Die Wittenberger Abendmahlskonkordie, 26. Mai 1536
Im Marburger Religionsgespräch 1529 (Nr. 78—79) wurde zwar ein breiter Lehrkonsensus zwischen Schweizer, oberdeutschen und Wittenberger Reformatoren erzielt, aber der Gegensatz im Verständnis des Abendmahls verhinderte das Zusammenwachsen. In unablässigen Bemühungen ist es vor allem Bucer, dem die Versöhnung im evangelischen Lager zur Lebensaufgabe werden sollte, und dem Landgrafen Philipp von Hessen, der schon maßgebend am Zustandekommen des Marburger Religionsgesprächs beteiligt gewesen war, gelungen, Oberdeutsche und Wittenberger — die Schweizer hatten beschlossen, nicht teilzunehmen — zu einer Zusammenkunft zu bewegen. Hier wurde eine Einigung in den wesentlichen Fragen des Abendmahls erzielt, die die meisten oberdeutschen Städte akzeptierten.
Wir haben gehört, wie Herr Martin Bucer seine Meinung und die der anderen Prediger, die mit ihm aus den Städten gekommen sind, über das heilige Sakrament des Leibes und Blutes Christi erklärt hat, nämlich folgendermaßen:
Sie bekennen entsprechend den Worten des Irenäus, daß in diesem Sakrament zwei Dinge sind, eines himmlisch und eines irdisch. Demnach meinen und lehren sie, daß mit dem Brot und Wein wahrhaftig und wesenhaft [vere et substantialiter] der Leib und das Blut Christi zugegen sei und dargereicht und empfangen werde.
Wiewohl sie keine Transsubstantiation annehmen, und auch nicht meinen, daß der Leib und [das] Blut Christi localiter, räumlich, in das Brot eingeschlossen oder sonst bleibend damit vereinigt werde außerhalb des Genusses des Sakramentes, so geben sie doch zu, daß durch sakramentale Einigkeit das Brot der Leib Christi sei, das ist, sie meinen, wenn das Brot dargereicht wird, daß dann der Leib Christi zugleich gegenwärtig sei und wahrhaftig dargereicht werde etc. Denn sie meinen nicht, daß außerhalb des Genusses, wenn man das Brot beiseitelegt und im Sakramentshäuschen behält oder in Prozessionen herumträgt und zeigt, wie im Papsttum geschieht, der Leib Christi zugegen sei.
Zum zweiten meinen sie, daß die Einsetzung dieses Sakraments, durch Christus geschehen, in der Christenheit gültig sei und daß es nicht an der Würdigkeit oder Unwürdigkeit des Geistlichen liegt, der das Sakrament reicht, oder [dessen] der es empfängt, deshalb weil, wie der heilige Paulus sagt [1Kor 11,27], auch die Unwürdigen dieses Sakrament genießen. So nehmen sie an, daß auch den Unwürdigen der Leib und das Blut Christi dargereicht wird, und die Unwürdigen wahrhaftig dasselbe empfangen, wenn man die Einsetzung und den Befehl des Herrn Christus hält. Aber diese empfangen es zum Gericht, wie der heilige Paulus spricht [1Kor 11,29]; denn sie mißbrauchen das heilige Sakrament, weil sie es ohne wahre Buße und ohne Glauben empfangen. Denn es ist darum eingesetzt, daß es bezeuge, daß denen die Gnade und Wohltat Christi ebenda zugeeignet wird und daß diejenigen Christus eingeleibt und durch das Blut Christi gewaschen werden, die wahre Buße tun und sich trösten durch den Glauben an Christus.
Weil aber diesmal wenige von uns zusammengekommen sind und diese Sache auch zu den anderen Predigern und Obrigkeiten beiderseits gelangen muß, können wir die Konkordie noch nicht beschließen ... Nachdem aber diese alle bekennen, daß sie in allen Artikeln der Augsburgischen Konfession und Apologie .. . gemäß und gleich glauben und lehren wollen ... haben wir gute Hoffnung, daß eine beständige Konkordie unter uns aufgerichtet werde.
D. Wolfgang Capito, Straßburg; Mg. Martin Bucer, Straßburg; Lic. Martin Frecht, Ulm; Lic. Jakob Otther, Esslingen; Bonifatius Lycosthenes, Augsburg; Johannes Bernhardi, Frankfurt; Martin Germani, Fürfeld; Mg. Matthäus Alber, Reutlingen; Johannes Schradin, Reutlingen.
D. Martin Luther; D. Justus Jonas; D. Kaspar Cruciger, Wittenberg; D. Johannes Bugenhagen, [gen.] Pomeranus; Philipp Melanchthon; Justus Menius, Eisenach; Friedrich Myconius, Gotha.
Quelle: WA.B 12, S. 206—208,57. S. 209—210,44.
zit. nach: Heiko A. Oberman, Die Kirche im Zeitalter der Reformation, Neukirchen-Vlyn, 4. Aufl. 1994, S. 185-187, Dok. 90.
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