Martin Luther: Autobiographisches zu den 95 Thesen und dem Beginn des lutherischen "Aufruhrs" 1517, 1541
Wider Hans Worst, 1541 (WA 51, S. 538ff.), in: Kurt Aland, Luther Deutsch, Bd. 2, Göttingen 1981, S. 22ff. Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 1091ff.
Diese Schrift gehört in den umfangreichen, langwierigen und sehr heftigen Streit zwischen Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, Landgraf Philipp von Hessen und Kurfürst Johann Friedrich hinein. Luther wurde in ihn durch einen literarischen Angriff Heinrichs auf seinen Kurfürsten, der auch ihn selbst nicht verschonte, hineingezogen. Der grundsätzlich wichtige Teil seiner Ausführungen ist in Bd. 4 dieser Ausgabe abgedruckt (vgl. die Einleitung dort), hier wird der autobiographische Abschnitt wiedergegeben, den Luther der Schrift einfügt und dem große Bedeutung für die Anfänge der Reformation zukommt.
Weil er1 aber nicht wissen will, wer diesen lutherischen »Aufruhr«2 (wie ers nennet) angerichtet hat, will ichs hiermit öffentlich sagen, nicht seinem Heinz,3 noch ihm selbst, denn er weiß es viel besser als ich selbst. Es geschah im Jahre, da man 1517 schrieb, daß ein Predigermönch, mit Namen Johannes Tetzel, ein großer Schreier,4 welchen Herzog Friedrich früher zu Innsbruck vom Sack erlöst hatte (denn Maximilian hatte ihn in der Inn zu ersäufen verurteilt, Du kannst Dir wohl denken, um seiner großen Tugend willen, und als Herzog Friedrich ihn daran erinnern ließ, als er uns Wittenberger so zu lästern anfing, da gab er es auch offen zu): derselbe Tetzel führte nun den Ablaß umher und verkaufte Gnade ums Geld, so teuer oder wohlfeil ers mit aller Kraft vermochte. Zu der Zeit war ich Prediger allhier im Kloster und ein junger Doktor,5 neu aus der Esse gekommen, hitzig und begeistert in der heiligen Schrift. Als nun viel Volk von Wittenberg dem Ablaß gen Jüterbog und Zerbst usw. nachlief, und ich (so wahr mich mein Herr Christus erlöst hat) nicht wußte, was der Ablaß wäre – wie es denn kein Mensch wußte –, fing ich vorsichtig zu predigen an,6 man könnte wohl Besseres tun, das zuverlässiger wäre als Ablaß lösen. Solch eine Predigt hatte ich auch zuvor hier auf dem Schlosse wider den Ablaß gehalten und bei Herzog Friedrich damit schlechte Gnade verdient, denn er hatte sein Stift auch sehr lieb.
Nun – damit ich zur rechten Ursache des lutherischen »Aufruhrs« komme – ließ ich alles so gehen, wie es ging. Indessen kommt es vor mich, wie der Tetzel greulich schreckliche Artikel gepredigt hätte, derer ich diesmal etliche nennen will, nämlich:
Er hätte solch eine Gnade und Gewalt vom Papst: wenn einer gleich die heilige Jungfrau Maria, Gottes Mutter, geschwächt oder geschwängert hätte, so könnte ers vergeben, wenn derselbe in den Kasten lege, was sich gebühre.
Weiter: das rote Ablaßkreuz mit des Papstes Wappen, in den Kirchen aufgerichtet, wäre ebenso kräftig wie das Kreuz Christi.
Weiter: wenn Petrus jetzt hier wäre, hätte er nicht größere Gnade noch Gewalt als er (Tetzel) besäße.
Weiter: er wollte nicht mit Petrus im Himmel tauschen, denn er hätte mit Ablaß mehr Seelen erlöst als Petrus mit seinem Predigen.
Weiter: wenn einer für eine Seele im Fegefeuer Geld in den Kasten lege, sobald der Pfennig auf den Boden fiele und klänge, so führe die Seele heraus gen Himmel.
Weiter: die Ablaßgnade wäre eben die Gnade, durch die der Mensch mit Gott versöhnt wird.
