Andreas Osiander: Bericht über das Marburger Gespräch (5. Oktober 1529)
[Am Samstag, dem 2. Oktober 1529] hat Luther kurz vorgetragen, wie die andere Partei [d.h. die Schweizer und Straßburger] sich unterstanden habe zu beweisen, daß die Worte Christi »Das ist mein Leib«, »das ist mein Blut« [Mt 26,26] ein anderes Verständnis zulassen und haben müssen, als wir glauben und lehren. Doch wolle er ihre Beweisführung hören und, was er daran zu bemängeln habe, freundlich und kurz anzeigen, und hat also den Text »Das ist mein Leib« mit einer Kreide vor sich auf den Tisch geschrieben.
Darauf haben sich Zwingli und Ökolampad erboten, ihr Vornehmen mit heiliger, göttlicher Schrift und mit klaren Sprüchen der Väter zu beweisen ... Also hat Zwingli angefangen und den Spruch Joh 6[,63]: »Das Fleisch ist nichts nütze« her-angezogen in der Meinung, damit zu beweisen: weil das Fleisch Christi nichts nütze wäre, hätte es auch Christus nicht zu essen gegeben! Und als er zu seinen Gunsten das ganze Kapitel erzählen wollte ..., hat Luther wohl gemerkt, daß es ein langes . . . Geschwätz werden würde, und eingewendet, ihn nehme wunder, daß Zwingli den Spruch vortrage, obwohl er doch wisse, daß Christus daselbst nichts vom Abendmahl rede, sondern vom Glauben, weshalb er dem gegenwärtigen Streit nicht diene. Darauf hat Zwingli geantwortet, es sei wahr, er wolle aber dennoch daraus beweisen, daß das Fleisch im Abendmahl nichts nütze sei. Es wundere ihn nicht, daß Luther jenes Wort nicht gern höre; denn es werde ihm (hat er mit großem Trotz und Pochen gesagt), dem Luther, noch den Hals brechen. Dar-auf hat Luther den Zwingli . . . gebeten, er möge sich die stolzen und trotzigen Worte sparen, bis er heim zu seinen Schweizern käme; wo nicht, so wüßte er ihm auch wohl über die Schnauze zu fahren ..., worauf Zwingli still wurde und sich zurückhielt.
Nachdem nun Zwingli den Spruch »Das Fleisch ist nichts nütze« vorgetragen hatte, gab Luther energisch ungefähr diese Meinung zur Antwort: Zum ersten, er stimme ihm nicht zu, daß Christus von seinem Fleisch rede, sondern von unserem sündlichen und fleischlichen Wesen, wie es sonst in der Schrift Brauch ist .. . Zum andern, wenngleich Christus von seinem eigenen Fleisch geredet hat, gestehe er doch nicht zu, daß deshalb recht zu folgern und zu schließen wäre: >Das Fleisch ist nichts nütze, also ist es im Abendmahl auch nicht präsent.< Anders könnte er gegen Zwingli auch den Schluß ziehen: >Das Brot ist nichts nütze, also ist es im Abendmahl nicht da. < . . . Zwingli werde doch nun begreifen müssen, daß seine Konsequenz ein Fehlschluß sei. Das Wort, das Fleisch und Blut umfaßt, ins Herrenmahl einsetzt und zu genießen befiehlt, dies Wort macht alles nütze, was sonst, ohne das hinzutretende Wort unnütz wäre und auch bliebe, wenn man das Wort nicht beachtet noch glaubt etc. Also ist über diesen Spruch der halbe Tag zu-gebracht und nach allgemeinem Urteil durch Luther erstritten worden, auch bei der anderen Partei, daß der Spruch nicht zur Sache diene und sie nichts damit beweisen können.
Nachmittags aber, als wir1 auch dabei waren, trug Zwingli den Spruch vor, Hebr 5 [richtig: 4,15]: »Der versucht ist allenthalben gleichwie wir, doch ohne Sünde«, und zog dazu Röm 8[,3] an: »Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches«, und Phil 2[,7]: »Er hat die Gestalt eines Knechtes angenommen, ist gleichgeworden wie ein anderer Mensch und an Gebärden erfunden als ein Mensch« etc., der Meinung also, daraus zu schließen, Christus sei uns in allen Dingen gleich geworden, nur die Sünde allein ausgeschlossen; unsere Leiber aber seien jeweils nur an einem Ort, darum müsse auch der Leib Christi an einem Ort allein sein und könne nicht an vielen Orten sein im Abendmahl.
