4. ... in Hanau
Der politische Umbruch in Hanau begann am 7. November 1918. Er wurde, anders als in Kassel, nicht von außen angestoßen, sondern hatte seinen Ursprung in den konfliktreichen inneren Verhältnissen der Stadt. Während einer Sitzung der Stadtverordneten, die angesichts der sich im norddeutschen Raum bereits Bahn brechenden Ereignisse hitzig verlief, wurde dem USPD-Abgeordneten und Mitglied der Spartakusgruppe Friedrich Schnellbacher das Wort entzogen. Schnellbacher hatte einen Antrag seiner Partei zum Termin der anstehenden Wahlen begründet und vor dem voll besetzten Zuschauerraum im Rathaus das Dreiklassenwahlrecht offen und scharf kritisiert. Der Wortentzug führte zur Eskalation: Zuschauer stiegen über die Bänke im Saal und sprengten die Sitzung.
Zeitgleich fand vor dem Rathaus eine von der USPD initiierte Protestversammlung statt, an der mehrere Tausend Menschen teilnahmen. Die Abgeordneten um Schnellbacher wurden von der vor dem Gebäude versammelten Menge mit begeisterten Rufen empfangen. Unter roten Fahnen formierte sich nun ein Demonstrationszug, der bis spät in die Nacht hinein durch die Stadt zog und im Rahmen dessen auch ein Lebensmittelgeschäft geplündert wurde. Die durch den amtierenden Landrat und Polizeidirektor Carl Christian Schmid, Mitglied der DVP, herbeibefohlenen Polizisten waren trotz Anwendung von Waffengewalt nicht in der Lage, die Situation unter Kontrolle zu bringen. 25 Demonstranten wurden bei dem Einsatz verletzt.
Am 8. November wurde unter dem Vorsitz Friedrich Schnellbachers in Hanau ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, der, im Gegensatz zur Mehrheit der Räte im Regierungsbezirk Kassel, stark von der USPD geprägt war und eine radikalere Zielrichtung hatte. 20 Mitglieder des Gremiums gehörten den Unabhängigen Sozialdemokraten an, fünf der SPD.
In den folgenden Tagen, zwischen dem 9. und 11. November, übernahm der Arbeiter- und Soldatenrat die Vollzugsgewalt in Hanau und setzte den Gewerkschafter und USPD-Stadtverordneten Georg Wagner als kommissarischen Landrat ein, dem der bisherige Amtsinhaber Schmid als „Mitarbeiter“ unterstellt wurde. Mitte November brachten die Hanauer Räte die gemäßigt konservativ ausgerichtete Tageszeitung „Hanauer Anzeiger“ unter ihre Kontrolle, welche fortan als „Publikationsorgan des Arbeiter- und Soldatenrates für den Stadt- und Landkreis Hanau am Main“ firmierte. Anfang Dezember wurde eine „Schutzwehr“ eingerichtet, die bis zu 1.000 Mann Stärke erreichte. Somit waren Informationshoheit und Polizeigewalt in der Hand des Arbeiter- und Soldatenrates.
Zwischen dem bisherigen Landrat Schmid und den revolutionären Kräften entspann sich seit der Machtübernahme durch den Hanauer Rat ein schwerwiegender Konflikt um Kompetenzen und Zuständigkeiten, der dazu führte, dass Schmid, der seine Aufsichtsbehörden, das Regierungspräsidium und das SPD-dominierte preußische Ministerium des Innern, immer wieder um Unterstützung gegen den „spartakistischen“ Arbeiter- und Soldatenrat ersuchte, seinen Amtssitz Ende Dezember nach Frankfurt am Main verlegte. Die Auseinandersetzungen gipfelten im Februar 1919 – nachdem es im Anschluss an eine USPD-Veranstaltung in der Stadt zu Plünderungen gekommen war – in der Ausrufung des Belagerungszustandes durch das stellvertretende Generalkommando, der Besetzung Hanaus durch Reichswehr-Einheiten und der Verhaftung der führenden Köpfe des Arbeiter- und Soldatenrates, denen später wegen der „Anführung revolutionärer Unruhen“ der Prozess gemacht wurde.
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