Luthers neue Stellung zum Widerstandsrecht: Der "Torgauer Ratschlag", Oktober 1530
Luther, Werke (Weimarer Ausgabe), Briefwechsel Bd. V, S. 662
Im Lauf der Verhandlungen zwischen Hessen und Kursachsen um ein evangelisches Bündnis nach Abschluß des Augsburger Reichstages suchten wie Landgraf Philipp so auch die Räte des Kurfürsten von Sachsen, vor allem der Kanzler Brück, Luthers Ansicht von der Unrechtmäßigkeit eines bewaffneten [Widerstandes gegen den Kaiser zu erschüttern. Im Oktober 1530 verhandelten sie mit ihm in Torgau. Hier wurde Luther durch ein ihm vorgelegtes Gutachten in die Enge getrieben, worin der Nachweis geführt wurde, daß nach römischem und geistlichem Recht gegen einen Richter, der unrechtmäßig vorgehe, z. B. einer Berufung nicht stattgeben wolle, Widerstand erlaubt sei. In dem Gutachten hieß es weiter, die evangelischen Stände hätten gegen den Kaiser an ein allgemeines und freies Konzil appelliert, außerdem sei der Kaiser gar kein Richter in Glaubenssachen. Wenn also schon gegen einen Richter unter Umständen Widerstand erlaubt sei, wieviel mehr gegen einen, der gar keine Jurisdiktion in dieser Sache habe? — Durch diese Argumente (deren Herkunft aus dem geistlichen Recht man ihm wahrscheinlich verschwieg) ließ sich Luther zu folgender Erklärung bestimmen:
Uns ist ein zetel fürgetragen, daraus wir befinden, was die Doctores der rechte schließen auff die frage, inn welchen fellen man muge der oberkeit widder stehen. Wo nu des also bey den selbigen Rechts Doctoren odder verstendigen gegrundet ist, und wir gewislich inn solchen feilen stehen, inn welchen (wie sie anzeigen) man müge der oberkeit widderstehen, und wir allzeit gelert haben, das man welltliche recht solle lassen gehen, gelten und halten, was sie vermugen, weil das Evangelion nicht widder die welltliche recht leret.
So konnen wirs mit der Schrifft nicht anfechten, wo man sich des falls wehren mußte, es sey gleich der keiser ynn eigener person oder wer es thut unter seinen namen. Auch weil es itzt allenthalben so ferlich steht, das teglich mugen auch andere sachen für-fallen, da man sich stracks wehren muste nicht allein aus welltlichem recht, Sondern aus pflicht und not des gewissens, So wil sichs gleichwol zimen, das man sich ruste und als auff eine gewalt, so plotzlich sich erheben mochte, bereit sey, wie sichs denn nach gestallt und leuffte der sachen leichtlich begeben kan.
Denn das wir bisher geleret, stracks nicht widder zustehen der oberkeit, haben wir nicht gewust, das solchs der oberkeit rechte selbs geben, Wilchen wir doch allenthalben zu gehorchen vleissig geleret haben.
zit. nach: Geschichte in Quellen Bd. III, bearb. von Fritz Dickmann, München 1966, S. 174-75
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