Weiter: es wäre nicht notwendig, Reue oder Leid oder Buße für die Sünde zu haben, wenn einer den Ablaß oder die Ablaßbriefe kaufe (ich wollte sagen, löse). Er verkaufe auch Ablaß für künftige Sünde. Und dieser Dinge trieb er greulich viel, und war ihm alles ums Geld zu tun.
Ich wußte aber zu jener Zeit nicht, für wen dieses Geld bestimmt war. Da ging ein Büchlein7 aus, gar herrlich unter des Bischofs zu Magdeburg Wappen, darin solcher Artikel etliche den Quästoren zu predigen geboten wurden. Da kams heraus, daß Bischof Albrecht (von Mainz) diesen Tetzel gedingt hatte, weil er ein großer Schreier war. Denn er war zu Mainz unter der Bedingung als Bischof gewählt worden, daß er zu Rom das Pallium selbst kaufen (lösen sage ich) sollte. Es waren zu Mainz vor kurzem drei Bischöfe: Berthold, Jacobus und Uriel,8 kurz nacheinander gestorben, so daß es dem Bistum vielleicht schwer war, so oft und kurz nacheinander das Pallium zu kaufen, welches, wie man sagt, 26000 – etliche sagen 30000 – Gulden kostet, denn so teuer kann der allerheiligste Vater zu Rom Flachsfaden (der sonst kaum sechs Pfennige wert ist) verkaufen. Da erfand nun der Bischof dies Fündlein und gedachte, den Fuggern (denn die hatten das Geld vorgestreckt) das Pallium mit des gemeinen Mannes Beutel zu bezahlen, und schickte diesen großen Beuteldrescher in die Länder. Der drosch auch weidlich drauf, daß es haufenweise in die Kassen zu fallen, zu springen, zu klingen begann. Er vergaß aber seiner selbst nicht daneben. Außerdem hatte auch der Papst dennoch die Hand mit in der Suppe behalten, daß die Hälfte zu dem Bau der Peterskirche zu Rom fallen sollte. So gingen die Gesellen mit Freuden und großer Hoffnung daran, unter die Beutel zu schlagen und zu dreschen. Solches, sage ich, wußte ich dazumal nicht.
Da schrieb ich einen Brief9 mit den Thesen an den Bischof zu Magdeburg, vermahnte und bat, er wolle dem Tetzel Einhalt tun und solch ungehörige Sache zu predigen verbieten, es möchte Unheil daraus entstehen. Solches gebühre ihm als einem Erzbischof. Diesen Brief kann ich noch heute vorlegen.10 Aber mir ward keine Antwort. Desgleichen schrieb ich auch dem Bischof zu Brandenburg11 als dem Ordinarius, an dem ich einen sehr gnädigen Bischof hatte. Darauf antwortete er mir, ich griffe der Kirche Gewalt an und würde mir selbst Kummer machen; er riete mir, ich ließe davon. Ich kann wohl denken, daß sie alle beide gedacht haben, der Papst würde mir, solchem elenden Bettler, viel zu mächtig sein. So gingen meine Thesen wider des Tetzels Artikel hinaus,12 wie man im Gedruckten wohl sehen mag. Dieselben liefen schier in vierzehn Tagen durch ganz Deutschland, denn alle Welt klagte über den Ablaß, besonders über Tetzels Artikel. Und weil alle Bischöfe und Doktoren still- schwiegen und niemand der Katze die Schelle anbinden wollte (denn die Ketzermeister vom Predigerorden hatten alle Welt mit dem Feuer in die Furcht gejagt, und Tetzel selbst hatte auch etliche Priester, die wider seine freche Predigt gemuckt hatten, in die Enge getrieben), da ward der Luther ein Doktor gerühmt, daß doch einmal einer gekommen wäre, der dareingriffe. Der Ruhm war mir nicht lieb, denn, wie gesagt, ich wußte selbst nicht, was der Ablaß wäre, und das Lied wollte meiner Stimme zu hoch werden.13
