Das Wormser Edikt, 26. Mai 1521
Der päpstliche Nuntius Aleander wurde am 30. April vom Kaiser beauftragt, ein Dekret gegen Luther aufzusetzen. Aleander übergab den Entwarf am 8. Mai dem kaiserlichen Kanzler Gattinara. Der Kaiser verweigerte jedoch am 12. Mai die Unterschrift, da er das Dekret noch den Reichsfürsten vorlegen wollte. Erst nach Abschluß des Reichstages ist das Edikt am 26 Mai in Gegenwart von vier Kurfürsten, nicht aber der Stände insgesamt, vom Kaiser unterschrieben worden.
... Unserem römischen kaiserlichen Amt steht es zu, ... darauf zu sehen, daß im Römischen Reich keine Befleckung durch Ketzerei oder Argwohn unseren heiligen Glauben verunreinige... Wenn wir deshalb einige Ketzereien, die innerhalb von drei Jahren in der deutschen Nation entsprungen sind und früher durch die heiligen Konzilien und päpstlichen Satzungen mit Gutheißung der gesamten Kirche tatsächlich verdammt wurden und nun aufs neue aus der Hölle herauf gezogen sind, tiefer einwurzeln ließen und aus unserem Versäumnis nachsichtig und duldsam wären, würde unser Gewissen merklich beschwert und die Ehre unseres Namens schon am glückseligen Beginn unserer Regierung mit einem dunklen Nebel umfangen.
Es ist unbezweifelt und allen unverborgen, wie weit der Irrtum und die Ketzerei vom christlichen Weg abweichen, die ein gewisser Martin Luther aus dem Augustinerorden in die christliche Religion und Ordnung vor allem in der durchlauchtigsten deutschen Nation, die Unglauben und Ketzerei unaufhörlich zurückweist, einzuführen und zu besudeln sich untersteht, und zwar dergestalt, daß - wenn dem nicht schleunigst begegnet wird - dadurch dieselbe ganze deutsche Nation und schließlich durch solche Entwurzelung alle anderen Nationen in unmenschliche Trennungen und erbärmlichen Abfall von den guten Sitten, vom Frieden und christlichen Glauben kommen werden. Deshalb ist unser Heiliger Vater Papst Leo X.. der heiligen römischen und allgemeinen christlichen Kirche oberster Bischof [1] zurecht ... mit nicht ungebräuchlichen Mitteln und Wegen dagegen vorgegangen ... Und obwohl wir eine solche Ermahnung nach Übergabe der päpstlichen Bulle [2] und zuletzt die Verurteilung Luthers [3] an vielen Orten der deutschen Nation verkündet, auch in unseren niederburgundischen Landen und besonders in Köln, Trier, Mainz und Lüttich zu vollziehen geboten haben, hat sich doch Martin Luther darüber nicht nur nicht besonnen, gebessert, noch seine Irrtümer widerrufen, noch von der päpstlichen Heiligkeit Absolution und in der heiligen christlichen Kirche Gnade erbeten, sondern seines verkehrten Sinnes und Verständnisses überaus böse Frucht und Wirkung - wie ein Wütender in eine offenbare Unterdrückung der heiligen Kirche einfallend - durch viele Bücher, die nicht allein von neuen, sondern von bereits früher durch heilige Konzilien verdammten Ketzereien und Gotteslästereien voll sind, in lateinischer und deutscher Sprache von ihm selbst oder wenigstens unter seinem Namen verfaßt, täglich verbreitet. Darin hat er die von der heiligen Kirche solange festgehaltene Siebenzahl der Sakramente, ihre Ordnung und ihren Gebrauch zerstört, verdreht, verletzet und die ewigen Gesetze der heiligen Ehe in ausgesuchter Weise schändlich befleckt. Er sagt, die heilige Ölung sei ein erdichtetes Ding. Er will Anwendung und Empfang des unaussprechlich heiligen Sakraments in der Gewohnheit und Übung, wie sie bei den verdammten Böhmen [4] üblich ist. Er verdreht von Anfang an die Beichte, die den von Sünden befleckten und beladenen Herzen am allernützlichsten ist, dermaßen, daß daraus keine Grundlage noch Frucht abgeleitet werden kann. Schließlich droht er noch, über die Beichte soviel zu schreiben, daß nicht nur jeder aus diesen seinen verrückten Schriften es wagen wird zu sagen, die Beichte sei fruchtlos, sondern die meisten auch predigen werden, daß man nicht beichten müsse. Er hält von priesterlichem Amt und Weihe am allerwenigsten und wagt es auch, die Laien [die weltlichen laischen personen] zu bewegen, ihre Hände im Blut der Priester zu waschen.
