Philipp Melanchthon, Rede über die Zusammenkunft von Kaiser Karl V. und Papst Clemens VII. in Bologna, 16. Februar 1559
in Auszügen zit. nach: Melanchthon deutsch, Bd.3 Von Wittenberg nach Europa, hg. von G. Frank und M. Schneider, Leipzig 2011, S. 255-268
Oratio de congressu Bononionensi 16. Februar 1559
Melanchthons Rede über die Zusammenkunft Kaiser Karls V. mit Papst Clemens VII. im Jahr 1530 in Bologna wurde anlässlich der Magisterpromotion am 16. Februar 1559 vor der philosophischen Fakultät der Universität Wittenberg durch Dekan Paul Dumerich vorgetragen. Bei jener Zusammenkunft in Bologna, zwei Jahre nach der Plünderung Roms, soll es im Umfeld der Krönung des Kaisers durch den Papst zu einer Unterredung über die Situation der Kirche und den Wunsch des Kaisers nach der Einberufung eines Konzils gekommen sein. Nach dem Vorbild antiker Geschichtsschreiber lässt Melanchthon beide Kontrahenten in Reden zu Wort kommen; er gestaltet diese Reden frei, beruft sich dabei aber auf die Erinnerung von Augenzeugen. Melanchthon würdigt vor allem die Persönlichkeit Kaiser Karls V., der im Jahr zuvor verstorben war. Wie schon in der früheren Rede über die Plünderung Roms verteidigt er den Kaiser, obwohl dieser schließlich doch noch mit militärischer Gewalt gegen die protestantischen Fürsten und Stände vorgegangen war; im zweiten Teil der Rede, der die traditionelle Bitte an den Dekan enthält, den vorgeschlagenen Gelehrten die Magisterwürde zu verleihen, vergleicht er ihn sogar mit Kaiser Augustus.
Übersetzungsgrundlage ist CR 12, 307-315. Erstdruck Wittenberg 1559 bei Veit Kreutzer (Koehn, 1386, Nr. 214).
Allen Gebieten der Welt und vor allem dem Menschen hat Gott Spuren eingedrückt, die beweisen, dass er Gott ist, und die den menschlichen Geist davon überzeugen, dass er ist, und zeigen, wie er ist, so dass wir seine Vorsehung bekennen müssen und dass wir Gegenstand seiner Sorge sind und wie viel von Ordnung, Gesetzen, Weisheit, Gerechtigkeit und ehrbarer Gesellschaft nicht allein durch menschlichen Rat oder menschliche Kraft, sondern von ihm, Gott selbst, bewahrt und erhalten werden. Das weiß ich gewiss und mit ganzer Überzeugung stimme ich diesem Grundsatz zu und verabscheue zugleich mit allem Nachdruck und von ganzem Herzen den Wahnsinn der Epikureer, Stoiker, und Akademiker, von denen jene zyklopischen [1] Stimmen kommen, die Gott verachten, auch wenn die einen eher zügellos und die anderen eher vorsichtig reden. Aber ich erkenne Gott nicht nur durch jene natürliche Erkenntnis an, sondern ich glaube auch, dass die Lehre der Kirche wahr ist, weil sie bestätigt wurde durch die Auferstehung der Toten, die Herausführung der Israeliten aus Ägypten und viele wunderbare Freiheitstaten, und rufe den ewigen Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, den Schöpfer aller Dinge an in der Erkenntnis und im Vertrauen des Mittlers. Da es denn gewiss ist, dass die ewige Kirche durch die Stimme des Evangeliums durch den Sohn versammelt wird, danke ich dem ewigen Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, der mit dem Sohn und dem Heiligen Geist Himmel und Erde und das Menschengeschlecht geschaffen hat, weil er uns bis heute gnädig gelehrt und beschützt hat, und ich bitte ihn von ganzem Herzen, dass er nicht zulässt, dass bei uns die Stimme des Evangeliums ausgelöscht wird, sondern dass er unter uns immer eine ewige Kirche sammeln und leiten und uns beschützen möge. Deinetwegen Gott, deinetwegen schaffe du, dass du recht erkannt und angebetet wirst.
