Luthers Absage an die Mönchsgelübde (November 1521)
Aus Luthers Wartburgzeit (3. Mai 1521-1. März 1522) stammt die Schrift: »De votis monasticis iudicium«, mit der er sein abschließendes Urteil über die Frage des Mönchtums darlegt. Veranlaßt wurde er zu dieser Schrift durch die Wittenberger Diskussionen um Zölibat und Mönchtum, die vor allem im Anschluß an die Heirat des Kemberger Propstes B. Bernhardi entfacht worden waren. Die Stellungnahmen Karlstadts (Super coelibatu, monachatu et viduitate axiomata. Ende Juli) und Melanchthons (Loci communes, vgl. Nr. 36) ließen ihm eine klare Begründung der Argumente gegen das Mönchtum notwendig erscheinen. — Die Vorrede, zugleich Widmungsbrief an seinen Vater, erläutert diese Grundlegung anhand seiner Lebensgeschichte als Mönch.
Daß ich dir, teuerster Vater, dieses Buch widme, ist nicht in der Absicht geschehen, daß ich deinen Namen in die Welt tragen wollte und wir uns rühmen möchten nach dem Fleisch, gegen die Lehre des Paulus [Cal 6,13], sondern daß ich die Gelegenheit ergriffe, die sich zwischen dir und mir recht passend darbot, in einer kurzen Vorrede den frommen Lesern Grund, Inhalt und Beispiel dieses Buchs zu erzählen. [...]
Es ist nun fast das sechzehnte Jahr meines Mönchslebens [seit 1505] verstrichen, das ich gegen deinen Willen und ohne dein Wissen auf mich genommen habe. Du sorgtest dich mit väterlicher Liebe um meine Urteilsunfähigkeit, da ich eben herangewachsen war, ins 22. Lebensjahr eingetreten, d.h. (um ein Wort Augustins1 zu gebrauchen) in der Glut der Jugend stand; denn du hattest an vielen Beispielen gelernt, daß diese Art des Lebens manchen zum Unheil ausgeschlagen war. Du hattest vielmehr vor, mich durch eine ehrenhafte und reiche Ehe zu binden. Aus dieser Befürchtung kam deine Sorge, aber auch dein Unwille über mich, der eine Zeitlang unversöhnlich war; vergeblich suchten Freunde, dich zu überreden, daß du, wenn du Gott etwas opfern wollest, dein Liebstes und Bestes opfern sollest. Indessen ließ der Herr in deine Gedanken jenen Psalmvers hineintönen, aber nur dumpf: »Gott weiß die Gedanken der Menschen, daß sie eitel sind« [Ps94,11].
Endlich gabst du nach und unterwarfest Gott deinen Willen, doch ohne die Sorge um mich aufzugeben. Denn ich erinnere mich nur zu gut daran: als du schon ausgesöhnt mit mir sprachst und ich versicherte, vom Himmel herab durch Schrecknisse berufen worden zu sein, denn ich sei nicht mit Lust und Willen Mönch geworden, noch viel weniger um des Bauchs willen, sondern von Schrecken und Furcht vor plötzlichem Tod umringt, schwor ich ein gezwungenes und notgedrungenes Gelübde –, da sagtest du: »Hoffentlich war es kein Wahn und Blendwerk.« Dieses Wort schlug durch, als wenn Gott es durch deinen Mund habe erschallen lassen, und setzte sich fest in meinem Innersten; ich aber verhärtete mein Herz gegen dich und dein Wort. Und noch ein anders Wort fügtest du hinzu: als ich dir gar in kindlichem Vertrauen deinen Unwillen zum Vorwurf machen wollte, da ließt du mich im Nu abprallen und gabst mir den Stoß so geschickt und treffend zu-rück, daß ich kaum in meinem Leben von einem Menschen ein Wort gehört habe, das in mir stärker geklungen und fester gehaftet hätte; du sagtest nämlich: »Und hast du nicht auch gehört, daß man den Eltern gehorchen soll?« Aber ich in meiner Selbstsicherheit [securus in iustitia mea] hörte dich als einen Menschen und brachte keine Achtung für dein Wort auf ; doch im tiefsten Grunde meines Wesens konnte ich dieses Wort nicht verachten.
