Ernst v. Weizsäcker an das Auswärtige Amt Berlin betr. Ausbürgerung von Thomas Mann, Bern, 6. Mai 1936
Der deutsche Gesandte in der Schweiz, Ernst v. Weizsäcker, teilt dem Auswärtigen Amt in Berlin mit, dass "keine Bedenken" mehr dagegen bestehen, das Ausbürgerungsverfahren gegen Thomas Mann in die Wege zu leiten. In seinem in der "Neuen Zürcher Zeitung" am 3. Febr. 1936 veröffentlichten Brief habe Mann "eindeutig gegen das Dritte Reich Stellung genommen und den bisherigen Langmut der deutschen Behörden gegenüber seiner Person mit höhnischen Bemerkungen bedacht ..."
In seinem Brief vom 3.2. (siehe unten) hatte Thomas Mann sich kompromißlos gegen den "deutschen Judenhaß" gestellt, der in Wahrheit gar nicht den Juden allein gelte, sondern "Europa und jedem höheren Deutschtum selbst; er gilt, wie sich immer deutlicher erweist, den christlich-antiken Fundamenten der abendländischen Gesittung: er ist der [...] Versuch einer Abschüttelung zivilisatorischer Bindungen, der eine furchtbare, eine unheilschwangere Entfremdung zwischen dem Lande Goethe's und der übrigen Welt zu bewirken droht."
Thomas Mann an Eduard Korrodi,
veröffentlicht am 3.2.1936 in der Neuen Zürcher Zeitung „Ein Brief von Thomas Mann“
[...]
Die »internationale« Komponente des Juden, das ist seine mittelländisch-europäische Komponente — und diese ist zugleich deutsch; ohne sie wäre Deutschtum nicht Deutschtum, sondern eine weltunbrauchbare Bärenhäuterei. Das ist es ja, was heute die katholische Kirche, in einer Bedrängnis, die sie auch dem Zögling protestantischer Kultur wieder ehrwürdig macht, in Deutschland verteidigt, wenn sie erklärt, erst mit der Annahme des Christentums seien die Deutschen in die Reihe der führenden Kulturvölker eingetreten. Man ist nicht deutsch, indem man völkisch ist.
Der deutsche Judenhaß aber, oder derjenige der deutschen Machthaber, gilt, geistig gesehen, gar nicht den Juden oder nicht ihnen allein: er gilt Europa und jedem höheren Deutschtum selbst; er gilt, wie sich immer deutlicher erweist, den christlich-antiken Fundamenten der abendländischen Gesittung: er ist der (im Austritt aus dem Völkerbund symbolisierte) Versuch einer Abschüttelung zivilisatorischer Bindungen, der eine furchtbare, eine unheilschwangere Entfremdung zwischen dem Lande Goethe's und der übrigen Welt zu bewirken droht.
Die tiefe, von tausend menschlichen, moralischen und ästhetischen Einzelbeobachtungen und -eindrücken täglich gestützte und genährte Überzeugung, daß aus der gegenwärtigen deutschen Herrschaft nichts Gutes kommen kann, für Deutschland nicht und für die Welt nicht, — diese Überzeugung hat mich das Land meiden lassen, in dessen geistiger Überlieferung ich tiefer wurzele als diejenigen, die seit drei Jahren schwanken, ob sie es wagen sollen, mir vor aller Welt mein Deutschtum abzusprechen. Und bis zum Grunde meines Wissens bin ich dessen sicher, daß ich vor Mit- und Nachwelt recht getan, mich zu denen zu stellen, für welche die Worte eines wahrhaft adeligen deutschen Dichters gelten:
Doch wer aus voller Seele haßt das Schlechte,
Auch aus der Heimat wird es ihn verjagen,
Wenn dort verehrt es wird vom Volk der Knechte.
Weit klüger ist's, dem Vaterland entsagen,
Als unter einem kindischen Geschlechte
Das Joch des blinden Pöbelhasses tragen.
Ihr sehr ergebener
Thomas Mann
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