Wie es nun aber Brauch ist und weil in Zusammenkünften solcher Art vor allem über die Lehren, die Tugenden oder gute Beispiele geredet werden soll, so will ich über etwas reden, was unseren Studien nicht fern ist, nämlich über die Zusammenkunft Kaiser Karls mit Papst Clemens in Bologna, weil diese Unterredung zwischen zwei Männern von hervorragender Weisheit über eine höchst wichtige Angelegenheit, nämlich das Konzil, in den Geschichten über Karl nicht erwähnt wird und dennoch meiner Meinung nach in höchstem Maße verdient, in Erinnerung gebracht und von der Nachwelt bedacht zu werden. Meint nun aber nicht, dass es sich dabei um eine erfundene Geschichte handelt, wie die Gespräche zwischen Juno und Venus in einem Gedicht, sondern diese Unterredung hat wirklich stattgefunden, wie viele wissen, die dabei waren und die den Hauptgegenstand und die Worte unseren Freunden erzählten. [2] Daher möchte ich den Hauptinhalt genau wiedergeben, wenn ich auch nicht alle Worte berichten kann. Zweifellos haben jene weisen und beredten Männer über eine so wichtige Sache viel klüger und glänzender geredet, als von irgend-einem geredet werden könnte, der heute auf Grund von Weisheit oder Beredsamkeit besonders zu loben wäre.
Dass ich aber gerade jetzt daran erinnere, hat seinen Grund vornehmlich darin, dass Karl gerade erst gestorben ist [3] und ich oft über seinen Charakter und sein Geschick nachdenke und über jene Veränderungen, die im Reich und in der Kirche stattgefunden haben. Ich meine auch, dass alle vernünftigen Menschen daran erinnert werden sollten, damit sie bedenken, was nach Gottes Willen in den Reichen und in der Kirche geschehen soll. Wer unter allen Königen in vielen Jahrhunderten hat eine solche vereinigte Macht Europas gegen sich gehabt? In diesen ungeheuren Bewegungen hat Gott diesen Fürsten auf wunderbare Weise bewahrt. Der französische König, der mit einem großen Heer am Tessin stand, wurde von wenigen Truppen nicht nur besiegt, sondern auch gefangen genommen.[4] Dann schien bei der Stadt Neapel, die sechs Monate belagert wurde, die Macht Karls gebrochen zu sein. Aber da ging das französische Heer an der Syphilis zu Grunde.[5] Wenn wir daran und an vieles andere zurückdenken, dann erkennen wir darin Gottes Gegenwart in der Verteidigung des Siegers. Wie hat er sich als Sieger in diesen Konflikten verhalten? Fest steht, dass er weder den französischen König noch den Papst nach ihrer Gefangennahme grausam behandelt hat. Seine Mäßigung ist daher lobenswert.
Ich weiß wohl, dass mir einige vorwerfen werden, dass ich in dieser Erinnerungsrede Karl nicht kritisiere. Aber wie könnte ich den Ausgang dieser Ereignisse, die von Gott gelenkt waren, tadeln? Und was so maßvoll von ihm getan wurde, wer wollte das verschweigen oder kritisieren oder diese Zurückhaltung boshaft entstellen. Lasst uns vielmehr Gott dankbar preisen, dass er diesen Fürsten beschützt und ihm Macht und Erfolg verliehen hat, so dass Deutschland unter seiner Herrschaft doch einigermaßen ruhig war. Dazu war anfänglich auch seine Besonnenheit gut, als er noch nicht nach Art der Päpste grausam verfahren wollte, sondern forderte, dass man sich der Streitfragen annehmen und dass sie nach reiflicher Überlegung zum Heil der Kirche entschieden wer-den sollten. Weil er von dieser Besonnenheit später abgerückt ist, als er den Krieg in Deutschland anfing,[6] lasst uns daher das Elend dieses letzten und wahnsinnigen Greisenalters (der Welt) [7] beklagen und sehen, wie überall viel Übles vorhanden ist und darum Strafen gekommen sind und kommen werden. Lasst uns den Sohn Gottes bitten, er wolle seinen gerechten Zorn abmildern, uns mit seiner Wahrheit zur Hilfe kommen und den Rest seiner Herde bewahren. Auch Karl selbst hat erfahren, dass ihm jene Entscheidung zur Gewalt kein Glück brachte. Aber ich will nicht über alle seine Taten reden.