Darauf antwortete Luther lachend: »Soll sich dann das Wörtlein >Gleichheit< oder >Gestalt< dahin erstrecken, daß es alles in sich schließe bis auf die Sünde allein, so ist es mir ein seltsames Ding; denn ich habe ein Weib; das ist keine Sünde; so muß Christus auch ein Weib gehabt haben etc. Doch sehe ich davon ab und sage so dazu: >Wenn es gleich wahr wäre, daß uns Christus in allen Dingen bis auf die Sünde allein gleich sein müßte, so gestehe ich doch das auch nicht zu, daß unsere Leiber eben an einem Ort allein sein müssen. Denn Gott ist allmächtig; er kann auch wohl meinen Leib ohne eine Stätte erhalten ... Er kann auch wohl einen Leib an mehr als einem Ort halten . . ., wie er will<«, und bat darauf den Zwingli mit ernstlichen Worten, er solle nicht so kindisch von der göttlichen Majestät und Allmächtigkeit denken und reden. Denn Gott »rufe das, was nicht sei, daß es sei« [Röm 4,17].
Zwingli antwortete und bekannte, daß Gott dies wohl tun könnte, wenn er wollte, er täte es aber nicht; das beweise er so: Die Heilige Schrift zeigt uns Christus immer an einem besonderen Ort, wie zum Beispiel in der Krippe ..., im Grab, zur Rechten des Vaters; darum meint er, er müßte immer an einem besonderen Ort sein. Dazu sagte ich [Osiander], mit diesen Sprüchen könnte man nicht mehr beweisen, als daß Christus zu einigen Zeiten an besonderen Orten gewesen sei; daß er aber immer und ewig an einem besonderen Ort oder einer abgemessenen Stätte wäre, ja sein müßte, und nicht ohne Stätte oder an vielen Stätten in natürlicher oder übernatürlicher Weise sein könnte, wie sie vorgeben, das würde mit diesen Schriften nimmermehr bewiesen. Darnach sagte Zwingli: »Ich habe bewiesen, daß Christus an einer Stätte gewesen ist; beweist nun ihr, daß er an gar keiner oder an vielen Stätten sei.« Luther antwortete: »Ihr habt euch am Anfang erboten, zu beweisen, daß es nicht so sein könne und unser Verständnis falsch sei. Das zu tun seid ihr schuldig und nicht [von uns] Beweisführung zu fordern; denn wir sind euch keine schuldig. «
Zwingli sagte, es wäre eine Schande, daß wir einen so schweren Artikel lehrten und verfochten und doch keine Schrift [stellen] darüber zeigen könnten oder wollten. Da hob Luther die samtene Decke auf und zeigte ihm den Spruch: »Das ist mein Leib«, den er mit der Kreide für sich geschrieben hatte und sprach: »Hier steht unsere Schrift; die habt ihr uns noch nicht entwunden, wie ihr euch erboten habt; wir bedürfen keiner andern.«
Zwingli fragte, ob er sonst keine Schrift, Argumente oder Zeugnisse hätte als diese allein. Da antwortete Luther: »Ich habe noch andere, wie ihr hören werdet, wenn ihr mir vorher diese abgewinnt; denn was nötigte mich, daß ich ein gewisses Wort Gottes, das mir niemand abringen kann, selbst fahren ließe und [mich] nach einem andern umsähe. Stürzt mir das um ! Darnach werdet ihr wohl hören, was ich weiter für Argumente habe.«
Soviel Zeugnisse haben Zwingli und Ökolampad aus der Heiligen Schrift angeführt und nicht mehr; sie fuhren fort und wollten eifrig nach der Vernunft darlegen, wie ein Leib an vielen Orten oder an gar keinem Ort sein könne. Das wollte ihnen aber Luther nicht gestatten; er sagte: »Vernunft, Philosophie und Mathematik gehören nicht hierher; denn wenn wir gleich statuieren würden, daß ein Leib an einem Ort allein sein müßte, wäre dies doch nichts anderes, als daß er nach dem gewöhnlichen Lauf der Natur zu rechnen an einem Ort allein sein müßte. Daß aber Gottes allmächtiges Wort nicht etwas anderes vermögen sollte als die gewöhnliche Natur, das wäre undenkbar: darum dient es hier nicht etc.« Er erbot sich, wenn sie darauf durchaus nicht verzichten wollten, würde er außerhalb dieser Handlung mit ihnen darüber disputieren ... Sie fragten, wo Gott je einen Leib ohne eine besondere Stätte gesetzt oder erhalten hätte. Darauf antwortete Luther: »Den allergrößten Leib, worin alle anderen Leiber enthalten seien, nämlich die ganze Welt, erhält Gott ohne eine Stätte; denn außerhalb der Welt ist nichts als Gott; darum hat die Welt keine Stätte, worin sie ist. « Dazu schwiegen sie alle still. Also wurde weiter nichts aus der Schrift von ihnen vorgebracht, worüber wir uns sehr verwunderten .. .