Er schmäht den obersten Priester unseres christlichen Glaubens, den Nachfolger des Heiligen Petrus und Christi wirklichen Stellvertreter auf Erden, mit verleumdnerischen und schändlichen Worten und verfolgt ihn mit mannigfaltigen unerhörten Anfeindungen und Schmähungen. Er schließt aus heidnischen Dichtungen, daß es keinen freien Willen gebe, und zwar in dem Sinne, daß alle Dinge in einer festen Bestimmung stehen. Er schreibt, daß die Meßfeier niemandem zugute komme außer dem, der sie vollbringt. Dazu verkehrt er die Übung des Fastens und Betens, wie sie von der heiligen Kirche festgesetzt und bisher gehalten worden ist. Besonders verachtet er auch die Autorität der heiligen Väter, die von der Kirche als solche erklärt sind. Er setzt sich gänzlich hinweg über Gehorsam und Leitung und schreibt fast gar nichts anderes, als was zu Aufruhr, Spaltung, Krieg, Totschlag, Räuberei, Brandstiftung und völligem Abfall des christlichen Glaubens gereicht und dient. Dann lehrt er auch ein freies, eigenwilliges Leben, das von allem Gesetz ausgeschlossen ist: frei wie das Vieh. Er ist also ein freier, eigenwilliger Mensch, der jedes Gesetz verdammt und unterdrückt, wie er ja dann auch kein Entsetzen und keine Scheu gezeigt hat, die Dekrete und geistlichen Gesetze öffentlich zu verbrennen [5]. Und da er vor dem weltlichen Schwert noch weniger Furcht hat als vor des Papstes Bann und Strafe, hat er auch das weltliche Recht boshaft mißachtet.
Er schämt sich nicht, jetzt öffentlich gegen die heiligen Konzilien zu reden und sie mit Absicht zu schmähen und zu verletzen, unter diesen greift er besonders das Konzil von Konstanz allenthalben mit seinem schmutzigen Mund hart an; er nennt es - zur Schmach und Herabsetzung der gesamten christlichen Kirche und der deutschen Nation - eine Synagoge des Teufels, und jene, die daran teilgenommen und verordnet hatten, daß Johannes Huß wegen seiner ketzerischen Handlung zu verbrennen sei, nämlich unseren Vorgänger Kaiser Sigismund sowie die Fürsten des heiligen Reiches und die allgemeine Versammlung bezeichnet er als Antichristen, Teufelsapostel, Totschläger und Pharisäer und sagt, daß alles das, was in demselben Konzil wegen der Ketzerei des Huß verdammt wurde, christlich und evangelisch sei, und behauptet, er könne es beweisen. Die Artikel, die dasselbe Konzil angenommen und beschlossen hat, will er keineswegs gelten lassen und ist in seinem Verlangen in eine solche Unsinnigkeit verfallen, daß er sich rühmt, wenn der erwähnte Huß einmal ein Ketzer gewesen sei, so sei er zehnmal ein Ketzer. Ohne alle anderen Bosheiten Luthers aufzuzählen, sei kurz gesagt: dieser eine, nicht ein Mensch, sondern der böse Widersacher leibhaftig in Gestalt eines Menschen mit angenommener Mönchskutte, hat die auf das schärfste verdammten Irrlehren aller Ketzer, die lange Zeit verborgen geblieben sind, in eine stinkende Pfütze zusammengesammelt und selber einige neue dazu erdacht unter dem Anschein, er predige den Glauben, den er vielfach mit solch großem Fleiß erfindet, damit er den wahren und rechten Glauben zerstöre und unter Namen und Schein der evangelischen Lehre allen evangelischen Frieden. Liebe, Ordnung aller guten Dinge sowie die anmutige Erscheinung des Christentums [die allerzierlichst christlich gestalt] verkehre und unterdrücke...