Vielmehr will ich auf diese Zusammenkunft in Bologna eingehen, die beweist, dass er am Anfang vor allen gewaltsamen Lösungen zurückschreckte. Wahr ist, als Karl im Jahr 1530 nach Italien kam, ließ er Gutachten über den Streit in der Kirche anfertigen. Da meinten einige, dass keine Veränderung in der Lehre oder in den Riten notwendig oder erlaubt sei, dass man auch kein Konzil einberufen solle, sondern einfach mit Waffengewalt jene Lehrer und Fürsten zu vernichten seien, die es wagten, jene sogenannte Ruhe zu erschüttern, und dass es schlechter sei Veränderungen zuzulassen als die Krankheit selbst, zu deren Besserung sie gedacht sind. Wenn man nämlich einmal eine Veränderung versuchen würde, dann würde man neuerungssüchtige Geister zu noch größeren Veränderungen einladen. Andere antworteten weit sanfter und meinten, jener gewalttätigen und lakonischen Maßnahmen [8] bedürfe es nicht. Einmal, weil es etwas anderes sei, die Kirche zu führen, als einen Staat wie Sparta. In Sparta gehe es nur um die Bewahrung des Friedens, in der Kirche aber um Gottes Ehre. Da es offenkundig sei, dass viele falsche Meinungen durch Irrtum, Aberglaube und Habsucht in die Kirche eingedrungen seien, sei es zur Ehre Gottes notwendig, sie zu bessern.
Da es keinen Frieden geben wird, weil ja immer einige irgendetwas tadeln werden, dann werden das viele umso gewalttätiger tun, die ohne öffentliche Vollmacht und ohne Zustimmung der Herrschenden vorgehen werden. Es sind auch offenkundig die sexuellen Verfehlungen im Zölibat, die zu beheben Gott befohlen hat, soweit das von den Herrschenden geleistet werden kann. Schließlich darf die Kirche nicht tyrannisch sein, sondern muss aus verständlichen Gründen ungerechte Lasten lindern. In Athen hat Solon die Härte der alten Gesetze gemildert und einen Schuldenerlass bewirkt. Oft wurde auch in der Stadt Rom und im Reich die Schuldenlast gemildert. Umso mehr steht der Kirche die Milde an, weil ja so oft geboten wird, die Schwachen zu schonen. Schließlich, da schon so viele Herrscher Konzilien einberufen haben und weil außerdem überall auf der Erde gute und gelehrte Leute mit beharrlichem Seufzen ein Konzil verlangen, was wäre das für eine Tyrannei, wenn man hier ohne Bedenken Gewalt an-wenden würde? Auch die Beispiele guter Herrscher seien angefügt, die wie Konstantin, Theodosius, Arkadius und Markian [9] Konzilien einberufen haben, die für die Kirche hilfreich waren.
Nachdem er nun beide Gutachten gelesen und da der Kaiser von Natur aus milde war, fern aller Tyrannei und auch nicht weltlich gesinnt, hat er die Sache lange bedacht und mit den klügsten Männern besprochen und schließlich die gerechte und sanftere Meinung vorgezogen und bekräftigt, darauf beharren zu wollen.
Als er nun nach Bologna kam, wurde eine Beratung über den Frieden in der Kirche vereinbart. Als Karl und der Papst nebeneinander Platz genommen hatten und neben ihnen die älteren Kardinäle Genutius und Farnese und andere, sowie auf der anderen Seite spanische und italienische Fürsten standen, hat Merkurinus in einer langen und sehr bedeutsamen Rede den Willen Karls erklärt und ein Konzil gefordert. Diesem wiederum antwortete Clemens, der ebenfalls weise und redegewandt war und sich auf diesen ganzen Sachverhalt vorbereitet hatte, in einer Rede mit folgendem Inhalt:
Ich glaube, dass du, Kaiser Karl, in deinem Urteil ehrerbietig über die Anbetung Gottes denkst und angeregt durch die Beispiele der löblichsten Fürsten mit gutem Eifer ein Konzil forderst. Aber in dieser Sache, in der die Kirche so sehr gefährdet ist, muss meine Überlegung und meine Autorität den Vorrang haben. Denn ohne jetzt näher auf meine Rechte einzugehen, steht doch fest, dass das Konzil von Nicäa alle Streitigkeiten der Kirche im Westen dem römischen Bischof zugewiesen hat und dass es unser Recht ist, Konzilien einzuberufen. Schon oft und vor dieser Zeit, haben ich selbst, Genutius und Farnese und andere darüber beraten, wie man dem Frieden in der Kirche raten könnte; ob man eher auf einem Konzil darüber beraten solle oder ob jene mit Gewalt zu unterdrücken seien, die von den Dekreten und Meinungen, die schon früher akzeptiert wurden, abweichen. Aus diesem Grund, meine ich, sollte man ein Konzil nicht einberufen, so will ich gleich zu Beginn fordern, damit du nicht meinst, ich würde es aus Angst um mich selbst oder aus Sorge um die Macht des römischen Stuhls scheuen.