Hier sieh nun zu, ob nicht auch dir unbekannt war, daß man Gottes Gebote über alles stellen muß. Wenn du gewußt hättest, daß ich noch in deiner Gewalt war, hättest du mich nicht durch die väterliche Autorität aus der Kapuze gerissen? Aber auch ich hätte, wenn ich es gewußt hätte, das ohne dein Wissen und gegen deinen Willen nicht versucht, auch wenn ich mehrmals zugrundegehen sollte. Denn mein Gelübde, durch das ich mich der väterlichen Autorität und dem göttlich befohlenen Willen entzog, war keinen Dreck wert, ja gottlos; und daß es nicht aus Gott war, bewies nicht nur dies, daß ich gegen deine Autorität sündigte, sondern auch, daß es nicht spontan und willig geschah. Dazu war es auf Menschenlehren und Aberglauben der Heuchler hin abgelegt, die Gott nicht geboten hat. Doch Gott, dessen Barmherzigkeit keine Grenzen kennt, und dessen Weisheit kein Ende nimmt [Ps 147,5], hat aus allen diesen Irrtümern, siehe!, so viel Gutes gemacht. Möchtest du nun nicht lieber hundert Söhne verloren haben, als dieses Gute nicht gesehen haben? Mir kommt es so vor, als habe Satan bei mir schon von meiner Kindheit an etwas davon vorausgesehen, was er nun leidet; darum hat er mit unglaublichen Künsten gewütet, um mich zu verderben und zu hindern,.so daß ich mich des öfteren gewundert habe, ob ich unter den Sterblichen der Einzige wäre, den er angreift. Aber es war der Wille des Herrn, wie ich es jetzt sehe, daß ich die Weisheiten der Hohen Schulen und die Heiligkeiten der Klöster durch eigene und gewisse Erfahrung [propria et certa experientia], d.h. durch viele Sünden und Gottlosigkeiten kennenlerne, damit die gottlosen Menschen nicht Gelegenheit hätten, ihrem künftigen Gegner triumphierend vorzuhalten, daß ich Dinge verdamme, die ich nicht kannte. Also lebte ich als Mönch, zwar nicht sündlos, aber tadellos [non sine peccato quidem, sed sine crimine2]. Denn Gottlosigkeit und Gotteslästerung wurden im Reich des Papstes für höchste Frömmigkeit gehalten, geschweige denn als Vergehen betrachtet.
Wie denkst du also jetzt? Willst du mich immer noch herausreißen? Denn noch bist du Vater, und ich Sohn, und alle Gelübde sind von gar keiner Bedeutung. Auf deiner Seite steht die göttliche Autorität, auf meiner Seite steht die menschliche Vermessenheit .. .
Doch ich kehre zu dir zurück, lieber Vater, und sage wiederum: Willst du mich noch immer herausreißen? Aber damit du dich nicht rühmst, ist dir Gott zuvorgekommen und er hat mich selbst herausgenommen. Denn was macht es aus, ob ich die Kutte und Tonsur trage oder ablege? Sollen denn Kapuze und Tonsur den Mönch machen? »Alles ist euer«, sagt Paulus, »ihr aber Christi« [1Kor 3,22f.]; und ich sollte der Kapuze gehören und nicht vielmehr die Kapuze mir? Das Gewissen ist befreit worden, und das heißt überreich befreit worden. Also bin ich nun Mönch und nicht Mönch; eine neue Kreatur, nicht des Papstes, sondern Christi. Denn der Papst erschafft auch, aber Puppen und Pappen, d. h. ihm ähnliche Larven und Götzenbilder, deren eines ich auch früher gewesen bin, verführt durch mancherlei landläufiges Gerede, wodurch auch der Weise, wie er bekennt, bis in Todesgefahr geriet und durch Gottes Gnade befreit wurde [Sir 12,13f. Vulg.]. – Aber raube ich dir wiederum dein Recht und deine Autorität? ... Doch hat der, der mich herausgerissen hat, ein größeres Recht über mich, als dein Recht ist; von ihm bin ich, wie du siehst, nicht mehr in jenem erdichteten Gottesdienst der Mönche, sondern in wahren Gottesdienst hineingestellt. Denn wer kann daran zweifeln, daß ich im Dienst des Wortes stehe? Dabei aber handelt es sich deutlich um Dienst [cultus], dem die Autorität der Eltern weichen muß, nach dem Wort Christi: »Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert« [Mt 10,37]. Nicht daß er die Autorität der Eltern durch dieses Wort entleert hätte, denn der Apostel prägt oft genug ein, daß die Kinder den Eltern gehorsam sein sollen; sondern wenn der Eltern und Christi Ruf bzw. Autorität in Konflikt kommen, dann soll die Autorität Christi allein regieren. Darum könnte ich dir bei Gefahr meines Gewissens nie ungehorsam sein (davon bin ich jetzt ganz fest überzeugt), wenn nicht über das Mönchtum hinaus der Dienst am Wort dazugekommen wäre . . . Ich schicke dir also dieses Buch, aus dem du ersehen kannst, durch welche Zeichen und Kräfte Christus mich von dem Mönchsgelübde losgemacht [absolverit] und mir solche Freiheit geschenkt hat, daß, indem er mich zum Knecht aller gemacht hat, ich niemand untertan bin außer Ihm allein. Denn Er ist mein sogenannter unmittelbarer Bischof, Abt, Prior, Herr, Vater und Meister. Einen anderen kenne ich nicht mehr. So hat er dir, wie ich hoffe, einen Sohn geraubt, um anzufangen, durch mich vielen anderen Söhnen zu helfen. Das mußt du nicht nur gern tragen, sondern dich auch darüber sehr freuen ; daß du nichts anderes tun wirst, davon bin ich fest überzeugt .. .
1. »inquieta indutu adolescentia«. Augustin, Confessiones, I1,3 (PL 32, Sp. 677); vgl. Bd. I Nr. 91.
2. Vgl. >irreprehensibilis< in WA 54, S. 185,21: >den äußeren Regeln< bzw. >den Gesetzen gemäß<
Quelle: WA 8, S. 573,6—574,34. S. 575,24—34. S. 575,35—576,6.14—21.
Textauszüge nach: Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1994, S. 73-76
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