Martin Luther an Johann Oekolampad, 20. Juni 1523
Was Erasmus in bezug auf geistliche Dinge meint oder vorgibt, das bezeugen reichlich seine Bücher, sowohl die ersten als auch die letzten. Trotzdem ich seine Stacheln überall spüre, so stelle auch ich mich dennoch, als ob ich seine Listen nicht verstehe, weil er sich so stellt, als ob er öffentlich nicht mein Feind sei, obwohl ich ihn gründlicher verstehe, als er selbst glaubt. Er hat das getan, wozu er verordnet war: er hat die (Kenntnis der) (Ur)sprachen eingeführt und von gotteslästerlichen Studien zurückgerufen. Vielleicht wird er auch mit Mose in den Gefilden Moabs sterben (5. Mose 34, 5), denn zu besseren Studien (was die Gottseligkeit betrifft) gelangt er nicht. Ich möchte außerordentlich gern, daß er davon abließe, die heilige Schrift zu behandeln und von seinen Paraphrasen, weil er diesen Aufgaben nicht gewachsen ist und die Leser vergeblich beschäftigt und sie in der Erlernung der Schrift aufhält. Er hat genug getan, daß er das Übel gezeigt hat: aber das Gute zeigen (wie ich sehe) und in das Land der Verheißung führen, das kann er nicht. Aber was rede ich so viel von Erasmus? Nur daß Du Dich durch seinen Namen und sein Ansehen nicht bewegen läßt und Dich sogar freust, wenn Du merkst, daß ihm in bezug auf die Schrift etwas mißfällt. Denn er kann oder will über sie nicht richtig urteilen, wie fast die ganze Welt über ihn zu urteilen beginnt.
WA Br 3, 96 f. Nr. 626. Lateinisch, vollständig wiedergegeben bei Kurt Aland, Luther deutsch, Bd. 10, Stuttgart 1959, S. 133
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