Man sagt, Johannes XXIII. habe es bereut, das Konzil von Konstanz einberufen zu haben, das ihn aus seinem höchsten Amt entfernte. Ich bin nun wahrhaftig erfahren, was die Wechsel des Schicksals betrifft, unlängst erst gefangen, meine ich, dass nicht nur Ehre und Macht, sondern auch das Leben selbst nur allzu flüchtige Schatten sind, und ich werde mit ruhigem Mut Abschied nehmen von diesem Aufenthalt, wann auch immer Gott oder ein anderer Umstand mich von hier wegführen wird. So habe ich keine Sorge, was die Mittel des römischen Stuhles angeht und die uns Ludwig, Karls Sohn, zugewiesen hat, damit wir die zur Verwaltung nötigen Mittel zur Verfügung haben und sicherer sind gegen plötzliche räuberische Überfälle. Aber ich wollte lieber, dass die Bürde der römischen Bischöfe erleichtert würde, wenn wir denn immer solche Kaiser hätten, wie du einer bist. Nicht also wegen solcher törichten Wünsche scheue ich ein Konzil und mich bewegt auch nicht jenes Argument der Rechtsgelehrten: Man müsse die Autorität der schon ergangenen Urteile bestehen lassen und sie nicht mit neuen Diskussionen aufweichen. Wenn diese Disputation dem Frieden und der Nachwelt dienen würde, dann wollte ich sie nicht verhindern, denn auf allgemeinen Frieden und das Wohl der Nachwelt ist mein ganzes Bestreben gerichtet. Ich möchte meinen Rat begründen, indem ich auf die verschiedenen Arten der Lehren, (die zur Diskussion stehen), eingehe.
Darunter sind zum einen Lehren, die nicht nur falsch, sondern auch offenkundig absurd sind, wie die der Wiedertäufer: Aller Besitz müsse allen gemeinsam gehören, Obrigkeit, Urteil und gerechte Strafen und Königreiche seien alle von Gott verdammt. Alles geschehe nach Vorherbestimmung, auch die Verbrechen, es gäbe keine Freiheit für den menschlichen Willen, die Menschen würden wiedergeboren ohne das Wort der Lehre und mit solcher Art Enthusiasmus bekämpfen sie den Willen. Neueren Datums sind auch jene Lehren im Sinne der Samosatener [10] über den Sohn Gottes, die die Lehre der Kirche zu einer Lehre Mohammeds umwandeln. Um einen Brand auszulöschen, müssen alle guten Menschen sofort herbeieilen und so müssen auch alle Verantwortlichen herbeieilen, um solche Debatten schon im Keim zu ersticken, und es gäbe ein sehr schlechtes Beispiel, wenn man erlauben würde, darüber zu diskutieren. Einmal konnte Kaiser Konstantius anhören, was ein Betrüger an Gottlosigkeit auf einem Konzil vorbrachte: Der Vater ist gottlos (asebes), der Sohn ist fromm (eusebes), also sind Vater und Sohn ungleich.[11] Ist das vielleicht Sanftmut oder nicht eher Gottlosigkeit, wenn man sich solche Reden anhört? Ich glaube nicht, dass du, Karl, ohne unsäglichen Schmerz und Widerwillen auf dem Konzil sitzen und dir solche Sophistereien anhören würdest wie jener Konstantius, denn dies halte ich nicht für tolerant, sondern für wahnsinnig.
Die zweite Art von Lehren betrifft jene, wie ich sie nennen möchte, unentwirrbaren oder unauflöslichen Dogmen. Da man über diese nicht streiten kann, sollte man sie besser auch nicht auf die Tagesordnung setzen. Dazu gehören solche Fragen wie die der Anbetung der Hostie, der Darbringung und des Messopfers.