Am Sonntag vor- und nachmittags [4. Oktober] trugen Zwingli und Ökolampad Sprüche der Väter vor, nämlich einen aus Fulgentius [t 533], etliche aus St. Augustin, die beweisen sollten, daß ein Leib an einem besonderen Ort sein müßte und daß das Brot im Abendmahl ein Zeichen des Leibes und Blutes Christi wäre. Dar-über hörten wir ihnen fast den ganzen Tag zu, bis sie es suchten, lasen und verdeutschten, was überaus langweilig anzuhören war.
Zuletzt beantwortete es Luther so: »Daß St. Augustin das Brot als Zeichen des Leibes Christi nennt, ist nichts Besonderes ; denn wir können daraus nicht wissen, ob es seine Meinung sei, daß der Leib da sei oder nicht; denn wir selbst halten es für ein Zeichen, nennen es auch so und halten dennoch dafür, daß der Leib da sei. Daß er aber sagt, ein Leib muß an einem Ort allein sein, das schreibt er an den Stellen, wo er mit keinem Wort des Abendmahls gedenkt; wenn er aber vom Abendmahl redet, so nennt er es den Leib und das Blut Christi ebensogut wie wir.« Luther führte dafür einige Aussagen an und sagte: »Warum sollten wir nun die Sprüche Augustins mißachten, die er an den Stellen schreibt, wo er vom Abendmahl handelt, und sollten uns nach denen richten, die er schreibt, wo er überhaupt nichts vom Abendmahl sagt? Wenn dazu es gleich gewiß wäre, daß es Augustin so gemeint hätte, wie ihr vorgebt, warum sollten wir gerade Augustin anhangen und nicht vielmehr Cyprian, Cyrill, Ambrosius, Hieronymus und vielen anderen, welche unsere Meinung aufs allerklarste geschrieben haben? Und wenngleich die Väter allesamt eurer Meinung wären, wie kämen wir dazu, daß wir um der Väter willen Gottes Wort geringschätzen sollten und ihnen anhängen? Befiehlt doch Sankt Augustin selbst, man soll seine Bücher lesen, wie er die Bücher der anderen lese; denn er glaube keinem etwas deshalb, weil er es so hält, wie angesehen er auch sei, sondern allein, wenn er mit der Heiligen Schrift beweise, daß dem so sei.« .. .
Darauf sagte Ökolampad: »Wohlan, wir haben dennoch soviel angezeigt, daß wir nicht leichtfertig noch ohne Ursache oder großen Beweggrund zu dieser Meinung gekommen sind.« Dazu sagte Luther: »Wir wissen allzu gut, daß ihr große Ursache gehabt habt; aber die Sache ist um nichts besser.«
Danach wurden sie gefragt, ob sie weiter etwas vorbringen wollten. Sie sagten: »Nein. Hat man die vorigen Argumente schon nicht akzeptiert, sei klar zu ermessen, daß man die folgenden noch weniger annehmen werde.« Darauf sagte Luther: »Nun, ihr habt ja auch nichts bewiesen; davon gibt euch euer eigenes Gewissen Zeugnis.«
Da schaltete sich der Kanzler [Feige] ein: sie sollten Mittel und Wege suchen, wie man einig würde. Da sagte Luther: »Ich weiß kein anderes Mittel, als daß sie Gottes Wort die Ehre geben und mit uns glauben. « Dazu sagten sie, sie könnten es weder begreifen noch glauben, daß der Leib Christi präsent wäre. Da sagte Luther: »So wollen wir euch auch hingehen lassen und dem gerechten Gericht Gottes befehlen. Der wird wohl herausfinden, wer recht hat.« Ökolampad entgegnete: »Und wir euch auch.« Aber Zwingli gingen die Augen [von Tränen] über, daß es alle merkten.
