9. Luther, die Türken und die Juden
Tafel 9: Luther, die Türken und die Juden
Die Befreiung des Evangeliums aus der Tyrannei des teuflischen Gefängnisses des Papsttums ist für Luther Grundlage und Voraussetzung der inneren Freiheit eines Christenmenschen. Die neu errungene protestantische Gewissens- und Glaubensfreiheit hat für den Reformator aber nur wenig mit dem zu tun, was wir heute unter den Begriffen Pluralität oder Toleranz verstehen. Im Gegenteil, mit Blick auf die "Anderen" ist Luther in seiner Glaubensgewissheit zu keinem Dialog bereit. Immer wieder beklagt er heftig, dass sich unter Berufung auf das Evangelium böse Sekten und Ketzereien wie die Anhänger Müntzers, Zwinglianer, Wiedertäufer und viele andere mehr hervorgetan haben, die, solange der Papst noch Gott und Herr war, nicht hätten zischen dürfen.
Luther führt seinen erbarmungslosen Kampf gegen alle vermeintlichen Christusgegner aus der Perspektive des von ihm in Kürze erwarteten Weltenendes: Sich selbst sieht er als letzten Propheten vor dem Jüngsten Gericht, dazu berufen, zur Umkehr und Buße zu mahnen. Wie in der Apokalypse geweissagt, werde die Christenheit vor ihrem Ende von zwei grausamen Tyrannen heimgesucht - für Luther die Reiche des Papstes und der Türken. Der Papst ist ihm der Antichrist schlechthin - und das Papsttum in Rom vom Teufel selbst gestiftet. In den Türken, die nach der Eroberung von Konstantinopel (1453) inzwischen weit nach Mitteleuropa vorgedrungen sind und bereits Wien bedrohen (1529), erkennt der Reformator die weltliche Zuchtrute Gottes, gegen die nur Gebet und Buße hilft. Wenn Kaiser Karl V. als rechtes Oberhaupt des weltlichen Regiments zum militärischen Abwehrkampf gegen die Türken aufruft, so ist ihm von allen Christen Gehorsam zu leisten. Dabei muss sich die Christenheit allerdings dessen gewiss sein, dass sie nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut kämpft, sondern wider ein groß Heer Teufel streitet, denn das Türken Heer ist eigentlich der Teufel Heer. Für die Reformation selbst ist die "Türkengefahr" letztlich vielleicht sogar ein Glücksfall: Der Abwehrkampf gegen die Türken zwingt Kaiser und Reich immer wieder zu Kompromissen mit den Protestanten und macht ihre konsequente Verfolgung unmöglich.
Während Luther in seiner Frühschrift Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei (1523) noch für eine freundliche Behandlung der Juden mit dem Ziel ihrer Bekehrung zum Christusglauben eintritt, sieht er in seinen späteren Schriften in den Juden nur noch ein von Gott verworfenes und verdammtes Volk, das nicht mehr zu bekehren ist und mit aller Schärfe bekämpft werden muss: Die Juden seien junge Teufel, zur Hölle verdammt und rechte Lügner und Bluthunde, vor denen die Christen sich hüten müssten. In seiner Schrift Von den Juden und ihren Lügen (1543) fordert Luther dazu auf, ihre Synagogen und Schulen zu verbrennen, ihre Häuser zu zerstören und ihre religiöse, rechtliche und wirtschaftliche Existenzgrundlage insgesamt zu vernichten. Den Fürsten gibt Luther den dringenden Rat, die Juden nicht mehr in ihrem Lande zu dulden und für immer zu vertreiben. Während der sächsische Kurfürst Johann Friedrich im unmittelbaren Anschluss an Luthers Judenschrift die Vertreibung aller Juden aus Kursachen binnen 14 Tagen verfügt, verfolgen andere protestantische Landesherren wie Philipp von Hessen eine maßvollere Judenpolitik als von Luther eingefordert. Und Kaiser Karl V. selbst erlässt - als Reaktion auf Luther - 1545 in Speyer ein umfassendes Privileg zum Schutz der Juden, das bedeutendste Judenprivileg in der Frühen Neuzeit überhaupt.
Ob Luther ein vormoderner "Antisemit" gewesen ist - oder nur ein vornehmlich religiös bestimmter "Antijudaist", ist bis heute strittig. Jedenfalls werden Luthers Judenschriften im "Dritten Reich" nur zu gerne als Rechtfertigung für die Novemberpogrome 1938 und die Judenverfolgung insgesamt benutzt.
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