Die dritte Art betrifft die Dispense auf Grund päpstlicher Vollmacht, wie die Aufhebung von Gelübden, Heiratserlaubnis, Einschränkung des Aberglaubens, und was Speise und Kleidung und ähnliche Kleinigkeiten angeht. Über diese Art, da es hier um klare Sachverhalte geht, muss keine Diskussion auf einem Konzil stattfinden. Wenn Könige und Fürsten hier eine größere Freiheit wünschen, dann kann der römische Stuhl mit einem einzigen Edikt eine Milderung in allen diesen Fragen veranlassen. Auch ich wollte gerne, dass der Aberglaube und die sittlichen Mängel aufgehoben würden, die durch törichte Gesetze noch vermehrt werden. Aber ich will keine Anarchie. Man möge vom römischen Stuhl eine Verbesserung verlangen, aber ich will nicht, dass ihm jene Vollmacht genommen wird, die ihm nach Meinung der alten Kirche zusteht.
Wenn ihr diese drei Arten bedenkt, dann werdet ihr verstehen, warum man ein Konzil nicht einberufen kann. Es bleibt, dass du, Karl, mit Waffengewalt den Frieden wiederherstellst. Italien, durch dein Heer gezähmt, hat nun Ruhe, der französische König ist zurückgeschlagen, der mit dir nicht über stoische Paradoxa oder den judaisierenden Fanatismus von Mönchen, sondern um das Reich gekämpft hat. Umso leichter kannst du nun den nicht großen Teil Germaniens befrieden, sofern du auch an die Zukunft denkst. Wenn die Autorität dieses Stuhles ausgelöscht wird, dann folgt eine Anarchie, der durch ein Nachlassen der Disziplin eine Verwilderung der Sitten folgt, und dann wird der leichtfertige Erfindungsgeist ständig neue Dogmen hervorbringen; bedenkt, wie verderblich ein Zögern angesichts dieses Brandes wäre.
Als der Papst mit seiner Rede zu Ende war, befahl Karl, da er entschlossen war von seiner Meinung nicht abzugehen, dem Merkurinus, die päpstliche Rede zu widerlegen. Als nun Merkurinus mit seiner Rede begann, da unterbrach ihn der Papst; mit wutverzerrtem Gesicht und mit herrischer Stimme fuhr er den Merkurinus mit folgenden Worten an:
„Wie kannst du es wagen, mir zu widersprechen und den Herrn gegen mich aufzubringen?”
Da stand nun Karl selbst auf, um das Wort zu ergreifen. Da waren die Fürsten gespannt, was dieser Jüngling sagen würde, und aufmerksam hörten alle zu. Dies nun ist die Zusammenfassung jener höchst bedeutsamen Rede:
Ich weiß, dass ich noch jung bin, und bekenne, dass ich den Rat des Merkurinus und anderer Weiser gebrauchen kann und auf das Urteil jener hören muss, die weiser sind als ich, und gerade in dieser Angelegenheit, in der es um die Ehre Gottes und das Wohl des ganzen Menschengeschlechts geht, habe ich mit vielen gesprochen, die sich aus-zeichnen durch Weisheit, Tugend und Glauben und die der Meinung sind, ein Konzil wäre nötig für die Kirche. Auch du kannst nicht die Meinung aller weisen und guten Männer in ganz Europa übergehen, die mit beständigem Seufzen ein Konzil fordern, das recht geleitet wird. Weil nun diese Sache gründlich überlegt wurde und mit den genannten Gründen, gegen die du dich wehrst, bedacht wurde, möchte ich ein Konzil zusammenrufen, und wisse, dass Merkurinus das, was er gesagt hat in meinem Auftrag gesagt hat, und ich werde, solange ich lebe, von dieser Meinung nicht abrücken. Dein Rat scheint auf den ersten Blick imponierend und den Weltleuten einsichtig zu sein, aber der meine dafür gerecht und für die Kirche besser, und wenn ihr mich nicht daran hindern werdet, dann, so hoffe ich, wird er mit Gottes Hilfe dem Menschengeschlecht heilsam sein. Auch deine schreckliche Rede, dass man über Absurdes und Unumstößliches nicht disputieren solle, wird mich von dieser Meinung nicht abbringen. Denn worüber jetzt diskutiert wird, das ist nicht absurd und jene Fragen in der Kirche über notwendige Dinge sind auch nicht unentwirrbar. Auch ich hörte schon oft jenes Wort Platos: „Wie man mit dem Wahnsinn der Eltern umzugehen hat, so sind auch in den Staaten und Religionen die Laster zu verheimlichen.“[12] So verhält es sich in den Reichen und in der Kirche. Ein Fundament muss man in der Kirche gewiss behalten. Und jene ewigen Gesetze in den Reichen und Kirchen sind aufrechtzuerhalten, die Götzendienst und Sittenverfall verbieten. Es sind aber einige Formen der Anbetung, die gegen Gott gerichtet sind, in die Kirche eingedrungen. Und auch der schreckliche Verfall der Sitten ist offenkundig. Aber nicht nur wegen der Behebung dieser Übel wird ein Konzil verlangt, sondern das Ganze der gemeinsamen Lehre ist neu zusammenzufassen, damit alle Völker in allen Kirchen mit einer Stimme loben. Du weißt, dass auch in deinen Städten jetzt zu vielen wichtigen Fragen unterschiedliche Stimmen laut werden. Wenn sich also in dieser Zeit manches Absurde ausbreitet, dann kann das Konzil deutliche und gewisse Zeugnisse dagegensetzen, damit in dieser Zeit und auch später, ausgerüstet mit den vom Konzil aufgezeigten Argumenten, die Menschen weniger getäuscht werden.
