Walther Rathenau, "Diese Frage entspricht nicht der Verfassung", 1922
»NIEMAND IST VERPFLICHTET, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.« Artikel 136 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 bestimmte dies sehr eindeutig. Gleichwohl stand die Frage nach der Konfessionszugehörigkeit auf dem Personalfragebogen des Auswärtigen Amts, den Walther Rathenau ausfüllen musste. Er schrieb folglich mit einigem Recht in die vorgesehene Zeile: »Diese Frage entspricht nicht der Verfassung«.
Dabei gab es vermutlich niemanden im Amt, der nicht über den jüdischen Glauben des neuen Ministers Bescheid wusste. Rathenaus Fragebogen ist zum größten Teil mit der Maschine getippt, diesen Satz aber hat er handschriftlich eingetragen. Er ist spontan geschrieben und entspringt deshalb wohl keiner besonderen verfassungsrechtlichen Überlegung. Deshalb mag etwas Wahres daran sein, wenn vermutet wurde, er könne sich über antisemitische Verleumdungen geärgert haben. Diese hatten zwar seine Karriere in Wirtschaft und Politik stets begleitet, kochten aber erneut hoch, als er am 31. Januar 1922 zum Reichsaußenminister ernannt wurde.
Die Behörde, der er damit vorstand, war ein Bollwerk der Tradition, die Außenseiter von jeher mit Argwohn betrachtete. Wer dort Karriere machen wollte, dem waren eine preußisch-adlige Abstammung und die protestantische Konfession die hilfreichsten Voraussetzungen, daneben das juristische Studium, etwas Auslandserfahrung durch Reisen, Verwaltungskenntnisse an kleineren Gerichten oder einem Regierungspräsidium, darüber hinaus ein gewisser Wohlstand und verwandtschaftliche Beziehungen. Dann konnte ein Diplomat es weit bringen, auch zum Außenminister. Antisemitismus war unter Diplomaten nicht virulenter als anderswo in der gebildeten großbürgerlich-aristokratischen Oberschicht, aus der sie sich rekrutierten. Dennoch war das Auswärtigen Amt für bekennende Juden oder jemanden, den man seiner christlichen Konfession zum Trotz für einen »Juden« hielt, niemals ein karriereträchtiger Ort gewesen.“
Auszug aus: Martin Kröger, Walther Rathenau verweigert die Auskunft, in: In den Akten, in der Welt. Ein Steifzug durch das Politische Archiv des Auswärtigen Amts, hg. von Ludwig Biewer und Rainer Blasius, Göttingen 2007, S. 50-53.
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