Der Bericht Adam Kraffts und anderer landgräflicher Beamter über die Auswirkungen der Reformation aus dem Jahre 1529 ist ein bemerkenswertes Beispiel für Verantwortung und Mut vor Fürstenthronen.
Die Prediger Erhard Schnepf, Hartmann Ibach, Rosenweber und Adam Krafft teilen dem Landgrafen ihre Bedenken mit.
E.F.G. haben den Räten zu Marburg einen Befehl überschickt, das Heiligtum [die Gebeine der hl. Elisabeth] zu begraben. Diese haben unseren Rat erbeten. Wir haben uns untereinander beraten und bedacht, daß E.F.G. Vornehmen als eine christliche und gute [Tat] keineswegs zu hindern sei, daß es aber doch vonnöten ist, so zu handeln, daß man das, was Recht ist, auch recht ausrichtet.
Nun hören wir mit Schmerzen, daß ausländische Spötter, unsers christlichen Vorhabens Widersacher, großen Spott treiben sollen mit E.F.G. und leider, wie wir auf der Kanzlei gehört haben, auch etwas mit Wahrheit. Nämlich [heißt es], daß E.F.G. die Klosterjungfrauen in Hessen mit solchem Jammer und in Armut verjagen soll, daß sie zu Mainz und anderswo im Frauenhaus und bei Pfaffen ihr Brot suchen müssen [...], als würde auf E.F.G. Seiten nicht Gott, Gottes Ehre, der Seelen Heil gesucht, sondern nur zum Deckel des Geizes unchristlicher Weise mißbraucht. [...] Nun glaube ich [Adam Krafft], daß E.F.G. dieses schändliche Ärgernis unbewußt ist, daß es so im Finstern schleiche und schmeisse, deshalben ist es vonnöten, nicht länger zu schweigen, sondern zu rufen: Not ist! Not! necessitas zwingt uns, Treue, Schuld, Pflicht und Lieb treiben uns, solches anzuzeigen. [...] So ist nun deshalb unser aller [...] Bitte [...], E.F.G. wollen sich ein wenig Zeit nehmen, einen Monat weniger oder mehr, die Sachen zu bedenken, sich mit so viel Vögten, Klosterleuten und dergleichen zu beratschlagen [...], daß E.F.G. bösen Leuten aus dem Maul und von der Zungen käme, welches geschehen mag, [...] wenn man den Vögten sagt, daß sie den Ausgewiesenen gute Frucht und nicht Dreck, fröhlich, nicht mit Fluchen geben und daß die armen Hintersassen nicht über Billigkeit beschwert werden mit Diensten; denn ich höre nicht über E.F.G. Dienst klagen, aber über der Knechte Dienst schreit jedermann. Wenn diese Personen zufriedengestellt, Pfarrherrn versehen und Schulen besoldet werden, muß der Gottlose den Mund halten. Wo aber dieses nicht bedacht und das andere so eilends und geschwind vorgenommen wird, werden wir den Unverständigen neue Ursache geben, mehr und mehr zu lästern, den Verständigen aber entweder öffentlich zu klagen oder heimlich zu seufzen.
Zum Letzten bekennen etliche öffentlich, daß im Deutschen Hause [zu Marburg] nicht wenig Hurerei getrieben werde und die Personen allein darum zu Kommunion gezwungen werden, damit man Messe haben möge. Und derweil wir uns vorgenommen haben, niemanden von des Herrn Tische mit seinem Leib und Blute zu speisen, er habe denn seinen Namen verzeichnen lassen und führe einen christlichen Lebenswandel, so laufen etliche hinab ins Deutsche Haus; deshalb sehen wir es für nötig und gut an, daß E.F.G. nach der Schrift Philipp Melanchthons alle Sakramente in der Pfarrkirche reichen ließe und sonst nirgends und die Messe im Deutschen Haus samt den Gesängen aufhöre, da es nur oben in der Pfarrkirche hindert.
So wären auch die Personen viel geneigter, das Kloster zu verlassen, wenn sie eine ehrliche Abfertigung haben möchten. Die Firmanei ist ein Schlund allen Geldes zu Marburg; da ist man täglich voll. Die Schultheißen in den Dörfern sind Weinschenken, verhandeln alle Streitereien beim Wein. Da versäuft der Arme das Seine so schändlich, daß, wo man nicht wehret, der arme Bauersmann in kurzer Zeit keinen Heller haben wird. Danach wird folgen Stehlen, Morden, Aufruhr. [...] In den Städten liegt man täglich beim Bier, verspielt, versäuft, was Gott gibt; Weib und Kind müssen betteln. Da sollte man Wirt und Gäste strafen; es geschieht aber nichts. Was mag aus diesem Verhalten auf Dauer erfolgen? Denn einen schweren, gewissen Aufruhr werden solche nackten, betrunkenen, verspielten Buben erregen, und solche sagen alles Böse vom Wort Gottes und von der Obrigkeit. [...]
Wenn wir es nicht in treuer Meinung E.F.G. angeben, wollten wir wohl wie andere stillschweigen. Aber es ist keines Frommen, Treuen Art, seines Herrn Schande verschweigen, seinen Schaden nicht warnen. Wir meinen es recht und gut; Gott weiß, wir haben das Unsere getan. Wir sollen E.F.G. vermahnen, E.F.G. greife die Sachen an, Gott wird Hilfe, Gnade, Beistand und Stärke, Kraft und Weisheit verleihen. [...]
Marburg, Donnerstags nach Bonifacii anno [15]29.
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