Jene Aussage aber, Papst, ist unwürdig, wenn du sagst, dass manches unentwirrbar sei. Gott hat sich in seiner ungeheuren Güte offenbart und will, dass wir die Lehre annehmen, die er uns übergibt, was aber ein leerer Schall wäre, wenn diese Lehre zweideutig wäre. Mir gefällt auch der Rat des Theodosius, der befohlen hat auf dem Konzil nach den anerkannt alten Zeugnissen zu suchen und sie vorzustellen. Ganz gewiss höre ich gerne auf die lehrende Kirche, wie Simson ermahnte: „Wenn ihr nicht mit meinen Rindern pflügt, werdet ihr es nicht finden" [13].
Über die Dispense, die du anbietest, wo könnte man darüber besser reden als auf einem Konzil? Denn die Eintracht wird größer sein unter den Völkern, wenn alle diese Erleichterung annehmen. Ich freue mich an jenem altehrwürdigen Wort: „In Zeiten allgemeiner Gefahr soll man gemeinsam beraten.“ [14] Ich werde mich, sobald mir der Sachverhalt bekannt ist, meiner Pflicht nicht entziehen. Damit es zu einer ordentlichen Verhandlung kommt, werde ich nach dem Beispiel der alten Kaiser anwesend sein und auch dafür sorgen, so gut ich kann, dass jene Gesetze genauestens befolgt werden: „Beide Seiten sollen gehört werden” und „Urteile sollen nicht nach tyrannischer Willkür, sondern gemäß den Gesetzen erfolgen" [15], in diesem Fall gemäß der Lehre, die gewiss von Gott überliefert ist.
Nun zu dem, was du befiehlst, dass ich nämlich ohne Unterscheidung Gutes und Schlechtes vernichten soll, dies werde ich auf keinen Fall tun. Ich will nämlich nicht, dass gerechtes Urteil aus der Kirche verschwindet und eine Tyrannis errichtet wird. Ich habe aber schon zuvor im Krieg klar meinen Gehorsam gegenüber der Kirche, gegen den römischen Stuhl und gegenüber dir zum Ausdruck gebracht und werde dies auch weiterhin tun.
Als sie diese Rede hörten, staunten der Papst und alle Fürsten über den Verstand und den Mut Karls. Und um Karl nicht noch mehr zu erzürnen, gab der Papst die verbindliche Antwort, er werde da-rüber mit seinem Senat noch einmal beraten.
Dieses Geschehen in Bologna zeigt, wie maßvoll und besonnen Karl gewesen ist, und dem entspricht, dass er sich danach auf dem Reichstag in Augsburg unser Bekenntnis aushändigen ließ;[16] dies alles, so lasst uns bedenken, geschah nach Gottes Willen, damit nämlich die Lehre des Evangeliums dargelegt und ausgebreitet wurde, die wir zur Ehre Gottes und zu unserem eigenen Heil eifrig lernen und die unglaublichen Wohltaten Gottes erkennen, dankbar feiern und von ihm mit beständigen Gebeten erbitten, dass er uns in den so gewaltigen Verwirrungen des Menschengeschlechts, gnädig führen, schützen und nicht zulassen möge, dass wir uns in Irrtümern verfangen und aus der Kirche in die Finsternis fallen.
