Transkription / Abdruck des "Christlichen Verständnis" vom September 1529 in:
CORPUS RERFORMATORUM Vol. XCIII, Teil II, Huldreich Zwinglis Sämtliche Werke, Band VI, II. Teil, Zürich 1968, S. 602-03
Das sind nun die artickel unnd das anbringen, das herr Lanndtgraf von Hessenn an uunsere bottschafften [Ulrich Funk von Zürich und Hans Rudolf Frey von Basel] langen lassenn hadt :
[Präambel]
Nachdem sich die louff [Zeitläufte] allennthalben sorgklich geschwind unnd sonderlich der gestalt ertzeigent, als ob man begerte diejhenen, so das hell klar Wort gottes in iren fürstenthumen, stetten, landen unnd gebietten predigen unnd verkünden lassenn, daruff allerley missbrüch abgestellt unnd verändert, mit gewalt oder der that von sölchem irem cristenlichem fürnemmen zetringen [zu drängen];
Unnd aber ye eyner christenlichen oberkeyt schuldig ampt ist, nit allein iren underthanen das wort gutes zû verkünden lassenn, sonder ouch mit allem ernst unnd vermögen davor sin, das sy von dem wort gotes nit getrungen [gedrängt] oder abfellig gemacht werdint.
Derhalben so wil die notturfft unnd das schuldig ampt der oberkeyth erfordren, wo jemants sich understûndi, ire underthanen mit gwalt oder der that von dem wort gotes unnd erkanter warheyt zû den abgethanen mißbrüchen wider zetringen, nach allenn mittlen unnd wegen zugedenckenn unnd trachten, damit solcher gwalt abgewent und verderbenheit an Iib unnd sel der underthanen verhütet werdi.
Diewyl aber söllichs eyner oberkheyt oder einichem stand allein zethun in ansechung der loiff vilicht zeschwer, wer uff folgende mittel zegedencken:
[Hauptteil]
[1] Erstlich das alle oder der merteyl der obergkheiten, so bißhar das wort gotes by inen verkünden lassennt, sich mit unnd gegen einander trüwlich und von hertzen meinend unnd fürdren unnd vor schaden warnen solten.
[2] [Hauptartikel] Unnd ob sich in künfftigem begebe, das jemants uß inen gevechtet [verfolgt], vergwaltiget oder uberzogen wurdi umb des wort gotes oder was demselben anhengig oder daruß gefolget ist, willenn; oder so eyn anndre sach fürgewändet wurdi, zu eynem schin, da doch die anndren erkennen möchtent, das es fürnemlich umb deß wort gotes willenn bescheche, das dann alle die anndren, so in disem cristenlichen verstand [der geplante Bündnisvertrag] werind, unnd eyn yeder für sich selbs, sobald sy deß von dem vergwaltigaten verstendig oder sunst innen wurdent, inen nit anders sin solte lassenn, dann als ob eyn jeder selbs angegriffenn, bevechtet oder überzogen wery unnd also an [ohne] einichen gefarlichen vorzug sinem besten vermögen nach helffen retten und weren, es wer mit angriffung derjenen, so im gelegen [günstig gelegen, benachbart] unnd sich wider sine puntsverwandten [Verbündeten] enbörtent, oder dem angegryffnen oder bevechten mit macht zuzüchen, oder in andre weg, wie es sich jeder zytt zutragen unnd gelegenheyt deß handels unnd die notturfft erhoischen oder erfordren wurdi, unnd also den handell trülich helfen füren, sich ouch keyn teyl an der anndren wissen unnd willenn in khein rachtung [Vergleich, Abmachung, Vertrag] begeben.
[3] Ob sich ouch zutragen wurdi, das eynicher oberkeyth ire underthanen durch heimlich praticken oder sunst zu abfal von dem wortt gottes unnd also zu unghorsame und empörung wider sölche oberkeytt bewegt wurdent, so söllennt die andren unnd fürnemmlich die, so dem hanndel zum nächsten gelegen, allenn flyß unnd ernst ankeren [anwenden], söliche underthanen wider zu gehorsami irer oberkeyt zubringen, wie sich je die gelegenheyt unnd solcher oberkeyt notturfft erheischen wurdi.
[4] Es sol ouch solcher Cristenlicher verstand key[serlicher] M[ajestä]t oder keim stand des helgen rychs oder sunst yemands zuwider, sonder alleyn zu erhalltung göttlicher warheyt unnd fridens im helgen rich unnd zu entschütung [Befreiung von] unbillichs gwalts fürgenomen werden.
[5] Ob ouch jemantz weri, der in sölchen verstand sich zu nemmen begerti unnd erstmals nit darum begriffen were, der soll mitt wüssenn unnd willenn der anndren ouch darin genomen werden.
[6] Es sol ouch diser verstand n jar weren.
Zusammenfassung des "Christlichen Verständnis", Marburg, September 1529
Die Präambel hebt zwei Dinge hervor:
1. das „hell, klar wort gottes”, das bei den Kontrahenten gepredigt werde, und die Abstellung von „allerlei mißbrüch” hätten die Gefahr von Nachstellungen mit sich gebracht.
2. Es sei „einer christenlichen oberkeit schuldig ampt”, den Untertanen die Verkündigung von Gottes Wort und die Abstinenz von den „mißbrüchen” zu garantieren.
Die fünf Artikel enthalten:
1. Gegenseitige Warnung,
2. (Hauptartikel): Bei einem Angriff gegen einen Kontrahenten
a) „umb des wort gottes oder was demselben anhängig oder darus gefolget ist, willen” oder b) „so ein andre sach fürgewendet wurdi zuo einem schin”,
sollen die anderen sich gleichfalls als die Angegriffenen betrachten und „sinem besten vermögen nach helfen retten und weren”:
aa) „mit angrifung der jenen, so im gelegen und sich wider sine pundsverwanten embörtent” oder:
bb) durch direkten Zuzug oder sogar:
cc) je nach Notdurft auch auf andere Weise (wohl durch Geldzahlung oder Materiallieferung).
3. Bei einer Empörung der Untertanen sollen die Kontrahenten sich beistehen.
4. Es soll auch solcher „christenlicher verstand keiserlicher Majestat oder keim stand des helgen Rychs zuowider” sein.
5. Mit Beistimmung der andern können neue Glieder aufgenommen werden.
6. Die Vertragsdauer bleibt offen, was den Entwurfscharakter des Schriftstückes unterstreicht.
zit. nach Hauswirth, René, Landgraf Philipp von Hessen und Zwingli. Voraussetzungen und Geschichte der politischen Beziehungen zwischen Hessen, Straßburg, Konstanz, Ulrich von Württemberg und reformierten Eidgenossen 1526-1531, Tübingen 1968, S. 113
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