlinien sahen die Schaffung von mindestens sechsköpfigen Räten in jeder Gemeinde vor, aus denen mittels Wahl Kreisbauern- und Landarbeiterräte hervorgehen sollten.
Insgesamt jedoch blieb das Interesse in den nord- und mittelhessischen Landkreisen an der Schaffung der Räte relativ gering. Angesprochen fühlten sich vor allem die alten landwirtschaftlichen Verbände, die in der Initiative der Reichsregierung eine willkommene Möglichkeit erblickten, um revolutionäre Tendenzen auf dem Land zu unterbinden. Im Gegensatz zu den spontan und aufgrund des Strebens nach politischer und gesellschaftlicher Veränderung entstandenen Arbeiter- und Soldatenräten erwiesen sich die durch behördliche Anordnung geschaffenen Bauern- und Landarbeiterräte daher als Orte konservativer Klientelpolitik.
In den Landkreisen des Regierungsbezirks Kassel begann die Bildung der Bauern- und Landarbeiterräte erst ab Januar 1919 Fahrt aufzunehmen, nachdem der Regierungspräsident die Landräte an die diesbezügliche Pflicht erinnert und hierzu eine regelmäßige Berichterstattung angemahnt hatte. Die Berichte der Landräte zeichnen mit Blick auf Sinn und Nutzen der neuen Gremien ein durchwachsenes Bild: So zeigten die Bauern- und Landarbeiterräte, wie der Frankenberger Landrat im Februar 1919 nach Kassel schrieb, für die ihnen obliegenden Aufgaben wenig Verständnis. Sie seien zumeist nur auf die eng gefassten Interessen ihrer Berufsgenossen bedacht. Zu einer ähnlichen Auffassung gelangte der Ziegenhainer Landrat, der dem Regierungspräsidenten etwa zeitgleich mitteilte, dass die Tätigkeit der Räte kaum zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage beigetragen habe.
Insgesamt beschränkten sich die Kompetenzen der Bauern- und Landarbeiterräte des Bezirks auf genuin landwirtschaftliche Fragestellungen und hier insbesondere auf die Überwachung der pflichtgemäßen Ablieferung von Lebensmitteln durch die Landwirte. Über eine Rolle als Hilfsstellen der Behörden kamen sie in der Regel nicht hinaus. Aufgrund der Mitgliederzusammensetzung bestand letztlich in ideologischer wie programmatischer Hinsicht eine tiefe Kluft zwischen den sozialdemokratisch geprägten Arbeiter- und Soldatenräten auf der einen und den zutiefst konservativen Bauern- und Landarbeiterräten auf der anderen Seite, deren Wirken das Voranschreiten der Revolution paradoxerweise eher hemmte als beförderte.
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