Dies ist der erste, rechte, gründliche Anfang des lutherischen »Aufruhrs«. Der andere Anfang dieses »Aufruhrs« ist der heiligste Vater Papst Leo mit seinem unzeitigen Bann. Dazu halfen Doktor Sau14 und alle Papisten, auch etliche grobe Esel, da jedermann zum Ritter an mir werden wollte, schrieb und schrie wider mich, was nur eine Feder regen konnte. Ich aber hoffte, der Papst sollte mich schützen, denn ich hatte meine Disputation so verwahrt und gewappnet mit Schrift und päpstlichen Drecketen,15 daß ich sicher war, der Papst würde den Tetzel verdammen und mich segnen. Ich widmete ihm die Resolutionen auch mit einer demütigen Schrift,16 und solch mein Buch gefiel auch vielen Kardinälen und Bischöfen17 sehr wohl. Denn ich war dazumal besser päpstlich gesinnt, als Mainz und Heinz selbst je gewesen sind noch werden mögen. Und die päpstlichen Dreckete standen klar da, daß die Quästoren die Seelen nicht mit Ablaß aus dem Fegefeuer lösen könnten. Aber da ich des Segens aus Rom wartete, da kamen Blitz und Donner über mich. Ich mußte das Schaf sein, das dem Wolf das Wasser getrübt hatte; Tetzel ging frei aus, ich mußte mich fressen lassen.
Dazu gingen sie mit mir Armen so fein päpstlich um, daß ich zu Rom wohl sechzehn Tage früher verdammt war, ehe mir die Zitation zukam. Aber da der Kardinal Cajetan auf dem Reichstag zu Augsburg angekommen war, erlangte Doktor Staupitz, daß der gute Fürst, Herzog Friedrich, selbst zum Kardinal ging und erreichte, daß der Kardinal mich hören wollte. So kam ich nach Augsburg zum Kardinal. Derselbe stellte sich freundlich. Nach vielem Verhandeln erbot ich mich, hinfort zu schweigen, sofern meine Gegenpartei auch schweigen müßte. Da ich das nicht erlangen konnte, appellierte ich vom Papst an das Konzil und zog davon. So ist die Sache von da ab auch auf die Reichstage gekommen und oft darüber verhandelt worden, davon jetzt nicht zu schreiben ist, denn die Historie ist zu lang. Indessen gings mit Schreiben widereinander aufs heftigste, bis es nun dahin gekommen ist, daß sie unverschämt das Licht scheuen, ja viele Dinge jetzt selbst lehren, die sie zuvor verdammt haben, ja die sie nicht lehren könnten, wenn unsere Bücher nicht da wären.
Ist nun ein Aufruhr daraus geworden, der ihnen weh tut, dafür müssen sie sich bei sich selbst bedanken. Warum haben sie die Sache so unvernünftig und ungeschickt betrieben wider alle Rechte, Wahrheit, Schrift und ihre eigenen Dreckete? Sie dürfen keinem andern schuld geben als sich selbst. Wir wollen uns über ihr Klagen in die Faust lachen und ihrer zum Schaden spotten und uns trösten, daß ihr Stündlein gekommen sei. Denn sie hören auch heutigen Tages nicht auf, die Sache wie die verblendeten, verstockten, unsinnigen Narren so zu behandeln, als wollten sie mutwillig zugrunde gehen. Gottes Zorn ist über sie gekommen, wie sie verdient haben.