Da nun die Sache dermaßen verlaufen ist und Martin Luther also ganz verhärtet und verkehrt in seinen offenkundigen ketzerischen Auffassungen verharrt und deshalb von all denen, die Gottesfurcht und Vernunft [6] haben, für töricht oder vom bösen Geist besessen befunden wurde, ... haben wir zu ewigem Gedächtnis dieser Verhandlung, zur Vollstreckung des Dekrets, des Urteils und der Verdammung entsprechend der Bulle, die unser Heiliger Vater, der Papst, als ordentlicher Richter in diesen Angelegenheiten. verkündet hat, festgesetzt, daß Ihr den erwähnten Martin Luther als ein von Gottes Kirche abgesondertes Glied und einen verstockten Häretiker und offenbaren Ketzer von uns und Euch allen und jedem insbesondere zu achten und zu halten erkennet und erkläret und dasselbe kraft dieses Schreibens bewußt in die Tat umsetzt. Und weiter gebieten wir Euch allen und jedem einzelnen bei seinen Pflichten, womit Ihr uns und dem heiligen Reich untertan seid ... daß Ihr allesamt und jeder einzelne nach Ablauf der oben erwähnten 20 Tage, die am 14. Tag des gegenwärtigen Monats Mai enden, den vorgenannten Martin Luther nicht in Euer Haus aufnehmt, nicht bei Hofe empfangt, ihm weder zu essen noch zu trinken gebt, ihn nicht versteckt, ihm nicht mit Worten oder Werken heimlich noch öffentlich irgendeine Hilfe ... Anhängerschaft, Beistand oder Vorschub erweiset, sondern wo Ihr ihm beikommen, ihn ergreifen und seiner mächtig werden könnt, ihn gefangen nehmt und uns wohlbewahrt zusendet oder das zu tun beauftragt oder uns wenigstens, wenn er Euch in die Hand gebracht wird, unverzüglich verkündet und anzeigt und ihn inzwischen im Gefängnis behaltet, bis Euch von uns Bescheid gegeben wird, was Ihr ferner nach Rechtsordnung gegen ihn unternehmen sollt und Ihr für ein solches heiliges Werk, Eure Mühe und Kosten eine angemessene Entschädigung empfangen werdet. Aber gegen seine Verbündeten, Anhänger, Verberger, Vorschubleister, Gönner und Nachfolger sowie deren bewegliche und unbewegliche Güter sollt Ihr kraft der heiligen Konstitution und unser und des Reiches Acht und Aberacht in dieser Weise handeln: nämlich sie niederwerfen und fangen und ihre Güter in Eure Hände nehmen und sie zu Eurem eigenen Nutzen verwenden und behalten ohne irgendeine Behinderung, es sei denn, daß sie durch glaubwürdiges Gehaben [schein] anzeigen, daß sie diesen unrechten Weg verlassen und die päpstliche Absolution erlangt haben.
Ferner gebieten wir Euch allen und einem jeden von Euch, im besonderen unter den vorgeschriebenen Strafen, daß keiner von Euch die Schriften des obengenannten Martin Luther, die von unserem Heiligen Vater, dem Papst, wie oben steht, verdammt, und alle anderen Schriften, die in Latein und Deutsch oder in anderer Sprache bisher von ihm verfaßt sind oder künftig verfaßt wenden, als Bosheit, argwöhnisch und verdächtig und von einem offenbaren, hartnäckigen Ketzer ausgegangen, kaufe, verkaufe, lese, behalte, abschreibe, drucke oder abschreiben oder drucken lasse, noch sich seiner Meinung anschließe. diese auch nicht festigte, predige oder beschirme noch in einer anderen Weise, wie Menschensinn erdenken kann, es wage, ohne Rücksicht darauf, ob darin etwas Gutes eingeführt werde, um den einfältigen Menschen damit zu betrügen...
[...]
[1] Es folgt im Text die Darstellung des römischen Prozesses und die Bannandrohungsbulle "Exsurge Domine" vom 15.6.1520 [...].
[2] Gemeint ist die Bulle "Exsurge Domine" vom 15.6.1520
[3] Bulle vom 3.1.1521. in der der Bann über Luther ausgesprochen wurde.
[4] Unter den Böhmen (Beheim) sind hier die Vertreter der hussitischen Bewegung (Utraquisten) zu verstehen, die u.a. den Genuß des Abendmahls unter beiderlei Gestalt forderte [...].
[5] Hier wird angespielt auf die Verbrennung von Teilen des kanonischen Rechts und der Bannandrohungsbulle am 10 Dezember 1520 durch Luther.
[6] Vgl. oben Luthers Berufung auf Schrift und Vernunft [...].
Quelle: Oberman, Heiko A., Die Kirche im Zeitalter der Reformation. Neukirchen 1981, 62-65.
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