Weil aber Luther im Anfang gesagt hatte: »Sollen wir einig werden, so müssen wir nicht allein vom Sakrament, sondern auch von mehreren anderen Stücken handeln', weil sie, der Widerteil, fast kein Hauptstück christlicher Lehre recht lehren... «, stand Jakob Sturm [Stettmeister von Straßburg] auf, zeigte an, er wäre geschickt, darum bemüht zu sein, daß der Zwiespalt vom Sakrament beigelegt würde etc. Nun wäre er gekommen in der Meinung, es handle sich nur um einen strittigen Artikel; es seien aber mehrere, und wenn er diese Nachricht heimbringen sollte, würde er übel bestehen etc. ; er begehrte, die Lehre seiner Prediger zu verhören und anzuzeigen, wo sie recht oder unrecht lehrten. Dem wurde stattgegeben. Bucer gab Rechenschaft für sie alle, aber wahrlich nicht angemessen, insbesondere von der Taufe; er begehrte, Luther sollte ihnen Zeugnis geben, daß sie recht lehrten . . . Luther antwortete: »Ich bin nicht euer Herr, nicht euer Richter, auch nicht euer Lehrer, so reimt sich unser Geist und euer Geist nicht zusammen; es ist offenbar, daß wir nicht einerlei Geist haben; denn das kann nicht einerlei Geist sein, wo man an einem Ort die Worte Christi einfältig glaubt und am andern denselben Glauben tadelt, anficht, Lügen straft und mit allerlei frevelhaften Worten verunglimpft. « .. .
Als man nun sah, daß sie sich im Hauptartikel vom Sakrament nicht helfen noch raten ließen, ließ der Fürst Philipp von Hessen uns danken ... Danach entbot er jeden einzeln, fragte um Rat, Mittel und ob man nicht nachgeben könnte, und fand bei uns allen, wenn sie, der andere Teil, bekennen wollten, daß der Leib Christi im Abendmahl wäre [und] nicht allein im Gedächtnis der Menschen, wollten wir ihnen alle anderen Fragen erlassen und auf nichts dringen, ob er leiblich oder geistlich, natürlich oder übernatürlich, in einer Stätte oder ohne Stätte präsent wäre, und so als Brüder wieder annehmen und alles tun, was ihnen lieb wäre. Aber – das ist sonderbar anzuhören – sie wollten nicht. Der Fürst lud uns alle von beiden Parteien an seinen Tisch.
Am Montag [5. Oktober] wurde uns befohlen, wir sollten selbst untereinander verhandeln. Also handelten Luther und Philipp [Melanchthon] mit Zwingli und Ökolampad, Brenz und ich [Osiander] mit Martin Bucer und [Kaspar] Hedio im geheimen [und] brachten Bucer dahin, daß er zugab, Christi Leib wäre im Abend-mahl und würde in und mit dem Brot den Gläubigen gegeben, aber nicht den Ungläubigen ... Da sagten wir: »So würde ein neuer Streit entstehen, doch nicht so arg wie der vorige; wir bemühen uns, des Streits wegen wohl noch zu einem Vergleich zu kommen.« Aber als Bucer zu seinen Brüdern kam, redeten sie es ihm aus und er fiel wieder ab.
Luther verhandelte auch fleißig, erreichte aber des Sakramentes wegen nichts. Sie aber hatten um Gottes willen gebeten, wir sollten sie für Brüder halten und die Ihren bei uns die Sakramente empfangen lassen; desgleichen wollten auch sie tun. Aber es wurde ihnen aus gewichtigen und christlichen Gründen abgeschlagen. Danach haben sie begehrt, man solle die anderen Streitpunkte beilegen. Das hat sich Luther gefallen lassen und versucht. Die Sache wurde dahin geklärt, daß er die Hauptstücke aufzeichnen sollte; was ihnen nicht gefiele, wollten sie anzeigen; würde man einig, sollte ein jeder unterschreiben .. .
1. Nämlich Stephan Agricola aus Augsburg, Johannes Brenz aus Schwäbisch Hall und Andreas Osiander aus Nürnberg.
Quelle: G. May (Hg.), Das Marburger Religionsgespräch 1529, TKTG 13, 1970, S. 52—57.
Literatur: H. v. Schubert, Bekenntnisbildung und Religionspolitik 1529/30 (1524-1534). Untersuchungen und Texte, 1910; W. Köhler, Das Marburger Religionsgespräch. Versuch einer Rekonstruktion, SVRG 148, 1929; ders., Das Religionsgespräch zu Marburg 1529, Zwing. 5, 1930, S. 81—102; vgl. Nr. 72 und 73a—f.
Text zitiert nach: Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1994, S. 161-165
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