Dich Sohn Gottes, Herr Jesus Christus, der du gesagt hast: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“[17], rufe ich an, dass du uns lehrest, leitest und bewahrest. Ich zweifle nicht, dass du die Wahrheit sagst, wenn du alle Mühseligen rufst. Deiner Stimme vertraue ich und komme zu dir, bitte und erwarte von dir Hilfe und Heil. Ich habe gesprochen.
Bitte an den Dekan
Wenn ich mich an die Reden Kaiser Karls erinnere, so kommt mir zugleich in den Sinn, was ich über den Kaiser Augustus und diesen Karl denke. Ich finde in diesen zwei Fürsten vieles, was ähnlich ist, wenn sie auch ungleich sind, was ihre Macht angeht oder auch die Verhältnisse im Einzelnen und die Zeit. Dennoch sind sie beide in schon bewegte und verwirrte Zeit geraten. Die Ähnlichkeit der Naturen und die Übereinstimmung der Konstellation zeigen: Beide sind im Sternbild des Widders geboren, beide zur Zeit einer Konjunktion von Saturn und Mars. So ist also klar, warum hier eine Ähnlichkeit besteht in der Sittlichkeit, im Urteil, in den Vor-haben, Ereignissen, Taten und im Wandel des Glücks. Augustus kam aus der Schule von Rhodos von der Wissenschaft zur Macht; nach der Ermordung von Gaius Caesar, von dem er noch als Jüngling adoptiert worden war, und nach der Ermordung der Konsuln Hircus und Pansa folgte er ihnen im Amt des Konsuls, neunzehn Jahre alt. [18] Genauso alt war Karl, als er von den Kurfürsten gewählt und zur Verwaltung des römischen Reiches berufen wurde. Beide führten große Kriege zu Lande und auf dem Meer mit beinahe gleichem Erfolg und mit demselben Wandel des Glücks, mehr gegen die Feinde im Innern als die von außen. Beiden wider-fuhren verschiedentlich Widerstand und Anschläge. Beiden hat Gott an Weisheit und Kriegskunst hervorragende Männer zur Seite gestellt, mit deren Rat und Führungskraft sie mit Glück und Er-folg große Taten vollbrachten: Augustus den Agrippa, Maecenas, Drusus und andere; Karl den Merkurinus, Granvella, Antonius Leva und Frundsberg. Beider Weisheit schon in jungen Jahren war herausragend und nach einem Sieg war auch ihre Mäßigung aus-gezeichnet. Man erzählt von Nikolaus von Schönberg, Kardinal von Capua, dass er nach seiner Gesandtschaft bei drei Königen, Karl von Spanien, Franz von Frankreich und Heinrich von England, von dem Kardinal von St. Georg [19] nach seiner Rückkehr nach Rom gefragt wurde, welchen der drei Könige er am meisten für würdig hielte, in Erinnerung zu bleiben: Er habe in Frankreich einen schönen König und auch in England einen schönen König getroffen — König Heinrich war von außergewöhnlicher Gestalt —, in Spanien aber den weisen Rat des Königs. Er meinte damit Karl selbst und seine Berater. In beiden war ein ernsthaftes Bemühen, unsichere und im Fluss befindliche Dinge zusammen-zubringen, und wenn ein Friede erreicht und unterzeichnet war, der den Streit beenden sollte, war es ihr Bestreben, einen dauerhaften Stand auch für die Nachwelt und für die zukünftige Ruhe und Unversehrtheit des Reiches zu erreichen. So beriet Augustus mit den zwei klügsten Männern, mit Agrippa und Maecenas, ob man die alte Form der Republik wiederherstellen sollte, die ja eine gemischte Form von Aristokratie und Demokratie war, oder ob man diese, nachdem sie praktisch am Ende war, in eine Monarchie umwandeln sollte. Die Inhalte dieser Unterredung finden sich bei Dio [20] in langen Reden, in denen vieles diskutiert wurde, ernsthaft und klug unter Berücksichtigung beider Seiten. So hat auch Karl, um die Streitigkeiten in der Kirche zu beenden und zu beruhigen und um eine Besserung in der Kirche durch das Urteil eines recht-mäßigen Konzils zu erlangen und schließlich Eintracht herzustellen, sowohl vor dem deutschen Krieg'' als auch danach mit seinen Weisen vieles und in allen Teilen gründlich erwogen. So haben sie beide und fast mit gleichem Erfolg etwas versucht und sich, nachdem man von den ursprünglich angestrebten Plänen Abstand nahm, von der Regierung des Staates enttäuscht zurückgezogen, Augustus nach Nola, Karl in ein Kloster und beide sind in Resignation und Einsamkeit gestorben. So sind sie beide ein Beispiel dafür, wie unselig menschliche Weisheit ist und wie weitgehend vergeblich, wenn sie nicht von Gott geleitet wird.
