2. Die Sozialliberale Ära 1969-1982
1. Ostpolitik der Regierung Brandt-Scheel
Schon die erste Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt (Okt. 1969) signalisierte die Bereitschaft der Regierung, auf neuer Grundlage in Verhandlungen mit der DDR, der Sowjetunion und Polen einzutreten. Der Vorbereitung förmlicher Vertragsverhandlungen mit der DDR dienten im Frühjahr 1970 zwei Treffen der beiden deutschen Regierungschefs, Ministerpräsident Stoph und Bundeskanzler Brandt, zunächst in Erfurt, dann in Kassel. Bereits hier wurde deutlich, daß die Bundesregierung willens war, eine Anerkennung der Staatlichkeit der DDR nur unterhalb der Ebene völkerrechtlicher Anerkennung zu gewähren, um damit den Verfassungsanspruch auf eine spätere Wiedervereinigung "in freier Selbstbestimmung" nicht zu gefährden. Die Standpunkte der beiden Regierungschefs blieben vor allem in dieser Frage auch nach ihrer zweimaligen Begegnung deutlich verschieden. Erst von einem erfolgreichen Abschluß der Vertragsverhandlungen mit der Sowjetunion und Polen konnte deshalb ein Durchbruch bei den deutsch-deutschen Gesprächen erwartet werden. Da diese Ostverhandlungen zügig vorankamen, konnte schon im August 1970 der Moskauer Vertrag und im Dezember der Warschauer Vertrag unterzeichnet werden. Mit diesen Verträgen war auch die Voraussetzung dafür geschaffen worden, daß die vier Berliner Schutzmächte - die Sowjetunion, die USA, Großbritannien und Frankreich - in einem Vier-Mächte-Abkommen über Berlin im September 1971 "ungeachtet unterschiedlicher Rechtsauffassungen" die besonderen Beziehungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik und den freien Zugang zu Berlin förmlich bestätigten. Dieses Abkommen schuf zugleich die Grundlage dafür, daß zwischen der Bundesrepublik und der DDR ein Transitabkommen und ein Verkehrsabkommen ausgehandelt werden konnten, die die Bedingungen für den Verkehr zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik bzw. zwischen der Bundesrepublik und der DDR regelten.
Der angestrebte Abschluß eines „Vertraq(es) über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik" (Grundlagenvertrag) setzte die Ratifizierung der beiden Ostverträge (Moskauer und Warschauer Vertrag) durch Bundestag und Bundesrat voraus. Aufgrund einer abbröckelnden Mehrheit der sozialliberalen Koalition suchte die Opposition ihre Vorbehalte gegenüber den Verträgen durch ein Mißtrauensvotum gegen Bundeskanzler Brandt wirksam werden zu lassen, in dem sie ihren Fraktionsvorsitzenden, Rainer Barzel, zum neuen Bundeskanzler vorschlug. Dieser Antrag wurde jedoch mit Stimmengleichheit (247: 247) abgelehnt. Nach dieser Niederlage und nach der Einigung aller Bundestagsfraktionen auf eine "gemeinsame Entschließung", die die Gesichtspunkte der Vertragsinterpretation der CDU/CSU berücksichtigte, entschloß sich die Opposition, die Verträge - bei empfohlener Stimmenthaltung für ihre Mitglieder - in Bundestag und Bundesrat passieren zu lassen.
Damit war der Weg frei sowohl zur Unterzeichnung (Dez. 1972) wie zur Ratifizierung (Mai 1973) des Grundlagenvertrages zwischen der Bundesrepublik und der DDR. In der Folge des Grundlagenvertrages wurden im September 1973 beide deutschen Staaten Mitglieder der Vereinten Nationen. Im Dezember 1973 wurde schließlich auch mit der Tschechoslowakei (CSSR) ein sogenannter „Normalisierungsvertrag" abgeschlossen, durch den insbesondere das Münchener Abkommen vom 29. 9. 1938 "als nichtig" erklärt wurde. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Bulgarien und Ungarn folgten, so daß die Bundesrepublik nunmehr diplomatische Beziehungen mit allen Ostblockstaaten mit Ausnahme Albaniens unterhielt.
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