Obwohl es nun, gottlob!, an den Tag gekommen ist, wie der Ablaß eine Teufelslüge ist, tun sie doch keine Buße, gedenken sich auch nicht zu bessern noch zu reformieren, sondern wollen mit dem blinden, bloßen Wort »Kirche« alle ihre Greuel verteidigen. Und wenn sie sonst nichts Böses getan hätten, so wäre der Ablaß allein genug dafür, daß Gott sie ins höllische Feuer verdammt und alle Menschen sie zur Welt hinausjagten. Bedenke doch, lieber Christ, erstens, wie der Papst, Kardinäle, Bischöfe und alle Geistlichen die Welt mit dem verlogenen Ablaß erfüllt und betrogen haben. Zum zweiten, daß sie es lästerlich die »Gnade Gottes« genannt haben, obwohl es doch nichts ist noch sein kann als remissio satisfactionis,18 das heißt nichts. Denn man weiß jetzt, daß diese satisfactio nichts ist. Zum dritten, daß sie es als eine Gnade Gottes mit greulicher Simonie und Schariotherei19 um Geld verkauft haben, obwohl Gottes Gnade umsonst gegeben werden muß. Zum vierten, daß sie dadurch der ganzen Welt Geld und Gut schändlich gestohlen und genommen haben, und das alles unter Gottes Namen. Zum fünften, welches das Allerärgste ist, daß sie diese lästerlichen Lügen zur schrecklichen Abgötterei gebraucht haben. Denn viele tausend Seelen, die sich darauf verlassen haben, als wäre es Gottes Gnade, und darauf gestorben sind, sind durch solche Seelenmörder verloren.
Denn wer auf Lügen traut und baut, ist des Teufels Diener. Solche Seelen schreien ewiglich Zeter über das Papsttum, die sie schuldig sind Gott zurückzubringen. Ebenso sind sie auch schuldig, all das Geld und Gut, das sie damit gestohlen haben, zurückzugeben, vor allem auch Gott seine Ehre wiederzuerstatten, die sie ihm durch den Ablaß schändlich geraubt haben. Wann wollen sie das tun? Ja, wann bekümmern sie sich darum? Aber wo sie es nicht tun werden, mit was für einem Schein des Rechts wollen sie eine christliche Kirche heißen und die Kirchengüter besitzen oder fordern? Soll das eine Kirche heißen, die voller Ablaß, das ist voller Teufelslügen, Abgötterei, Simonie, Ischariotherei, Dieberei, Seelenmörderei ist, wie jetzt gesagt ist? Wohlan, wollen sie nicht, so müssen sie. Er ist stark genug, ders ihnen abverlangen wird, zum wenigsten mit dem ewigen höllischen Feuer. Bis dahin sollen sie keine Kirche, sondern des Teufels Schule sein und heißen, und wenn gleich alle Heinzen und Mainzen toll und töricht darüber würden.
Anmerkungen
1 Albrecht von Mainz, den Luther in dieser Schrift ebenfalls attackiert
2 U.ö. eig.: »Lermen«.
3 Heinrich von Braunschweig.
4 Eig.: »Clamant«, zur Sache vgl. Nik. Paulus, Joh. Tetzel, 62 ff.
5 Luthers Doktorpromotion hatte am 18./19. Oktober 1512 stattgefunden.
6 Luther hatte am 27. Juli 1516, am 31. Oktober 1516 und am 24. Februar 1517 gegen den Ablaß gepredigt.
7 Die Instructio summaria pro subcommissariis.
8 Berthold Graf von Henneberg 1484-1504, Jakob von Liebenstein 1504-1508, Uriel von Gemmingen 1508-1514.
9 Am 31. Oktober 1517, in Bd. 10, 27-29 abgedruckt. Zum Folgenden vgl. Luthers Darstellung S. 12ff. und 88ff.
10 Das ist eine absolute Ausnahme, Luther bewahrte die an ihn gerichteten Briefe meist nicht auf.
11 Nicht erhalten.
12 Vgl. S. 32ff.
13 D.h. die Sache wollte mir über den Kopf wachsen.
14 Eck.
15 U.ö. diese Verzerrung von »Dekret« wird von Luther oft gebraucht.
16 S. 88 ff. abgedruckt.
17 Kardinal Albrecht von Mainz und Herzog Heinz von Braunschweig.
18 Erlaß der Kirchenstrafen.
19 Wie Judas Ischarioth.
[Martin Luther: Wider Hans Worst (1541). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 1103
(vgl. Luther-W Bd. 2, S. 372-373) (c) Vandenhoeck und Ruprecht]
siehe auch: Vorrede zu Band I der lateinischen Schriften der Wittenberger Luther-Ausgabe 1545 (WA 54, S. 180-81), in: Kurt Aland, Luther Deutsch, Bd. 2, Göttingen 1981, S. 12-13
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.