Martin Luther an Bürgermeister, Rat und Gemeinde Mühlhausen, Weimar, 21. August 1524
Ehrsame, weise, liebe Herren! Es haben mich gute Freunde gebeten, nachdem es erschollen ist, wie einer, genannt Magister Thomas Müntzer, sich zu Euch in Eure Stadt zu begeben willens sei, Euch hierin treulich zu raten und zu warnen vor seiner Lehre (die er [als] aus Christi Geist hoch rühmt), Euch zu hüten. Das habe ich denn, wie mich christliche Treue und Pflicht vermahnet, Euch zugut nicht unterlassen wollen. Ich wäre auch gar willig und geneigt gewesen, weil ich hier draußen im Lande bin, Euch selbst persönlich zu ersuchen. Aber meine Beschäftigung mit dem (Bibel)Druck zu Wittenberg1 läßt mir nicht weiter Zeit noch Raum.
Ich bitte deshalb: wollet Euch vor diesem falschen Geist und Propheten, der in Schafskleidern dahergeht und inwendig ein reißender Wolf ist (Matth. 7, 15), gar fleißig vorsehen. Denn er hat nun an vielen Orten, besonders zu Zwickau und jetzt zu Allstädt, wohl bewiesen, was er für ein Baum ist, weil er keine andere Frucht trägt, als Mord und Aufruhr und Blutvergießen anzurichten, was er denn zu Allstädt öffentlich gepredigt, geschrieben und gesungen hat.2 Der heilige Geist treibt nicht viel Rühmens, sondern richtet große Dinge zuvor an, ehe er rühmt. Aber dieser Geist hat sich nun bald drei Jahre trefflich gerühmt und erhoben und hat doch bisher nicht ein Tätlein getan noch irgendeine Frucht bewiesen, außer daß er gerne morden wollte, wie Ihr darüber Zeugenaussagen sowohl von Zwickau wie von Allstädt haben könnt. Auch sendet er nur Landläufer, die Gott nicht gesandt hat (denn sie könnens nicht beweisen), noch die durch Menschen berufen sind, sondern sie kommen von sich selbst und gehen nicht zur Tür hinein; darum tun sie auch, wie Christus von denselben vorher sagt (Joh. 10, 8): »Alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe und Mörder.« Über das hinaus vermag sie niemand (dazu zu bringen), daß sie ans Licht wollten und sich zur Verantwortung bereit fänden, außer bei ihresgleichen. Wer ihnen zuhört und folgt, der heißt der auserwählte Sohn Gottes; wer sie nicht hört, der muß gottlos sein, und sie wollen ihn töten. Ein wie toll Ding aber ihre Lehre ist, darüber wäre viel zu sagen; aber es wird bald an den Tag kommen.
Wollen Euch aber solche meine Reden nicht bewegen, so tut doch so und schiebt die Sache auf, bis Ihr es besser erfahrt, wes Geistes Kinder sie sind. Denn es ist angefangen, es wird nicht lange im Finstern bleiben. Treulich meine ichs mit Euch (das weiß Gott) und wollte Eurer Gefahr und Schaden gerne zuvorkommen, wo es Gott wollte; darüber, hoffe ich, sollt Ihr mir selbst gut Zeugnis geben. Denn ich kann mich ja in Christus rühmen, daß ich mit meiner Lehre und Rat niemand je einen Schaden getan noch gewollt habe, wie dieser Geist es vorhat, sondern ich bin jedermann tröstlich und behilflich gewesen, so daß Ihr diesen meinen Rat zu verachten wirklich billig nicht Ursache habt.
Wo Ihr aber solches verachtet, den Propheten annehmet und Euch Unglück daraus entspringt, bin ich unschuldig an Eurem Schaden, denn ich habe Euch christlich und freundlich gewarnt. Es nehme ihn ein ehrsamer Rat vor sich, auch vor der ganzen Gemeinde (kann es geschehen), und frage ihn, wer ihn hergesandt oder zu predigen gerufen habe? Der ehrsame Rat hat es ja nicht getan. Wenn er dann sagt, Gott und sein Geist habe ihn wie die Apostel gesandt, so laßt ihn das mit Zeichen und Wundern beweisen oder verwehret ihm das Predigen. Denn wo Gott die ordentliche Weise ändern will, so tut er stets Wunderzeichen dabei. Ich habe noch nie gepredigt noch predigen wollen, wo ich nicht durch Menschen gebeten und berufen worden bin. Denn ich kann mich nicht rühmen, daß mich Gott unmittelbar vom Himmel gesandt hat, wie sie tun, und laufen von selbst, obwohl sie doch niemand sendet noch ladet (wie Jer. 23, 21 schreibt); darum richten sie auch nichts Gutes an.
Gott gebe Euch seine Gnade, seinen göttlichen Willen treulich zu erkennen und zu vollbringen, Amen.
1 Wahrscheinlich Fortdruck der Übersetzung des Alten Testaments.
2 Durch Aufnahme bestimmter Sprüche in die Liturgie?
WA Br 3, 328. Nr. 768 = WA 15, 238-240. Deutsch, vollständig wiedergegeben bei Kurt Aland, Luther deutsch, Bd. 10, Stuttgart 1959, S. 144-145
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