Zur Rechtfertigung seiner Position gegen den Kaiser teilt Philipp der Großmütige im Jahre 1530 Martin Luther seine Gedanken über das Recht zum Widerstand mit.
Aus dem Briefwechsel des Landgrafen Philipp mit Martin Luther
Lieber Doctor Martinus! Mein Begehr ist nach wie vor, wollt ein Vermahnung an alle Gläubigen tun dies Reichstags halben, und ob Ihr nit gnugsamen Bericht hättet, so schreibt mir, so will ich Euch alle ergangene Handlung zuschicken. Es tut not, die Schwachgläubigen zu trosten und vermahnen.
Ich kann Euch noch, als zu dem ich ein sonderlich gute Meinung habe, unangezeigt nit lassen, daß wohl etlich seind, die vermeinen, so der Kaiser mit seinem Anhang uns, die Oberkeit haben, strafen wollt des Evangeliums halben, und so Sein Maj. des Teufels Lehre wullt widder ufrichten, sollten wir's gestatten und hätten mit nicht dargegen Macht zu wehren.
Nu kann ich mich erinnern, daß Ihr dem Kurfürsten etc. einmal [...] ein Ratschlag stalltet, darin Ihr anzeigt, man sollt nit anfahen, so man aber uns uberziehen wollt, hätt man sich zu wehren. [...] Ist nu hieruf mein Begehr, wollt mir Euer Meinung in diesem Fall anzeigen. Ich kann aber nit unterlassen, Euch, als den, der viel geschafft hat, etlicher Ursachen dieses Falls zu erinnern, uf daß Ihr ihm dester stattlicher nachdenken mogt.
Zum ersten, ist der Fall im neuen Testament nit beschrieben, auch bei der Apostel Zeit, nach meinem Wissen, nit vorhanden gewest, als nämlich, daß ein Oberkeit, die ein Land erblich innhab, den Glauben angenommen und nachmals von einer großen Oberkeit verfolgt.
Zum andern, ist's mit den deutschen Fursten viel ein ander Ding, dann mit den vorzeiten, die schlecht Landpfleger gewest sein und nit Erbherrn. Die wälschen Fursten haben auch soliche Freiheit nit, darzu auch das Herkommen dermaßen nit herbracht, wie wir Deutschen. [...]
Es ist nach weiter offenbar wahr, daß kein Kaiser je in deutschen Landen Macht gehabt hat, einigen Fursten mit Gewalt 1 Gulden anzufordern, und ob er sie schon gefordert hätt, wär es in der Gestalt nit geben worden. So aber ein Kaiser etwas mit Bewilligung gemeiner Stände erlangt, das ist man ihme schuldig zu geben gewest.
Zum dritten ist wahr, daß der Kaiser uns so wohl gelobt und geschworen ist, als wir ihme, und wir seind ihme nit allein geschworen, sondern ihm und dem Reich zugleich. So nu der Kaiser uns nit hält, so hat er sich selbst zu einer gemeiner Person gemacht und kann nit mehr vor ein rechten Kaiser angesehen werden, sondern vor ein Friedbrecher, zuvoran dweil er kein Erbkaiser, sondern ein gewählter Kaiser ist.
Zum vierten, hat der Kaiser uf allen Reichstagen gesagt und us Hispanien geschrieben, er erkenn sich vor kein Richter in diesen zweispältigen Sachen, sondern es gebühr ein Concilio, solch Sach zu ortern und zu vergleichen. Dweil er, der Kaiser, nu selbst solchs bekennt und einmal solchs Richterampt [...] von sich geworfen, wie kann ihm dann nunmals solchs zugelassen werden? zuvoran dweil er so parteisch handelt, daß er Kläger, Richter und Antworter ist, und will wederumb unser Antwort weder sehen, hören noch annehmen, wilchs doch nach heidenischen Rechten zu viel ist. [...]
Dies wollt ich Euch also nach meiner Einfalt angezeigt haben, demnach Euer Vernunft, da Ihr von Gott hochlich begabet, weiter nachzudenken haben, und bitt Euern Rat und Bedenken.
Datum Freitag nach Galli, Anno Dom. XXX. [...]
[= Friedewald, 21.Oktober 1530]
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