Ich habe umso lieber auch an Kaiser Karl erinnert, weil er, wie wir alle wissen, trotz so vieler Mühen in der Regierung und in den Kriegen unsere Wissenschaften der Physik und Mathematik geliebt, verstanden und ausgeübt hat. So hat er auch keine Medikamente genommen, die er nicht zuvor selbst untersucht und geprüft hatte; er hat über Geographie und Astronomie mehr gewusst als viele andere, die sich diesen Studien widmen konnten, und er hat jene geehrt und ausgezeichnet, die in diesen Disziplinen durch ihr Wissen herausragten. Durch dieses Urteil eines so großen Kaisers über unsere Wissenschaften mögen Jünglinge dazu bewegt werden, das Studium der Philosophie hochzuhalten.
Da wir nun erfahren haben, dass sich jene zweiunddreißig ehrbaren und gelehrten Männer, die man nach Art der Schule gehört hat, in der Philosophie mit hervorragendem Fleiß betätigt haben, und wir hoffen können, sie werden sowohl für die Leitung der Kirche als des Staates nützlich und eine Zierde sein, halte ich es für recht, dass sie mit dem Titel, der kraft kaiserlicher Vollmacht den Gelehrten zukommt, von unserem Kollegium ausgezeichnet werden. Darum befehle ich sie dir, hochgelehrter Herr Dekan und Vizekanzler, an und bitte darum im Namen unseres Kollegiums und in ihrem Namen, dass ihnen Titel und Grad eines Magisters der Philosophie verliehen werden. Für diese erwiesene Auszeichnung wirst du sie dir für immer verpflichten.
Ich bete zu Gott, dem ewigen Vater unseres Herrn Jesus Christus, dass er die Kirche in diesen Ländern und diese unsere Schule gnädig behüten und schützen möge und dass er das Licht seiner Lehre und die ehrbaren Studien erhalten und uns alle leiten und bewahren möge.
Ich habe gesprochen.
1 Die Zyklopen, nach antiker Überlieferung einäugige Riesen, stehen hier für primitive, unmenschliche Kreaturen. '
2 Näheres über diese Freunde ist nicht bekannt.
3 Kaiser Karl V. starb am 21.9.1558.
4 In der Schlacht von Pavia 1526.
5 Bei der Belagerung Neapels 1528.
6 Schmalkaldischer Krieg 1546/ 1547.
7 Senecta mundi, Ausdruck für die Endzeit, in der sich die Welt nach Melanchthons Auffassung befand.
8 Lakedämonier oder Spartaner waren für Härte und Grausamkeit bekannt.
9 Die sogenannten ökumenischen Konzilien wurden von den Kaisern Ostroms einberufen. 10 Lehre des Paul von Samosata über die Natur Christi, vgl. CA Art. I (BSLK, Bd. 1, 52). Hier Anspielung auf die Lehren der Antitrinitarier.
11 Bischof Acacius von Cäsarea, im arianischen Streit Vertreter einer vermittelnden Richtung, der sogenannten Homöer; sie bestritten die Wesensgleichheit von Vater und Sohn in der Trinität, weil der Vater niemanden verehrt — daher gottlos —, der Sohn hingegen den Vater.
12 Plato, Fundort unbekannt.
13 Ri 14,18.
14 Quelle nicht bekannt.
15 Grundsätze römischen Rechts.
16 Am 25. Juni 1530 durch den sächsischen Kanzler Christian Beyer.
17 Mt 11,28.
18 43 v. Chr.
19 Kardinaldiakon Girolamo Grimaldi.
20 Cassius Dio Cocceianus.
21 Schmalkaldischer Krieg 1546/1547.
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